Königstein (as) – Große Ehre für die Stadt Königstein im Taunus. Sie steht bald in einer Reihe mit Frankfurt am Main, Weimar und Bonn. Denn Königstein wird am 30. September in das „Netzwerk Verfassungsstädte“ aufgenommen. Diese Entscheidung trafen die Netzwerk-Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung bei ihrem zweitägigen Treffen vergangene Woche in der Villa Rothschild. Das Netzwerk Verfassungsstädte hat sich unter dem Dach der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte zusammengeschlossen. Ziel der Mitglieder ist es, Verantwortung für die gemeinsame Geschichte zu übernehmen, das Wissen um diese Vergangenheit zu bewahren und demokratiegeschichtliche Vermittlungsarbeit zu unterstützen, sprich, das demokratische Erbe und Leitbild in Zeiten des wieder aufkommenden politischen Extremismus sichtbar und lebendig zu halten.
Dass Königstein als Ort der deutschen Demokratiegeschichte mit den drei „Schwergewichten“, die jeweils Sitz des deutschen Reichstags bzw. Bundestags gewesen sind, in einem Atemzug genannt werden kann, hat mit der Bedeutung eben der Villa Rothschild als „Haus der Länder“ und Tagungsort der Ministerpräsidenten im Jahr 1949 zu tun, welche den Durchbruch zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ermöglichten.
„Die Aufnahme in dieses Netzwerk ist etwas ganz Besonderes für Königstein und zeigt, welche Stellung die Geschichte von Königstein für die Entwicklung der deutschen Demokratie hat“, kommentierte Stadtarchivarin Dr. Alexandra König, die Königstein auf der Tagung vertreten durfte, den Entschluss.
Die Taunusstadt erhalte dadurch auch eine „überregionale Bedeutung und Sichtbarkeit“ als ein Ort, an dem „Demokratieförderung anschaulich“ gemacht werden könne, so Alexandra König.
Ein Ort der Entscheidung
Nach 1945, als Frankfurt Sitz des Hauptquartiers der amerikanischen Militärregierung war, wurde die Kurstadt Königstein durch seine verkehrsgünstige Lage und seine ruhige Umgebung zu einem Ort für politische Beratungen und Konferenzen. Das milde Mittelgebirgsklima des Taunus galt und gilt als Quelle körperlicher und geistiger Erholung – ein entscheidender Standortvorteil, der Königstein auch für politische Weichenstellungen attraktiv machte.
Ein Ort der Verfassungsgeschichte
Die Stadt spielte eine nicht unbedeutende Rolle im Entstehungsprozess des Grundgesetzes. Die Königsteiner Konferenz der Ministerpräsidenten am 24. März 1949, abgehalten in der Villa Rothschild, fand in einer Phase politischer Unsicherheit statt: Der Parlamentarische Rat stand vor erheblichen inneren Differenzen, die Zustimmung der Militärgouverneure war ungewiss. In dieser Situation forderten die versammelten Ministerpräsidenten aus Königstein heraus einen kraftvollen Abschluss des Verfassungswerks und sprachen sich gegenüber den Alliierten für eine baldige Ratifizierung des Entwurfs aus.
Ein Zeitungsartikel aus den 1950er Jahren bezeichnete Königstein gar als „Wiege des Grundgesetzes“. Auch wenn dieser Titel vielleicht überhöht scheint – der Parlamentarische Rat tagte in Bonn – wurde er von der Bevölkerung gerne aufgenommen. Er zeugt von einem tiefen Identifikationswillen mit den demokratischen Werten und einer bewussten Erinnerungskultur, die Königstein bis heute pflegt.
Ein Tagungsort mit Geschichte
Die Wahl der Villa Rothschild als Tagungsstätte war – und ist – von hoher Symbolkraft. Ursprünglich von 1888 bis 1894 von Mathilde und Wilhelm Carl von Rothschild als Sommerresidenz errichtet, war das Anwesen lange ein kultureller Treffpunkt des deutsch-jüdischen Bürgertums. Die NS-Zeit bedeutete auch für Königstein und die jüdische Bevölkerung einen tiefen Einschnitt: Die Villa wurde enteignet, ihr Besitzer Rudolf von Goldschmidt-Rothschild mit seiner Familie zur Flucht in die Schweiz gezwungen. Später diente das Haus NS-nahen Organisationen, darunter der „Reichsgruppe Banken“ und der Firma Lurgi, die in Zwangsarbeit und Vernichtung verwickelt war.
Nach Kriegsende wandelte sich die Villa erneut – zum Ort demokratischer Zukunft. Zunächst als Gästehaus des Länderrats genutzt, erhielt sie bald den Namen „Haus der Länder“. Heute beherbergt sie ein 5-Sterne-Hotel mit 22 Zimmern, vom dem jedes einem „Visionär“ zugeordnet ist. Und am 29. und 30. Juli wurde die Villa Rothschild einmal mehr ein Treffpunkt für Akteure der Demokratiegeschichte. Das Treffen des Netzwerks Verfassungsstädte wurde geleitet von Dr. Christian Faludi, Direktor der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte (GEDG).
Dass dieser bedeutende Austausch an einem Ort stattfindet, an dem sich deutsche Geschichte in besonderer Dichte widerspiegelt – von jüdischer Blütezeit über NS-Unrecht bis hin zur Neubegründung demokratischer Ordnung –, war kein Zufall. In Königstein verdichtet sich deutsche Geschichte zu einem lebendigen Gedächtnisraum.
Für Königstein sei es daher auch eine „große Verpflichtung, dieses Thema weiter auszubauen und darauf aufmerksam zu machen“, folgert Stadtarchivarin Alexandra König. Zumal die elementaren Voraussetzungen der Demokratie, dass alle Akteure bereit sind, gemeinsame Lösungen zu finden, heute wieder stärker betont und auch verteidigt werden müssten.
Ein Höhepunkt der Tagung und künftig sichtbares Zeichen an dem symbolträchtigen Ort Villa Rothschild war die Überreichung der Plakette „Ort der Demokratiegeschichte“, die bei einem Fototermin schon einmal präsentiert wurde und in den nächsten Tagen den Eingang des Hotels zieren wird.
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