Ein Lastwagen transportiert eine große Königsteiner Firmengeschichte in die Modellbauwelt

Königstein

(hhf) – Die Firma Wiking in Lüdenscheid gehört zu den bekannten Herstellern von Modellautos und weiteren Miniaturen – meist in der Modellbahn-affinen Größe H0. Schon 1932 wurde das Unternehmen von einem Berliner Verleger gegründet, der mit einem befreundeten Dänen Schiffsmodelle aus Metall herstellte – daher wohl der Name Wiking. Im 2. Weltkrieg sogar als “kriegswichtig” eingestuft – Hauptabnehmer der Schiffs- und Flugzeugmodelle war das Militär – musste sich das Unternehmen nach 1945 völlig neu orientieren.

Wieder in Kooperation mit dem dänischen Unternehmen fertigte man nun gezielt Spielzeug, es gab sogar einen Stadtplan, auf dem man seine eigene Stadt entwickeln konnte – lange vor der Erfindung von Internet-Spielen ähnlicher Art. Daneben wurden viele Fahrzeugmodelle als Werbegeschenke für Firmen produziert, waren also gar nicht im Spielwarenhandel erhältlich, was die Marke für Sammler besonders interessant macht.

Erst nach der Jahrtausendwende tat sich Wiking mit Siku zusammen, einem weiteren bekannten Hersteller von Modellfahrzeugen. “Sieper-Kunststoffe” hatte 1921 mit Gebrauchsgegenständen aus Kunststoff im Spritzguss-Verfahren angefangen, später aber auch Metall in dieser Weise verarbeitet.

Im Juni 2019 präsentierten die für ihre Detailtreue bekannten Modellspezialisten nun einen typischen Möbelwagen aus den 1960er- und 70er-Jahren. Der von Mercedes gefertigte LKW ist die Fortführung einer Modellreihe der übernommenen Firma Henschel, der Aufbau der bis heute namhaften Firma Ackermann ebenfalls eine Spezialanfertigung, die für die damalige Zeit typisch ist – sogar “aerodynamische Vorteile” wurden den Kästen zugesprochen. Das Besondere an dem Modellauto für unsere Region: Stets um größtmögliche Authentizität bemüht, hat man sich bei der Gestaltung des Modells an ein Vorbild der Königsteiner Spedition Adam Kroth gehalten (aus deren Fuhrpark vor über 20 Jahren schon einmal ein Fahrzeug von der Firma Brekina als Modell hergestellt worden ist).

Van der Grooten wird zu Kroth

Da auch die Geschichte der Königsteiner Umzugsfirma recht interessant und mehrfach von Journalisten aus dem Modellbaubereich angefragt worden ist, hier eine verkürzte Zusammenfassung, die überwiegend auf einem Burgfest-Buch-Artikel von Johannes Becker, fußt: „Es begann vor 160 Jahren: Die Geschichte des Königsteiner
Umzugsspezialisten Adam Kroth.” Darüber hinaus ist der Name Kroth in und um Königstein weit verbreitet und offenbar das Ergebnis der Zuwanderung einer von der Natur sehr gesegneten Familie aus den Niederlanden am Ende des 14. Jahrhunderts. Ihr Name Van der Grooten bezog sich vermutlich auf ihre beträchtliche Körpergröße. Der später zu Kroth „eingedeutschte“ Name wurde erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts in Königsteins Kirchenbüchern aktenkundig.

Die Familie, deren Erstgeborene stets Adam hießen, hatte schon früh im Transportgewerbe Fuß gefasst – möglicherweise dadurch die Taunusstadt an der Reichsstraße entdeckt – greifbar sind sie zu Anfang des 19. Jahrhunderts als Postillione für Thurn und Taxis, der damaligen “Post” im Deutschen Reich. 1856 machte sich die Familie dann selbstständig: Die Gründung bestand darin, dass der älteste Sohn der Familie, Adam Kroth, schon als Vierzehnjähriger von seiner Mutter mit Pferd und Wagen ausgestattet wurde und mit diesem Gespann von nun an Lohnfuhren aller Art übernahm.

Rangierkünstler in der Kirchgasse

Der Firmensitz der Kroths lag in der Königsteiner Kirchgasse, was dazu führte, dass die Familie berühmte Rangierkünstler hervorbrachte. Wurden nämlich Transporte im Taunus zu dieser Zeit mit von Pferden gezogenen Pritschenwagen durchgeführt, brachte der Bau von Bahnlinien (nach Königstein erst 1902) die Anschaffung von “Bahnmöbelwagen” – vier Meter lang und je nach Belastung von zwei oder vier Pferden gezogen – mit sich. Mit diesem Gespann konnten ab jetzt auch Aufträge für Ferntransporte angenommen werden. Zuverlässlichkeit und Fleiß sorgten bald für einen guten Namen auch in der weiteren Umgegend, 1898 wurde Adam Kroth sogar zum großherzoglich-luxemburgischen Hofspediteur ernannt.

1900 trat die Firma dem Internationalen Möbeltransportverband bei, ein ebenso weitblickender Entschluss wie der Erwerb eines Grundstücks in der Nähe des Bahnhofs 1902, das sich vorzüglich für Umschlag und Lagerung der Speditionsgüter eignete. Lagerhallen, Pferdeställe und Unterstände für Bahnmöbelwagen oder Pritschen wurden dort errichtet. Ein Risiko barg die Nähe zur Bahn freilich: 1907 ereignete sich ein verheerendes Brandunglück, das durch Funkenflug einer am Kroth-Gelände vorbeifahrenden Lokomotive entfacht wurde. Die niedergebrannten Lagerhallen waren jedoch schnell wieder aufgebaut und der Betrieb konnte weitergehen.

Neben Möbeln, die besonders von den im Taunus Sommerhäuser errichtenden wohlhabenden Frankfurtern gebraucht wurden, transportierten die Pferdewagen der Firma Kroth auch Frachten anderer Art, zum Beispiel im Winter Stangeneis von den Billtal-Weihern in Frankfurts Brauereikeller. 1923 hatte man sogar eine Glocke vom Königsteiner Bahnhof zur katholischen Kirche in die Kirchstraße gebracht – zehn kräftige Pferde und ein robuster Wagen hatten damals die Herausforderung bewältigt.

Harte Zeiten in den Weltkriegen

Die beiden Weltkriege bedeuteten natürlich auch für das Transportunternehmen harte Einschnitte, neben dem Einzug der kräftigen Möbelpacker und fähigen Fahrer zum Militärdienst war 1917 für zehn gestorbene Zugpferde kaum noch Ersatz zu bekommen. Im 2. Weltkrieg wurden die inzwischen angeschafften LKW ebenfalls überwiegend zum Militär abgezogen – darunter Fahrzeuge, die Oldtimer-Liebhabern ein Leuchten in die Augen zaubern: ein NAG-Pritschenwagen, 1924 von einer Niederreifenberger Firma gebraucht gekauft, oder ein Motorlastwagen der Marke “Donar” aus Frankfurt am Main. Allerdings stieg auch der Verschleiß bei diesen frühen Transportvehikeln an, denn die Firma Kroth genoss bis ins benachbarte Ausland einen hervorragenden Ruf und erledigte zunehmend Ferntransporte. Die Aufbauten wurden jedoch gerne auf neuen Fahrgestellen weiterverwendet.

Ein aliierter Luftangriff in der Nacht des 24. August 1942 verursachte unter anderem in der Bahnhofsgegend schwere Zerstörungen, wieder brannten die Hallen der Firma Kroth ab und stürzten ein, fast alle Möbelwagen und Anhänger wurden von den Flammen vernichtet. Lediglich ein Ford des Typs BB blieb verschont. Drei Monate nach der Bombennacht gelang es Kroth, einen Henschel-LKW des Typs 40 zu beschaffen und im Frühjahr 1943 kam ein Möbelanhänger von Schumann-Werdau hinzu. Beide LKW überstanden die harten Zeiten und dienten nach dem Krieg vor allem auch dem Transport von Lebensmitteln und anderen Versorgungsgütern.

In der Besatzungszeit nach beiden Weltkriegen hatte die Speditionsbranche freilich auch mit starken Beschränkungen in ihrer Beweglichkeit zu rechnen, die zum Beispiel auf 100 Kilometer Umkreis beschränkt war. Das Ende der Firma aber hatten die Besatzer unfreiwillig besiegelt: 1947 überrollte ein amerikanischer Militärlastwagen bei einem Verkehrsunfall nahe der katholischen Kirche den einzigen Sohn des Spediteurs und verletzte ihn tödlich – der Fahrer saß danach laut Zeugenaussagen “weinend auf dem Trittbrett”. 1980 wurde die Firma Kroth daher vom Transportunternehmen Walter Schmidt in Steinbach (Taunus) übernommen, deren Chef auch viel historisches Material in seinem Archiv verwahrt hat.

Vaterfigur für das Transportgewerbe

Adam Kroth setzte sich allerdings erst 1987 mit 82 Jahren endgültig zur Ruhe.
In all den Jahren seiner Tätigkeit als Spediteur galt er in seiner Branche als Vorbild, ja sogar als Vaterfigur für das gesamte hessische Transportgewerbe. Viele Königsteiner erinnern sich noch heute an den Mann mit Hut und Umzugsschürze, der selbst im hohen Alter noch oft unterwegs war, um bei den Verladearbeiten dabei zu sein.

Unverdrossen hat er seine Firma nach der Währungsreform wieder zur Blüte gebracht. 1950 wurde der Henschel 40 mit einem Möbelwagenaufbau versehen und konnte mit dem Schumann-Anhänger nun auch im Fernverkehr eingesetzt werden. Im gleichen Jahr erhielt der Fuhrpark Zuwachs durch einen weiteren Henschel-Pritschenwagen des Typs 40 S 2 aus der Vorkriegszeit. Mit diesem Fahrzeug wurden 1953 die drei neuen Kirchenglocken aus Sinn bei Herborn für das katholische Gotteshaus nach Königstein überführt, eines der großen Zeichen, dass der bislang letzte Krieg in Deutschland mit seinem Hunger auch nach kirchlichem Metall vorbei war – 1963 wurde die evangelische Kirche ebenfalls mit einer Glocke beliefert.

Der Marke Henschel blieb Adam Kroth übrigens bis zu deren Übernahme Anfang der 1970er-Jahre durch Mercedes-Benz treu, dann stieg er folgerichtig auf Mercedes um. Mit dem Modell des für die 1970er-Jahre typischen Ackermann-Möbelkoffer-Lastzuges auf Basis der kubischen Baureihe von Mercedes Benz hat ihm die Firma Wiking nun also ein ebenso passendes wie verdientes Denkmal gesetzt.

Nur minimale Unterschiede sind an dem aktuellen Modellfahrzeug gegenüber dem Original zu erkennen.
Foto: Wiking

Dieser Anblick gehörte für den Autor dieses Artikels zum alltäglichen Umfeld, wenn er mit der Kleinbahn von Schneidhain nach Königstein zur Schule fuhr.
Fotos: Archiv KöWo

Weitere Artikelbilder



X