Ein Spatz war seine bekannteste Rolle – Erinnerung an Rudolf Fischer

Foto: Theaterarchiv Puppenpavillon

Königstein (kw) – „Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, heißt es im Prolog zu Schillers Drama „Wallenstein“. Tatsächlich trifft das nicht nur auf Schauspieler zu, sondern auf fast alle Künstler, die sich der Bühne verschrieben haben und deren Kunst damit höchst flüchtig ist: Eine Zeit lang bleibt die Erinnerung an diese Künstler präsent, verblasst aber alsbald und geht irgendwann völlig in die Vergessenheit über. Vielleicht bleiben noch ein paar Texte, Fotos, Plakate oder Film- und Tondokumente übrig; das Kunstwerk als solches aber – die Darbietung auf der Bühne eben – gehört schon zu Lebzeiten des Künstlers der Vergangenheit an und nach dessen Tod erst recht.

Und auch auf die Puppenspieler trifft das zu, und zwar mehr noch als auf die Schauspieler, da sie hinter ihren Figuren gänzlich zurücktreten und oft gar nicht persönlich in Erscheinung treten. Einer, an den anlässlich seines 100. Geburtstags jedoch unbedingt erinnert werden sollte, ist der Königsteiner, später Darmstädter und schließlich Bensberger Puppenspieler Rudolf Fischer (1920 bis 1998), ohne Zweifel eine der wegweisendsten Persönlichkeiten der Puppenspielkunst des 20. Jahrhunderts.

Frühe Leidenschaft

Das Puppenspiel packte den am 27. April 1920 in Frankfurt am Main geborenen Fischer bereits im Jugendalter und ließ ihn nie wieder los. Mit 18 Jahren heuerte er beim weltberühmten Hohnsteiner Puppentheater unter Leitung von Max Jacob an und war über viele Jahre festes Ensemblemitglied dieser heute legendären Bühne. Um 1947 zog er nach Königstein im Taunus und gründete dort sein eigenes Reisetheater, das „Königsteiner Puppenspiel“, das sich nach der Umsiedlung nach Darmstadt 1953 „Darmstädter Puppenspiel“ nannte. Fischer suchte nach einem eigenen, von den Hohnsteinern unabhängigen, Weg und fand ihn stilistisch in selbst geschaffenen Figuren und inhaltlich vor allem in der Hinwendung zu literarischen Stoffen wie Anatol France’ „Das Hemd eines Glücklichen“ oder Oscar Wildes „Das Gespenst von Canterville“. Außerdem spielte er Satiren wie „Narren unerwünscht“ oder „Das Haus der Zivilisation“ sowie klassische Märchen und Kasperstücke für Kinder, wobei auch hier immer das literarische Interesse Fischers und seine Hinwendung zur klassischen Musik und zur bildenden Kunst Form und Ausdruck bestimmten.

Für ewig verbunden bleiben wird sein Name aber mit Antoine de Saint-Exupérys Buch „Der kleine Prinz“, das er als erster – noch vor der Augsburger Puppenkiste – für das Figurentheater adaptierte. Diese Inszenierung sollte Theatergeschichte schreiben. Bei ihr interagierte erstmals ein Schauspieler zusammen mit einer Figur: Rudolf Fischer spielte in den Wüstenszenen vor der Bühne den Flieger, während seine Mitspielerin oben auf der Spielleiste den kleinen Prinzen als Handpuppe führte.

Neben seiner Bühnenarbeit widmete sich Fischer ab Ende der 1960er Jahre vermehrt der Fernseharbeit. Seine prägnanteste Rolle war sicher die des „Spatz vom Wallrafplatz“ in der gleichnamigen WDR-Reihe unter der Regie von Armin Maiwald, die so etwas war wie der Vorläufer der „Sendung mit der Maus“. Aber auch an vielen anderen TV-Produktionen war Fischer beteiligt, darunter „Kasper und René“ (als Spieler von Kaspers Großmutter), „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“, „Maxifant und Minifant“ und „Stoffel und Wolfgang“. Außerdem drehte Fischer als Puppenspieler, Regisseur und Autor eine ganze Reihe eigener Fernsehfilme, meist im Team mit seiner Frau Erika und der Puppenspielerin Heide Hamann.

Oft war der Puppenspieler Wolfgang Buresch – berühmt geworden als Spieler des fernsehbekannten „Hasen Cäsar“ – Fischers kongenialer Partner. Buresch erinnert sich in einem Schreiben an den Verfasser dieses Berichts: „Wir haben so viel Verrücktes und bis auf die Knochen Ehrliches miteinander erlebt und geteilt, dass wir uns oft nur ansehen mussten, um zu lächeln, wenn wir wieder einmal wussten, wo Schaum geschlagen wurde – oft auch von uns selbst – und wie wir damit umgehen wollten. Gleichgültig, ob das im Beruf oder privat war, wir hatten uns erkannt – man kann auch sagen: durchschaut – und konnten den Anderen nicht nur lassen, sondern uns an ihm freuen. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, haben wir realisiert: Wir haben gemeinsam gespielt und improvisiert, und da wir wussten, wie der Andere ‚tickt‘, konnten wir uns gegenseitig unterstützen, freuten uns an Pointen des Anderen und mussten nicht noch eine ‚draufsetzen‘, wir waren also im Spiel kongruent und nicht Konkurrent. Und das haben wir beide sehr genossen. Ich hatte Glück und konnte durch meine berufliche Veränderung, als ich zum Fernsehen ging, auch Rudolfs Wunsch zu filmen unterstützen, und dadurch ist manches entstanden, von dem ich auch noch heute überzeugt bin, zum Beispiel Rudolfs dokumentarische Reihe über verschiedene deutsche Puppenbühnen.“

In den 1980er Jahren wurde es ruhiger um den Bühnenspieler Rudolf Fischer. Für das ZDF drehte er zahlreiche Episoden der „Bettkantengeschichten“, für den NDR die 60-teilige Serie „Felix und Felizatas“, die im Rahmen des „Sandmännchens“ ausgestrahlt wurde. Aber die Theaterauftritte wurden seltener. Am 12. Dezember 1988 eröffneten er und seine Frau Erika mit einer Aufführung von „Der kleine Prinz“ den Puppenpavillon, das von seiner Schülerin und Mitarbeiterin Heide Hamann gegründete stationäre Puppentheater in Bergisch Gladbach-Bensberg. Nach Erikas Tod zog auch er selbst nach Bensberg, wo er noch bis 1996 von Zeit zu Zeit im Puppenpavillon auftrat. 1998 verstarb er in seiner und Heide Hamanns gemeinsamer Wohnung in der Straße Am Stockbrunnen, wo heute eine große Bronzetafel an ihn erinnert. Beerdigt wurde er auf dem Bensberger Friedhof, wo sich sein Urnengrab direkt gegenüber einer Reihe von Kindergräbern befindet.

„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze“, so Schiller. Ein kleiner Ehrenkranz soll Rudolf Fischer denn doch geflochten werden zu seinem 100. Geburtstag, zumindest in Form dieses Erinnerungstextes. Viel Freude, Fantasie, Trost und Heiterkeit hat der Puppenspieler durch seine Arbeit in diese Welt gestreut – das sollte nicht vergessen werden. Neben der bereits erwähnten Gedenktafel an Fischers letztem Wohnhaus in Bensberg erinnert eine eigene Vitrine in der Figurentheaterausstellung im Bürgerhaus Bergischer Löwe in Bergisch Gladbach an den großen Puppenspieler. Die historischen Figuren aus Fischers Welturaufführung von „Der kleine Prinz“, Meisterwerke der Bildhauerin Lore Lafin, sind in einer Neuinszenierung des Piccolo Puppentheaters (Regie: P. Willi Beine) wieder auf der Bühne zu erleben – und würdigend steht natürlich auch der Name ihres Vorbesitzers auf den Plakaten und Programmheften: Rudolf Fischer.
Gerd J. Pohl



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