Königstein (as) – Mit 19 Jahren hat Wolfgang Riedel zum ersten Mal das Meer gesehen an der Cote d’Azur. „Es war Liebe auf den ersten Blick“ – un coup de foudre, ein Blitzschlag, wie es die Franzosen so treffend sagen. Damals, 1972, war er als Teilnehmer eines Jugendaustauschs erstmals in Südfrankreich – und im selben Jahr wurde auf Initiative von Hans-Jürgen Bruske, der damit beim Königsteiner Bürgermeister Ehrenfried Wilke offene Türen einrannte, auch schon der Förderkreis der Städtepartnerschaft Königstein im Taunus – Le-Cannet/Rocheville gegründet, das so herrlich über Cannes und nur rund zwei Kilometer Luftlinie vom Blau des Mittelmeers entfernt liegt.
Es waren die Jahre nach dem Élysée-Vertrag 1967, der den Weg zur deutsch-französischen Aussöhnung frei machte und vielen Städtepartnerschaften den Weg bereitete. Falkenstein etwa war ja bereits 1967 mit seiner Partnerschaft mit Le Mêle-sur-Sarthe einer der Vorreiter gewesen. Im Königsteiner Partnerschaftskomitee war Wolfgang Riedel von Anfang an mit dabei, 1978 wurde er 2. Vorsitzender des Vereins – das war er schier unglaubliche 37 Jahre lang, ehe er im Jahr 2015 den langjährigen 1. Vorsitzenden Dr. Reinhard Siepenkort beerbte.
Bei der Jahreshauptversammlung des Förderkreises am Freitag, 15. März, im Haus der Begegnung (19.30 Uhr) wird der 71-jährige Riedel nicht mehr kandidieren, der bisherige 2. Vorsitzende Alexander Hees wird sich als Nachfolger zur Wahl stellen. Auch dieses Mal sind also die Weichen für einen geschmeidigen Übergang gestellt in einem der größten Vereine Königsteins mit rund 250 Mitgliedern. „Sehr dankbar bin ich für die große Unterstützung von allen Mitgliedern des Vereins, besonders meinem Vorstand und Komitee, dem Wander- und Kulturteam und natürlich meiner Frau Martina. Ohne sie alle wäre mein Engagement überhaupt nicht möglich gewesen“, sagt Wolfgang Riedel. Dem Verein und den französischen Freunden wie dem jetzigen Vorsitzenden der „Association pour le Jumelage“ Francois Aigrot, den er seit 50 Jahren kennt, wird er natürlich weiterhin eng verbunden bleiben.
„Für die europäische Verständigung zu arbeiten ist eine wundervolle, erfüllende Aufgabe“, sagt der Noch-Vorsitzende beinahe präsidial, als ihn die Königsteiner Woche in seinem Arbeitszimmer, das man auch als Partnerschaftsbüro bezeichnen könnte, besucht. Fahnen, Bilder, der ihm im Jahr 2023 verliehene Goldene Schlüssel von Le Cannet und viele Devotionalien mehr zeugen von der Verbindung zwischen den beiden Städten und seinem Einsatz dafür. Und der Computer läuft und zeigt die Homepage des Vereins (www-le-cannet.de). Seit Monaten arbeitet er an der neuen, modernen Internetseite, die mit ihrem riesigen Fundus an Geschichten und Fotos dann auch mobilfähig sein wird. Viele der Fotos hat der passionierte Fotograf, der auch seine Heimatstadt Königstein immer wieder sehenswert mit der Kamera einfängt, selbst gemacht.
Webmaster wird Wolfgang Riedel weiterhin bleiben und bei den für das Vereinsleben so wichtigen Wander- und Kulturveranstaltungen mitwirken, aus dem 15-köpfigen Partnerschaftskomitee wird er sich aber zurückziehen. Dafür wird die ehemalige Lavendelkönigin Ariane Baecker (17) kandidieren. „Sie ist unsere Zukunft“, sagt Wolfgang Riedel. Seit 1998 feiert der Verein das kleine, feine Lavendelfest auf dem Le-Cannet-Platz in der Limburger Straße. Erste Lavendelkönigin war im Übrigen Riedels Tochter Bernadette in den Jahren 1998/99.
In die Verantwortung Riedels als 1. Vorsitzenden fielen weit größere Veranstaltungen, die beiden Jubiläumsfeiern zum 45. und 50. Bestehen der Partnerschaft und insbesondere das 50-Jährige mit einem großen Festakt im HdB, einer Führung im Limburger Dom mit Orgelkonzert, dem Hessischen Abend auf der Burg und vielem mehr. Sechs bis acht Monate hätten die Vorbereitungen gedauert, erzählt Riedel. Und die französischen Gäste hätten große Augen gemacht und sich gefragt, wie sie dann beim Gegenbesuch der Königsteiner Delegation – die traditionell im Jahr nach dem jeweiligen Jubiläum stattfindet – da mithalten sollten. „Sie haben das wie immer in kurzer Zeit hinbekommen und uns mit ihrem Ausflugsprogramm geradezu überwältigt“, erzählt Riedel. Auch diese Unterschiede zwischen dem perfekten Organisieren der Deutschen und des organisierten „Laissez-faire“ der Franzosen seien „wertvoll für das Verstehen der anderen Kultur. Es ist wichtig, das zu erleben und zu lernen“, bringt Wolfgang Riedel den Sinn und Zweck einer länderübergreifenden Partnerschaft auf den Punkt.
Und wie steht es um die Städtepartnerschaft in Zeiten, in denen Deutschland aus finanziellen Gründen Goethe-Institute in Frankreich schließt und allgemein beklagt wird, dass bei Schülern die Kompetenzen in der jeweils anderen Sprache abnehmen? Riedel wiegt abwägend den Kopf. „Es fehlt uns einer wie Gaston Fischesser, der alles gemacht hat, als fester Ansprechpartner.“ Seit der langjährige Präsident auf französischer Seite – im Übrigen als letzter noch lebender Ehrenbürger Königsteins – im Februar 2023 verstorben ist, sei das Verhältnis etwas loser geworden. So sei im Moment für die kommenden drei Jahre bis zum 55. Geburtstag der Partnerschaft „nichts Großes“ geplant. Obwohl eine deutsch-französische Wanderwoche wie in diesem Juni in Oberstdorf bei anderen Vereinen sicher schon ein ganz großes Highlight wäre.
Sorgen um die Freundschaft mache er sich aber nicht: „Eine Städtepartnerschaft ist von der Politik gewollt, aber sie wird von Menschen gelebt“, sagt er. Das heißt, es kann intensivere und weniger aktive Phasen geben. Wer die Herzlichkeit erlebe, mit der die Königsteiner Delegation, zu der regelmäßig der Burgverein und die Plaschis zählen, jeweils in Frankreich empfangen wird, der wisse, dass die Freundschaft echt ist. „Wenn wir dort sind, dann geben sie ihr letztes Hemd“, sagt Wolfgang Riedel. Er muss es wissen, denn er hat Le Cannet rund 250 Mal besucht.
Seine persönlich schönste Erinnerung all dieser partnerschaftlichen Reisen? Die hat vermutlich mit dem Sport zu tun, was zu dem drahtigen, sportiven Mann, dem man die 70 so gar nicht ansieht, passt. Ende der 90er Jahre ist eine Königsteiner Delegation mit acht Teilnehmern zweimal mit dem Rad von Königstein nach Le Cannet gefahren – einmal durch das Rhonetal, das andere Mal anspruchsvoller auf der Route Napoléon über die Alpen. „Für unsere Einfahrt ist der Boulevard in Le Cannet von der Polizei abgesperrt gewesen, undenkbar bei uns, und die Bürger haben uns zugejubelt.“
Wie steht es eigentlich nach all den Jahren um seine Französisch-Kenntnisse? „Ich spreche es fließend, aber ich lese und schreibe es schlecht“, sagt Wolfgang Riedel ehrlich und schiebt eine Anekdote hinterher. Seine Sprachkenntnisse halfen ihm, der mit 60 Jahren einst der weltweit älteste Devisenhändler bei der Deutschen Bank war, mit den Bank-Kollegen in Frankreich zu verhandeln. „Sie sprechen wie ein Südfranzose“, bekam er von den vorwiegend aus dem Norden stammenden Bankern zu hören. Er durfte es als Kompliment verstehen, dass er, der Städtebotschafter aus dem Taunus, auch schon ein Teil von Le Cannet geworden ist.