Kronberg (war) – „Ich leide unter diesem Buche, je mehr ich daran arbeite. Es ist, wie wenn man mit gestutzten Flügeln fliegen oder mit Ketten an den Füßen gehen soll“. So lautete der Kommentar der Schriftstellerin Ricarda Huch über ihr Buchprojekt, das sie den Widerstandskämpfern und -kämpferinnen des Zweiten Weltkrieges widmen wollte. Doch ihre Schrift blieb unvollendet, da sie am 17. November 1947 im heute nicht mehr existierenden Gästehaus der Stadt Kronberg in der Parkstraße in Schönberg an den Folgen einer Lungenentzündung verstarb. Geboren wurde die Schriftstellerin, deren Werke in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den meist gelesenen in Deutschland gehörten, vor 150 Jahren in Braunschweig am 18. Juli 1864. Den runden Geburtstag von Ricarda Huch und ihr Tod in Kronberg waren für den Burgverein, der in diesem Jahr verstärkt Literaturthemen in sein Veranstaltungsprogramm „burgzeit“ („Texte und Töne zur Teezeit“) aufgenommen hat, der Anlass, zu einem Vortrag über die Autorin von über 50 Büchern mit insgesamt rund 12.000 Seiten einzuladen. Als Referentin konnte die Schriftstellerin Dr. Barbara Bronnen aus München gewonnen werden. Diese hat sich eingehend mit Ricarda Huch beschäftigt und ein sehr einfühlsames, aber heute leider vergriffenes Buch über ihre letzte Lebensphase ab dem Jahr 1933 unter dem Titel „Fliegen mit gestutzten Flügeln“ veröffentlicht.
Wie der Buchtitel treffend ausdrückt, konnte Huch, sobald die Nazis in Deutschland die Herrschaft übernommen hatten, nicht mehr ungehindert ihren schriftstellerischen Aktivitäten nachgehen. Bereits 1933 war sie unter Protest aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten, in der sie seit 1926 als erste Frau Mitglied war. Ihre Begründung lautete: „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll.“ Während andere Schriftsteller in dieser Zeit emigrierten verblieb sie trotz ihres deutlichen Protests weiterhin in Deutschland. Bronnen dazu: „Ricarda Huch zog sich dafür quasi in eine innere Emigration zurück.“ Andererseits musste sie sich bis zu einem gewissen Grad mit den Braunhemden arrangieren, da sie die Tantiemen benötigte. War sie doch damals die einzige, die mit ihrem Schreiben Geld verdiente, um ihre Tochter und deren Mann sowie ihren Enkel, mit denen sie seit 1927 zusammenlebte, versorgen zu können.
Einen Namen gemacht hatte sich Ricarda Huch, die nach ihrem Studium der Philosophie und Geschichte an der Universität Zürich als einer der ersten Frauen im Fach Geschichte promoviert hatte, durch ihr zweibändiges Werk über die Romantik, das in den Jahren 1899 bis 1902 erschien. Bronnen hält es für ihr schönstes Werk: „Huch zeigt hier ein sehr feines Gespür für die inneren Zusammenhänge der Romantik“. Als Höhepunkt ihres Schaffens gelten ihre drei Bände über den Dreißigjährigen Krieg, die sie kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs veröffentlichte. Hier wird das perfekte Zusammenspiel ihres historischen Wissens und ihrer erzählerischen Begabung deutlich. Sehr verbreitet waren zudem ihre religionsphilosophischen Schriften sowie Städtebeschreibungen. Ihr Kriminalroman „Der Fall Deruga“ wurde sogar verfilmt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie mit ihren Angehörigen in Jena verbracht hatte, setzte Huch zunächst erwartungsvoll auf den demokratischen Neubeginn in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), aus der 1949 die DDR hervorging. Doch schon bald bemerkte Huch die zunehmenden Repressionen. Dazu Bronnens Kommentar: „In einem Brief an eine Freundin schrieb sie im Jahr 1947: ‚Du ahnst nicht, wie unendlich schwer alles in diesem Sklavenlande ist. Man ist ebenso gefesselt, wie man die zwölf Jahre vorher war.‘“ Bis dato hatte sie noch gezögert die SBZ zu verlassen. Ende Oktober 1947 nahm sie dann aber die Gelegenheit wahr, mit ihrer Tochter über Berlin in den Westen auszureisen, nachdem sie dort zuvor als Ehrenpräsidentin dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses vorgestanden hatte. Nicht zuletzt wollte ihre Tochter endlich wieder mit ihrem Sohn und Mann Franz Böhm zusammen leben. Letzterer war bereits seit längerem nach Westdeutschland umgesiedelt und hatte von November 1945 bis Februar 1946 als Minister für Kultur und Unterricht in Hessen fungiert, um danach als Professor an der Frankfurter Universität tätig zu sein. Böhm hatte wohl auch für das Quartier im Gästehaus der Stadt Frankfurt in Schönberg gesorgt. Dort kam Ricarda Huch mit ihrer Tochter nach einer sehr anstrengenden und unbequemen Zugreise am 27. Oktober 1947 an. Die zugige Bahnfahrt hatte die Gesundheit der nunmehr 83-jährigen Schriftstellerin wohl zu sehr belastet. Die Folge war eine Lungenentzündung, von der sie sich nicht mehr erholen konnte. Ihre größte Sorge war jetzt, dass sie ihr eingangs erwähntes Werk über den Widerstand im Dritten Reich nicht mehr selbst abschließen konnte, obwohl ihr an dem Thema so viel gelegen hatte. Bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie noch daran im Gästehaus in der Parkstraße.
Am 17. November 1947 verstarb Ricarda Huch in Schönberg. Beerdigt ist sie in einem Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.