„Gestalten Sie die digitale Welt sinnvoll, bevor es andere sinnlos tun!“

Beim Frühlingsforum der Freien Unternehmerinnen beleuchtete dieses Quintett die Vor- und Nachteile der zunehmenden Digitalisierung. Foto: S. Puck

Kronberg (pu) – Obwohl inzwischen in aller Munde, scheiden sich an der fortschreitenden Digitalisierung die Geister. Die einen zeichnen Horrorszenarien, andere sprechen von großen Chancen.

Das seit 2001 existierende Netzwerk Freie Unternehmerinnen Kronberg, das regelmäßig hochaktuelle Themen beleuchtet, sei es Patientenverfügung, Marketing-Instrumente oder die unterschiedliche Sprache von Männern und Frauen, nahm die Materie dieser Tage unter der Überschrift „Arbeitswelt 4.0 – Freiheit oder Belastung? – Herausforderungen in der digitalen Welt“ näher unter die Lupe. Dazu hatten die Organisatorinnen Prof. Dr. Torsten Klein, Teilhaber der Beratungs- und Weiterbildungsgesellschaft KonzeptB, der sowohl traditionelle Unternehmen als auch Start-Up-Unternehmen berät, als Referent in die Stadthalle geladen. Die Technik macht‘s möglich, in unzähligen Fällen ist es bereits in Fleisch und Blut übergegangen, die im Lied des deutschen Singer-Songwriters Tim Bendzko „Nur noch kurz die Welt retten, noch 148 Mails checken“ beschriebene ständige Erreichbarkeit. Ob am Frühstückstisch oder beim Schlafen gehen, völlig selbstverständlich werden eingehende berufliche Nachrichten und E-Mails – Freizeit hin, Freizeit her – unverzüglich bearbeitet.

Deutschland noch bei den Schlusslichtern

Studien zufolge nimmt man am Tag im Durchschnitt 80 Mal das Smartphone sogar zur Hand, obwohl kein Eingang einer neuen Nachricht angezeigt wird. Vieles läuft parallel, inzwischen werden statistisch gesehen nicht nur Fachkräfte alle 6 bis 8 Minuten bei der eigentlichen Arbeit unterbrochen, sondern auch Sachbearbeiter. Dabei ist die Digitalisierung in deutschen Unternehmen, wie Klein anhand weiterer Studien aufzeigte, im Prinzip noch in den Anfängen. Im Gegensatz zu Indien, USA, Südkorea oder Brasilien zähle Deutschland zu den Schlusslichtern der Entwicklung. Lediglich bei 6 Prozent der deutschen Unternehmen ist demnach Digitalisierung Top-Thema, 40 Prozent der Führungskräfte scheuen sich laut Analysen vor radikalen Entscheidungen, was, so Klein, die Digitalisierung keinesfalls beflügele. Bei 65 Prozent der Unternehmen stünden bisher veraltete Strukturen im Weg. Anhand von vier Kategorien, von Non- bis Maxi-Digital, zeigte er die jeweiligen Veränderungen im Arbeitsalltag sowohl für Führungskräfte als auch Arbeitnehmer auf, die laut Klein, der damit auch Ängste zu nehmen versuchte, keinesfalls schlagartig erfolgen müssen. Unbestritten sei vielerorts der Handlungsbedarf erkannt, im Großteil der Unternehmen würden sich auch Personen mit entsprechender Qualifikation sowie die technische Ausstattung finden. Häufig scheitere es, besonders auch in mittelständischen Betrieben, jedoch noch an der durchgreifenden Umsetzung.

Ganz anders dagegen weltweite Vorreiter wie Facebook, Google, Amazon, um nur einige zu nennen, die Menschen anziehen, die „die digitale Welt als Lebensinhalt begreifen“. Seine Empfehlung: „Gestalten Sie die digitale Welt sinnvoll, bevor es andere sinnlos tun!“

Nachteile und Chancen

Zur anschließenden Diskussion gesellten sich zu Klein und Moderatorin Andrea Mohr die Psychologin Nicola Elsner, die Osteopathin Andrea Mira Jegoroff und die systemische Beraterin Beatrice Thomas auf das Podium. Sie betrachteten die unterschiedlichen Blickwinkel detaillierter, hinterfragten Konsequenzen und sich verändernde Rollen für Unternehmer, Arbeitnehmer, Selbstständige und die Gesellschaft kritisch und bezogen das Publikum mit ein. Dabei kamen die Vorteile wie effizientere Erledigung administrativer Aufgaben, mehr Flexibilität durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen (zum Beispiel Home Office) ebenso zur Sprache wie künftig erwartete flache Hierarchien, weniger Gewerberäume oder wegfallende Berufe. Herausforderungen der Digitalisierung, die Lösungen erfordern. Dazu sei Initiative, Eigenverantwortung und Selbstkompetenz gefragt. „Priorisierung und Balance hat sehr viel mit Selbstführung zu tun“, betonte Beatrice Thomas. Dieser Gesichtspunkt sei aus ihrer Sicht alles andere als Zukunftsmusik, sondern schon gegenwärtig notwendige Maßnahme. „Es ist doch heute schon eine Herausforderung, sich abzugrenzen.“ Die Praxis von Osteopathin Andrea Mira Jegoroff suchen Menschen mit Nacken- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden, Kopfschmerzen, Ellenbogen- und Handbeschwerden auf und sie macht sich keine Sorgen, künftig weniger Arbeit zu haben. Sie sieht zum einen Arbeitgeber in der Pflicht, durch Computerbrillen und Ähnliches mehr auf die Gesundheit der Angestellten zu achten, zum anderen sei jeder sein eigener Arzt, weil er am besten beurteilen könne, wann Abschalten notwendig sei. Nicht zu vergessen lebensrettende Maßnahmen, wie beispielsweise der Hausnotruf.

Nach den Worten von Nicola Elsner, Psychologin, Ingenieurin, Beraterin für Personal-Assessment und einiges mehr, wird sich die Rolle von Führungskräften dahingehend verändern, dass sie künftig mehr motivieren statt kontrollieren. Nichtsdestotrotz sieht Prof. Dr. Torsten Klein aktuell keine Anzeichen dafür, dass es selbst für qualifizierte Mitarbeiter bald nur noch befristete Arbeitsverträge gebe und was die sozialen Kontakte zu Kollegen betreffe: regelmäßige Meetings könne man auch einfordern.

Das Fazit der Veranstaltung: die Zukunft wird bekanntlich von Visionären gestaltet, die technischen Voraussetzungen sind das eine, es kommt auf die richtigen Rezepte an, damit bei der Digitalisierung die menschliche Komponente nicht zu kurz kommt.

Die Freien Unternehmerinnen werden, wie im Nachgang bekannt wurde, 150 Euro aus den Einnahmen der Veranstaltung spenden, um das Preisgeld der nächsten Frauenpreisträgerinnen aufzustocken und auch als Unternehmerinnen das ehrenamtliche Engagement damit zu würdigen.



X