Kronberg (war) – Mit der Mittelburg verfügte die Kronberger Adelsfamilie über ein sanitär gut ausgestattetes Anwesen. Immerhin waren in der schlossartigen Burganlage zwei Aborte vorhanden. Doch solcher Komfort war früher eher Ausnahme denn Regel. Wie der Umgang mit Exkrementen in früheren Zeiten aussah, darüber referierte vor kurzem der Historiker Dr. Benjamin Laqua aus Kronberg auf Einladung des Burgvereins. Sein Thema lautete: „Aborte und Kloaken in deutschen Städten des späten Mittelalters“. Eingangs verwahrte sich der Referent vor einem stark verzerrtem Mittelalterbild, das heutzutage über die hygienischen Bedingungen von damals nach wie vor besteht: „Auch wenn in früheren Zeiten keine allzu effiziente Entsorgung menschlicher Ausscheidungen existierte, lässt sich das pauschale Bild schmutzstarrender Städte so nicht aufrecht erhalten. Es spiegelt vielmehr einen klischeebeladenen Kenntnisstand wider, den es auf Grund neuer Forschungsergebnisse zumindest teilweise zu revidieren gilt.“ Sicherlich wird es in größeren Ansiedlungen des Mittelalters stärker gerochen – um nicht zu sagen gestunken – haben und weit mehr Fäkalien öffentlich sichtbar gewesen sein als heute, dennoch existierte bei der Stadtbevölkerung in jenen Zeiten durchaus ein Problembewusstsein beispielsweise dafür, dass die Qualität des Trinkwassers starken Einfluss auf die Gesundheit hatte. Die Entsorgung von Fäkalien und sonstigem Unrat wurde primär über die Flüsse abgewickelt. Aus Zürich und Freiburg sind Abbildungen überliefert, die Aborterker über fließendem Gewässer zeigen. War dies nicht möglich, kamen in vielen Städten so genannte Ehgräben zum Einsatz. Das waren offene Abwassergräben zwischen zwei Häuserzeilen, in denen die Exkremente abgeleitet wurden. Durch Regenwasser wurde der Unrat dann zu zentralen Abwasserkanälen oder Wasserläufen geführt. Wegen der Geruchsbelästigung wurden letztere im Laufe der Jahrhunderte vielfach mit Steinplatten oder anderen Werkstoffen zugedeckt und „Dolen“ genannt. Für den Bau dieser kostspieligen Dolen schlossen sich in der Regel die Nachbarn eines Straßenzuges zu „Dolengemeinschaften“ zusammen. „In Köln sind bereits im 13. Jahrhundert genossenschaftliche Vereinigungen zur Abwasserentsorgung im Zuge von Immobiliengeschäften nachweisbar“ so Laqua. Die Entsorgung von Schmutzwasser, Fäkalien und anderen Abfällen war im Mittelalter zunächst vorrangig Privatangelegenheit. Die Anlage von erdeingetieften Fäkalgruben, die überwiegend mit Steinen ausgemauert oder mit Holzbrettern ausgeschalt waren, erforderten häufig Absprachen zwischen den Nachbarn. So kam es in den eng bebauten Städten oft vor, dass mehrere Haushalte an eine Abortgrube angeschlossen waren und demzufolge für deren Wartung gemeinsam aufzukommen hatten. Da diese Konstellation häufig zu Konflikten führte, verwundert es nicht, dass mit dem Anwachsen der Städte deren Verwaltungsbehörden die Abfall- und Fäkalienbeseitigung zunehmend reglementierten. So wurde bereits im 14. Jahrhundert in Prag die regelmäße Abfuhr des Unrats per Karren eingeführt. In Frankfurt waren für die Reinigung der Latrinen die „Heymlichkeitsfeger“ zuständig, welche die gesammelten Fäkalien nur an bestimmten Stellen im Main entsorgen durften. In einem städtischen Ratserlass von 1481 wird betont, dass ein sauberes Erscheinungsbild gerade für eine Messestadt, die regelmäßig viele auswärtige Gäste empfängt, unerlässlich und dem Image förderlich sei. In Augsburg, Köln und Nürnberg war laut Ratsbeschluss die Grubenentleerung nur im Winter und bei Nacht erlaubt, um die Geruchsbelästigung zu minimieren. Wert wurde vielerorts darauf gelegt, dass Abortgruben und Brunnen weit genug voneinander entfernt waren, um einer Grundwasserverunreinigung vorzubeugen. In München mahnte 1491 der Rat eindringlich beim Anlegen von Abortgruben vorhandene wasserundurchlässige Lehmschichten nicht zu durchstoßen. Erst im 19. Jahrhundert änderten sich die Rahmenbedingungen in den Städten grundlegend mit der Installation effizienter Entsorgungssysteme wie Anschluss der Häuser an eine umfassende Kanalisation und Aufbereitung der Fäkalien durch entsprechende Klärtechniken. „Doch sollten wir nicht vergessen, dass laut der Weltgesundheitsorganisation WHO noch heute rund 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberen Toiletten haben“, gab der Referent zum Schluss seiner Ausführungen zu bedenken.
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