Kronberg (war) – „Zweiter Weltkrieg heißt Bombenkrieg“ – so die Eingangsthese von Gerhard Raiss, dem Stadtarchivar und Leiter des Stadtmuseums in Eschborn. Raiss, Experte für den Luftkrieg im Rhein-Main-Gebiet während des II. Weltkriegs, referierte vor kurzem auf Einladung des Geschichtsvereins vor sehr interessiertem Publikum. Schließlich hatten viele der älteren Zuhörer und Zuhörerinnen altersbedingt die Kriegsereignisse zwischen 1939 und 1945 noch selbst „live“ miterlebt und wurden dadurch entsprechend von den in Bild und Wort gemachten Ausführungen des Referenten emotional berührt. Das zeigte sich nicht zuletzt in der lebhaften Diskussion, die sich dem Referat anschloss. Zunächst machte Raiss auf ein zentrales Dilemma bezüglich seiner Recherchen aufmerksam: „Grundsätzlich ist ein Historiker nur so klug, wie ihn die Zeitquellen dazu machen. Diesbezüglich hat Hermann Göring, der Chef der Luftwaffe im Dritten Reich, uns Forschern einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn dieser rief zu Kriegsende das Motto aus ‚Keine Akte, kein Papier fällt dem Feind in die Hände!‘ Dieser Befehl wurde mit deutscher Gründlichkeit befolgt und so ist auf unserer Seite wenig erhalten geblieben. Weit besser sieht die Archivlage hingegen bei den Alliierten, sprich den Engländern und Amerikanern, aus. In deren Militärarchiven findet sich viel Material zum Luftkrieg im Rhein-Main-Gebiet, wenn auch häufig sehr unsystematisch abgelegt, was die Recherche oft ungemein erschwert.“
Der zweite Weltkrieg begann offiziell mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen am 1. September 1939. Bereits am 11. September überflogen englische Flieger Schönberg, um Flugblätter abzuwerfen. Zu dieser Zeit existierten bereits zahlreiche Löschwasserstellen und Luftschutzräume in Kronberg, Schönberg und Oberhöchstadt, um für etwaige Bombenangriffe aus der Luft gewappnet zu sein. An zentralen Stellen waren zudem Sandhaufen zum Löschen von Brandbomben eingerichtet worden. Zusätzliche Sanddepots waren in allen Häusern vorzuhalten. Fenster waren nachts zu verdunkeln und die Straßenbeleuchtung wurde abgedunkelt. Neubauten durften nicht mehr hell verputzt oder angestrichen werden. Fliegerabwehrkanonen (Flak) standen auf der Schönberger Heide sowie direkt auf der Straße von Oberhöchstadt nach Oberursel. Im Juni 1940 galt ein Fliegerangriff der Briten dem Munitionslager für Flakmunition, das sich getarnt im Wald auf dem Gebiet der heutigen Waldsiedlung unweit von Oberhöchstadt befand. Damals gingen zahlreiche Brand- und Sprengbomben nieder. Unpräzise abgeworfene Bomben führten zu ersten Schäden im Ort. Ab jetzt gab es ständig Fliegeralarm. Raiss dazu: „Die Engländer flogen nachts Angriffe, die Amerikaner tagsüber. Erstere nahmen sich primär zivile Ansiedlungen vor, letztere konzentrierten sich auf strategisch relevante Objekte, dazu zählten insbesondere der ab 1937 eingerichtete Militärflughafen der Wehrmacht in Eschborn, die Deutz-Motorenwerke in Oberursel (jetzt Rolls-Royce) und die Opelwerke in Rüsselsheim neben bedeutenden Infrastruktureinrichtungen wie Eisenbahnlinien, Autostraßen und Brücken.“ Ab Frühjahr 1943 nahmen die Luftattacken aus der Luft erheblich zu. Das Hauptziel war zwar Frankfurt, doch insbesondere nachts kam es zu vielen Fehltreffern, die auch auf Kronberger Gebiet abgingen. Die Bombenabwürfe wurden von alliierter Seite genau aufgelistet und selbst in der Nacht fotographisch festgehalten. Tagsüber machten dann Aufklärungsflieger erneut Aufnahmen und überprüften die Trefferquoten. Die alliierte Luftwaffe wusste laut Raiss schon bald sehr genau Bescheid über die lokalen Gegebenheiten am Boden, nicht zuletzt durch Ausfragen von Gefangenen. Fünf Kronberger fanden im August 1943 durch eine Flakgranate den Tod. Von offizieller Seite wurde das verschwiegen. Im November 1943 setzen dann Brandbomben fünf Scheunen auf Kronberger Gemarkung in Brand, auch den Schafhof traf es. Nebenbei fielen Bomben in den Esskastanienhain im Buchholz. Da es wetterbedingt dort sehr feucht war, entstand im Wald zum Glück kein größeres Feuer. Auch die Burgkapelle wurde damals schwer getroffen. Die Folge: Zahlreiche wertvolle Grabmäler wurden irreparabel zerstört. Aus Frankfurt kamen jetzt unzählige Ausgebombte, um in Kronberg einquartiert zu werden, teilweise per Zwang. Alleine im Juni 1944 hatte Kronberg rund 1.400 Wohnungslose aufzunehmen. Auch wurden Büros und Betriebe von Frankfurt nach Kronberg ausgelagert. Selbst in Gasthöfen und sogar im Schloss Friedrichshof wurden Räume für diesen Zweck beschlagnahmt. Im Mai 1944 wurde das Waldschwimmbad wegen unzureichenden Luftschutzes geschlossen. Fast 500 Mal ertönten 1944 die Sirenen in Schönberg wegen Fliegeralarms. Entlang der Landstraßen von und nach Kronberg wurden Deckungsgräben ausgehoben, die bei dem zunehmenden Beschuss durch Tiefflieger Schutz bieten sollten. Eisenbahnlinien waren bevorzugte Ziele dieser heimtückischen Attacken aus niedriger Höhe. Ende 1944 konnte in Kronberg bereits der Kanonendonner von der Westfront her vernommen werden. Noch kurz vor Kriegsschluss fanden am 23. März 1945 in einer Baracke beim Hofgut Hohenwald 24 Menschen den Tod, als durch einen Tieffliegerangriff erneut das Munitionsdepot bei Oberhöchstadt angegriffen wurde.
Am 29. März 1945 – es war Gründonnerstag – zogen die Amerikaner von Eschborn und Steinbach kommend in Kronberg mit Panzern und Jeeps ein. Damit fand der Luftkrieg zum Glück für die Bevölkerung endlich ein Ende. Hätte es ein schöneres Ostergeschenk geben können?