Schönberg (pf) – Die schlechten Erfahrungen, die die Kronberger in den 90er-Jahren mit den Flüchtlingscontainern neben der Altkönigschule machten, sind nicht vergessen. Die Angst vor erneuten Belästigungen und Drogenproblemen durch eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände des Religionspädagogischen Zentrums in Schönberg sitzt tief. Das wurde Sonntagmorgen in der Gemeindeversammlung deutlich, zu der der Kirchenvorstand der evangelischen Markus-Gemeinde eingeladen hatte. Anlass war die Anfrage der Stadt Kronberg an die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, im Bettenhaus auf dem Gelände Im Brühl 30 Flüchtlinge unterzubringen.
„Eine Entscheidung über die Nutzung soll nicht ohne das Votum der Kirchengemeinde vor Ort getroffen werden“, sagte Dr. Axel Gollnick, der Vorsitzende des Kirchenvorstands der Markus-Gemeinde. Das Gelände gehört der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und ist im Bebauungsplan als „kirchliches Sondergebiet“ ausgewiesen. Das bedeutet, es darf ausschließlich für kirchliche, erzieherische, kulturelle oder diakonische Zwecke genutzt werden. Unter diesem Vorbehalt war die Villa Spieß 1962 an die EKHN verkauft worden. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Verwertung des Areals, nachdem das RPZ vor eineinhalb Jahren geschlossen wurde. „Wir wollen eine Lösung finden, die für sich selbst spricht“, zitierte Dr. Gollnick Kirchenpräsident Dr. Volker Jung.
Oberkirchenrat Markus Keller, Leiter der Liegenschaftsverwaltung der EKHN in Darmstadt, berichtete, dass sich bisher eine englische Privatschule, eine psychosomatische Klinik und eine Stiftung für behinderte Kinder für das Gelände interessiert hätten. Alle Pläne hätten sich jedoch nicht realisieren lassen, weil entweder die Verkehrslage nicht passte, das Sicherheitskonzept nicht ausreichte oder ein räumliches Miteinander im Tagungshaus nicht praktikabel war.
Für eine Nutzung als Flüchtlingsunterkunft sei die Kirche natürlich offen, versicherte er. Schließlich seien sie als Christen verpflichtet zu helfen. „Es muss vor Ort passen“, sagte Keller. Nach einer gemeinsamen Besichtigung des Bettenhauses mit seinen 44 Appartements, von denen sechs über zwei Betten verfügen, also 50 Menschen Platz bieten, wäre diese Nutzung denkbar. Das Kellergeschoss des Tagungshauses sei inzwischen an den Karnevalverein vermietet, das Erdgeschoss könnte die Markusgemeinde weiter nutzen, im Obergeschoss könnte das Feuermann-Konservatorium unterkommen, das Jugendhaus könnte man abtrennen und der Flüchtlingsunterkunft zuordnen.
„Ein schönes Gebäude mit einem hohen Standard“, fand auch Kreisbeigeordnete Katrin Hechler. Einen Teil des Tagungshauses könnte man für Küchen nutzen, das müsse man sehr genau planen. Die 91 Flüchtlinge, die die Stadt Kronberg ab September aufnehmen muss, machten noch nicht einmal ein halbes Prozent der Bevölkerung aus, rechnete sie vor. „Es sind Menschen auf der Flucht, die zur Ruhe kommen wollen. Sie werden nicht auffallen, wenn man sie nicht zum Problem macht. Sie kommen als Flüchtlinge, werden aber schnell zu Nachbarn und Freunden werden“, meinte sie.
Diese Erfahrungen hat bereits die Königsteiner Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer gemacht. In der Nachbarstadt kümmert sich der Freundeskreis Asyl um 23 Flüchtlinge, betreut sie als Paten. Sie sei total überrascht gewesen von dem Zuspruch und der großen Hilfsbereitschaft. Seit 23 Jahren sei sie jetzt Pfarrerin in Königstein, aber durch den Freundeskreis Asyl habe sie so viele neue Menschen kennen gelernt wie nie zuvor. Die Flüchtlinge lernten alle Deutsch, seien hilfsbereit und höflich – „viel höflicher als viele Deutsche“, merkte sie an – die fünf Kinder der drei Flüchtlingsfamilien besuchten die Schulen und zwei von ihnen seien inzwischen in der Hauptschule Klassenbeste. „Sie haben zum Teil Schreckliches erlebt“, sagte die Pfarrerin und fügte hinzu: „In Wahrheit sind sie unsere neuen Mitbürger.“
Bürgermeister Klaus Temmen hatte zu Beginn der Gemeindeversammlung auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Stadt 91 Flüchtlinge aufnehmen muss. Sie in Wohnungen unterzubringen bezeichnete er als utopisch. „Ich habe mir schon die Finger wund telefoniert“, sagte er. Derzeit werde mit dem Kreis und den Eigentümern überlegt, eine Sammelunterkunft in der Dieselstraße 5 in Oberhöchstadt zu schaffen. Wenn es nicht gelingt, Unterkünfte für die Flüchtlinge zu finden, bleibe nur die Option, Container aufzustellen. „Aber ein Containerdorf wäre die schlechteste aller Lösungen.“
Begeistert zeigte sich Temmen von der großen Bereitschaft der Mitglieder aus über 20 Institutionen, die sich Mittwochabend in der Stadthalle getroffen hatten, im Arbeitskreis Flüchtlingshilfe mitarbeiten zu wollen. Sie werden sich in den Bereichen Unterbringung und Wohnen, Integration sowie Sprache und Bildung engagieren und sich unmittelbar nach den Sommerferien in einer öffentlichen Veranstaltung vorstellen, zu der die Stadt einladen wird.
„Warum hat die Stadt nicht schon früher zu einer solchen Veranstaltung eingeladen“, kam ein Zwischenruf aus dem Publikum, der mit Applaus bedacht wurde. „Nicht ist wichtiger als Aufklärung“, betonte auch Rechtsanwalt Stephan Haack aus der Wiesenau und präsentierte dem Bürgermeister und der Kreisbeigeordneten gleich einen ganzen Fragenkatalog. Vor allem wollte er wissen, welcher konkrete Personenkreis kommen wird, alleinstehende Männer, Frauen, Familien, welchen Alters. Ob nach den negativen Erfahrungen mit den Containerunterkünften an der Altkönigschule mit Drogenproblemen zu rechnen sei, schließlich führe der Schulweg vieler Kinder durch das Gelände des RPZ. Und er wollte wissen, ob das Bettenhaus überhaupt für die Unterbringung von Familien geeignet sei.
Katrin Hechler versicherte, dass es eine Mischnutzung geben werde. Zwei Drittel der Flüchtlinge seien Männer, es werde aber auch Frauen geben, Frauen mit Kindern, Schwangere und Familien. Gerade für Frauen seien die Appartements im Bettenhaus besonders geeignet, weil alle ein eigenes Badezimmer haben.
„Ich habe Angst, als Frau nachts alleine nach Hause zu gehen, wenn nur Männer in dem Haus wohnen, Männer, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen“, erklärte eine Schönbergerin. Eine andere Schönbergerin befürchtet, dass ihre Wohnung, gleichzeitig ihre Altersversorgung, an Wert verlieren werde, wenn die Flüchtlingsunterkunft kommt. Zehn Jahre seien ein langer Zeitraum, in dem sich das Bild des Wohngebietes verändern werde. Zwei junge Mütter sagten, sie hätten Angst um ihre Kinder.
Bedenken äußerte auch Jens Fehring, der in der Wiesenau wohnt. Er hat die dramatischen Probleme mit dem Containerlager an der Altkönig-Schule noch als Schüler miterlebt. Jetzt habe er zwei kleine Kinder, drei und vier Jahre alt, und fürchte um ihre Sicherheit. Das Gelände liege in einem reinen Wohngebiet und er frage sich, ob dies der geeignete Ort für die Unterbringung von Flüchtlingen sei. „40 alleinstehende Männer – da haben wir etwas dagegen“, sagte er und überreichte dem Bürgermeister einen entsprechenden Brief mit 79 Unterschriften von Nachbarn.
„Es wird eine Mischung geben“, versicherte Katrin Hechler erneut. „Wenn es Probleme geben sollte, werden die Flüchtlinge getrennt und verlegt“, versprach sie und appellierte: „Geben sie den Menschen eine Chance, ehe sie sie verurteilen und zu Kriminellen machen.“
Pfarrer Dr. Jochen Kramm, selbst unmittelbarer Nachbar des Bettenhauses, bot an, man könne ihn jederzeit anrufen, wenn es Probleme geben sollten. „Es kommen Menschen“, sagte er. „Die sollten wir in unsere Mitte nehmen, nicht ausgrenzen und an den Rand abschieben.“ Es gab aber nicht nur Bedenken, sondern auch die Bereitschaft aktiv mitzuarbeiten. Um die Angst vor dem Fremden zu nehmen, bot eine Schönbergerin einen Gesprächskreis an. Ein Mann erinnerte an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als seine Eltern ausgebombt nur mit zwei Koffern nach Kronberg kamen und auf Hilfe angewiesen waren. Und ein Vertreter von amnesty international erinnerte daran, dass es seinerzeit in der Containerunterkunft an der Altkönigschule keine Betreuung gab, die Flüchtlinge nur eine Dusche für hundert und eine Toilette für 50 Leute hatten. Damals hatte der Kreis das Gelände an einen Betreiber verpachtet, der sehr gut an den Flüchtlingen verdiente. Und Drogenprobleme, wusste ein anderer, gäbe es auch ohne Flüchtlinge. Sie kämen schließlich als Kriegsflüchtlinge und seien keine Drogenhändler.
Bis September, zeigte sich Oberkirchenrat Keller optimistisch, sei eine Entscheidungsfindung möglich. Es gehe um ein gesamtgesellschaftliches Thema, das es zu lösen gelte, betonte noch einmal Bürgermeister Temmen. Das werde seine Zeit brauchen. Auch Königstein werde weitere 80 Asylbewerber bekommen, sagte abschließend Pfarrerin Stoodt-Neuschäfer und lud alle Interessierten zu einem Grillfest mit ihren „Asylis“ am 6. August auf das Gelände hinter der Immanuelkirche am Burgweg ein. Da könnten sich alle aus erster Hand informieren. „Und ich beneide sie um ihr Bettenhaus.“
Rechtsanwalt Stephan Haack hatte in der Gemeindeversammlung in der Markus-Gemeinde einen ganzen Fragenkatalog zum Thema Flüchtlingsunterkunft, den er der Kreisbeigeordneten Katrin Hechler (rechts am Tisch) überreichte. Neben ihr standen Bürgermeister Klaus Temmen, Oberkirchenrat Markus Keller und Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer als Ansprechpartner zur Verfügung.
Foto: Wittkopf