Das RPZ war einst eine Flüchtlingsunterkunft

Die Schönberger Villa im Brühl, 1956 von einem holländischen Vetter der Familie gezeichnet. Foto: privat

Kronberg. – In der Schönberger Villa meiner Großeltern Spieß lebten wir als kinderreiche Familie mit weiteren Verwandten, die bereits im Krieg zu uns gezogen waren. So waren wir also schon etwa 20 Bewohner, als uns nach 1945 weitere 22 Vertriebene (5 Familien) zugewiesen wurden. Das Haus war 1900 eigentlich als reines Sommerhaus für eine einzelne Familie mit Kindern und Personal gebaut worden und nun sollten hier plötzlich 42 Menschen in 8 Haushalten unterkommen. Es fehlten natürlich überall Toiletten, Waschtische (an Bäder war gar nicht zu denken), Kochmöglichkeiten, Heizung und vor allem Zimmer. Dafür wurden nun überall Trennwände eingezogen und improvisierte Wohneinheiten in den Bestand hineingezwängt. Unsere Flure waren mit den Möbeln aus den aufgegeben Zimmern vollgestellt. Aus vielen Fenstern ragten inzwischen Ofenrohre, Wasserleitungen wurden über Putz verlegt, die Sicherungen knallten alle paar Tage durch und für die Waschküche gab es einen rigorosen Belegungsplan. Meine Mutter führte ein strenges Regiment und schaffte so ein relativ friedliches Nebeneinander, was aber wegen der Enge gelegentlich dennoch zu Reibereien unter den Hausbewohnern führte. Wir Kinder konnten bei den neuen Mitbewohnern das Improvisieren lernen und sehen, wie man mit einfachsten Mitteln Verschläge baut, die sie für das gesammelte Brennholz und allerlei Gehamstertes brauchten. Regelmäßig kam ein holzvergaser-getriebener Eigenbau mit Bandsäge vorbei, um ihre irgendwo „organisierten“ Baumstämme fürs Holzhacken zu zerkleinern. Auch wurden per Pferdefuhrwerk Eisstangen geliefert, die – zerkleinert – in den Schubladen ihrer selbst gebastelten „Eis“-Schränke landeten. Besonders erinnere ich mich an die endlosen Wäscheleinen mit interessanten Wäschestücken und an unbekannte Küchengerüche wie Schellfisch, Knoblauch, Zwiebeln sowie die Düfte aus der Waschküche, was alles zusammen – kaum gefiltert – durchs ganze Haus waberte. Eine weitere Erfahrung für uns Geschwister war die komische Art, Deutsch zu sprechen, da wir natürlich die Dialekte aus dem Sudetenland, Hinterpommern und Schlesien noch nie gehört hatten.

Die neuen Kinder waren sehr willkommen als Verstärkung unseres Indianer-Stamms (zum Kampf gegen die Trapper vom Roten Hang) und für Seifenkistenrennen auf umgebauten Leiterwagen. Für die Eltern und Großeltern war das alles natürlich eine riesige Belastung und dramatische Umstellung. Sie haben sich nach meiner Erinnerung aber nie beklagt.

P.S. Dass wir unser Haus überhaupt noch besaßen, anders als die übrigen, bereits enteigneten Schönberger Villenbesitzer, lag an meiner amerikanischen Tante: Als der Panzer der US-Armee sein Rohr auf unser Haus schwenkte und der Colonel den üblichen Befehl erteilen wollte, die Villa innerhalb von 24 Stunden zu verlassen, erschien sie und gab dem entsetzten Mann zu verstehen, dass bei uns TBC - und Diphterie-Verdacht bestünde, da ihr Schwiegervater, der alte Geheimrat Spieß, im Haus seine Arztpraxis betreibe. Sie kannte ihre Landsleute!

Nach dem Tod meiner Großmutter Ella Spieß 1963 wurde das Anwesen übrigens an die evangelische Landeskirche verkauft, weil diese, anders als ein Immobilienentwickler, die Villa samt Park erhalten wollte.

Herbert Luchting



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