“Unser” kleines und feines Literaturfestival „UkufL“ – allen Widrigkeiten zum Trotz ein Erfolg

Sonntägliche musikalische Untermalung zum Thema Jazz Foto: privat

Peter Kemper liest aus seinem Buch „Sound of Rebellion“ vor. Foto: privat

Kronberg (mg) – Das „kleine und feine Literaturfestival“ (UkufL) der Kronberger Bücherstube fand Anfang Mai statt. Nun ist der Mai an sich der sogenannte „Wonnemonat“; gleichwohl hat der diesjährige bis dato allerhand Regenreiches, Nasses und Erkältetes im Sortiment. So begann auch am Donnerstag, 2. Mai, das Literaturfest von Dirk Sackis und seinem Team in der Friedrich-Ebert-Straße 5 abends zu ungünstigen Wetterverhältnissen. Die zahlreichen Tiere im Zoo um die Kronberger Ecke wurden bereits ab den späten Nachmittagsstunden instinktiv unruhig. Der Horizont über den Frankfurter Stahlbetontürmen färbte sich einheitlich dunkelgrau, und das erste Gewittergrollen samt Wetterleuchten ließ nicht lange auf sich warten. Kronberg wurde selbst immer „dunkler“, die Straßen menschenleer. Zahlreiche Einzelhändler und Gastronomen schlossen wegen der Unwetterwarnung ein „gutes Stück“ früher. Gleichzeitig gab es einen Ort, der einiges an Licht und womöglich intellektueller und unterhaltender Erleuchtung im Angebot hatte: die frisch renovierte „Literaturscheune“ der Kronberger Bücherstube im Hinterhof der Buchhandlung. Dieses literarische Refugium soll zukünftig häufiger Lesungen und Veranstaltungen einen gemütlichen und passenden Rahmen bieten. Auch an diesem Abend schloss niemand die Scheune ab, denn der „Opener“ des „UkufL“, die Autorin und Malerin Simone Frieling, war ab 19.30 Uhr pünktlich zu Gast und las aus ihrem aktuellen Werk „Mit den Augen einer Frau“ vor. Die Lesung war trotz des Unwetters sehr gut besucht, vielmehr fast ausverkauft. Soll noch mal behauptet werden, Kronbergerinnen würden keine Hürden auf sich nehmen, um Kultur zu erleben. Kronbergerinnen deshalb, da bis auf vier Personen – darunter Dirk Sackis und der Redakteur dieser Zeitung – an diesem Abend sämtliche Gäste weiblich waren. Das lag womöglich gleichzeitig auch am vorgestellten Werk, in dem drei Frauen die engagierten Hauptrollen spielten. Frieling stellte Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker und Ottilie W. Roederstein biographisch und kunsthistorisch vor. Die drei Künstlerinnen gehörten zur ersten Generation von Malerinnen, die – professionell ausgebildet – den Kunstmarkt veränderten. Durch den Umstand, dass die Autorin selbst bildende Künstlerin ist, fand sie hierdurch sehr wahrscheinlich einen besonderen Zugang zu den drei genannten Persönlichkeiten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es für Frauen kompliziert, als Künstlerin zu arbeiten. Das damalige Bürgertum ging zumindest offiziell davon aus, dass Frauen nicht imstande waren, „Großes hervorzubringen“. Aus diesem Grund war ihnen auch nach wie vor der Zugang zu Kunstakademien verwehrt. Man spürte in Simone Frielings Stimme, dass sie beim Lesen der Textexzerpte ihres Buchs die Ungerechtigkeit über den damaligen Umgang mit weiblicher Kunst nach wie vor „anstrengend“ findet, vielmehr unablässig inakzeptabel. Aber auch die Mütter der Künstlerinnen bekamen bisweilen den Unmut der Autorin zu spüren. „Daran erkennt man, dass die Mutter keinerlei Ahnung hatte, worum es ihrer Tochter ging“, war dann auch die sanft entrüstete Bemerkung, die Frieling während des Vorlesens äußerte, als sie die Mutter Roedersteins zitierte: „Was ich dir längst schon sagen wollte, Kind, mit deinen Malstudien, das übertreib mal nicht. Man könnte ja sonst wirklich meinen, du wolltest dir einen Beruf daraus machen.“ Ottilie W. Roederstein, Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker waren musisch begabte junge Frauen, die in ihrer Jugend den Zeichenstift nicht aus der Hand legen konnten. Dies wurde in den bildungsbürgerlichen Familien der drei Künstlerinnen durchaus gefördert. Dass jedoch ein Beruf daraus werden könne, das kam nicht wirklich im Gedankengut der Elternschaft an. Während Roederstein zu Lebzeiten durch ihre Kunst finanzielle Unabhängigkeit erlangte, konnte Modersohn-Becker lediglich fünf Werke verkaufen, bevor sie sehr jung starb. Gemalt hatte sie bereits 60 Bilder in ihrem kurzen Leben. Käthe Kollwitz, die das menschliche Leid in den Mittelpunkt ihrer Kunst stellte, heiratete im Alter von 23 Jahren und hatte in ihrem Ehemann einen Förderer und Liebhaber ihrer Kunst. So konnte sie als Ehefrau und Mutter weiter in ihrem Beruf arbeiten, finanziell abgesichert durch das Einkommen ihres Mannes, der als Arzt tätig war. Kollwitz´ Malerei war für die damalige Zeit alles andere als „erwünscht“. Ihre Bilder entsprachen nicht dem Publikumsgeschmack, und so verdiente sie gewiss nicht annähernd so viel, als dass es sie unabhängig gemacht hätte. Das Schildern der Lebensläufe und der gesellschaftlichen Kämpfe der drei Frauen machte die Zuhörerschaft in jedem Fall nachdenklich. Vielen Gesichtszügen entnahm man anteilnehmendes Bedauern bei gleichzeitiger betroffener Neugier. Es waren ein paar „Kunstproben“ aus Frielings analytischem Buch, ein Gesamtbild erreicht man gewiss erst beim Lesen des kompletten Werks. Nachdem Simone Frieling noch zwei Gedichte aus ihrem Band „Künstlerköpfe“ zum Besten gegeben hatte und das Publikum ihr eine „wunderschöne Vorlesestimme“ attestierte, endete der Abend. Während der gesamten Lesung prasselte der Regen auf das Literaturscheunendach, der Donner grollte, einige Keller liefen voll Wasser, aber am Ende war das Unwetter vorüber.

Freitag und Samstag

Freitags ging es dann mit einer abendlichen „Reise in den Frühling“ auf dem Festivalprogram weiter – gedanklich, literarisch, angereichert mit passender Belletristik und Prosa. Die Mitarbeiterinnen der Bücherstube hielten sich mit Buchtipps und besinnlichen Empfehlungen zu den Themen Fernweh und dem in Aussicht stehenden Lenz nicht zurück. Mit dem passenden Wein kamen bei einigen auch „Frühlingsgefühle“ auf, als die weibliche Belegschaft der Kronberger Bücherstube das Reisefieber mit Ausschnitten aus den Roman „Das Fenster zur Welt“ von Sarah Winman anheizte und die Zuhörerinnen und Zuhörer nach Florenz entführte. Die „Gebrauchsanweisung Neuseeland“ von Josha Remus brachte dann die geographisch weite Ferne näher, Geschichten aus der „Gebrauchsanweisung Norwegen“ zeigten im Anschluss Eindrücke eines erstaunlich wohlhabenden und gut situierten Fleckchens Erde. Insgesamt gab es noch „viel Meer“, vor allem Nordseeeindrücke. Am dritten Tag des Literaturfestivals, dem Familiensamstag, hatte es dann den Grüffelo erwischt, der als Gast angekündigt war. Vermutlich war er zu Fuß und ohne Gummistiefel auf dem Weg nach Kronberg unterwegs gewesen, bekam an der einen oder anderen Stelle zu viele ungemütliche Regentropfen ab und musste krank das Bett hüten. Mittlerweile geht es ihm jedoch wieder gut, bekam Dirk Sackis aus seinem Bekanntenkreis glücklicherweise zu hören. Die Mitarbeiterinnen der Bücherstube ließen sich jedoch keinesfalls entmutigen und machten das Beste aus der Absage. Mit Dosenwerfen und Gewinnspielen wurden die ganz und noch „ein bisschen“ kleinen, vielmehr jungen Besucherinnen und Besucher des „UkufL“ sehr gut unterhalten und gingen mit einigen gewonnenen Preisen und Geschenken zufrieden wieder nach Hause.

Sonntag

Der vierte und letzte Tag des „UkufL“, der Sonntag, stand ganz im Zeichen des politischen Jazz, dem „Sound of Rebellion“, und zwar in der ersten Etage der Scheune des Dingeldeinhauses, wo auch eine Bandbühne installiert wurde. Um 11 Uhr vormittags versammelten sich Jazz- und Literaturfans, um Peter Kemper zu lauschen, der einen Vortrag zur politischen Bedeutung des „Schwarzen“ Jazz in den Vereinigten Staaten von Amerika hielt, anhand seines Buchs „The Sound Of Rebellion“. Darin schildert er die Emanzipationsgeschichte afroamerikanischer Menschen anhand der Geschichte des Jazz. Die Historie und Entwicklung des US-amerikanischen Jazz ist nicht denkbar ohne dessen sozialen und politisch-historischen Zusammenhang. Neben seinen Aufgaben als Hörfunkredakteur für die Radiowelle hr2 des Hessischen Rundfunks war Kemper früher auch bei den Vorbereitungen für das Deutsche Jazzfestival zugange. Beim Preis der deutschen Schallplattenkritik gehörte er zu den Juroren der Jazzsparte „zeitgenössischer und Modern Jazz“. Eingeleitet von einem Charly Parker-Song spannte der Autor an diesem Sonntagvormittag in Kronberg den Bogen von Charles Mingus bis zu Kamasi Washington. Mingus wurde vor Ort von Kempter als Jazz-Musiker hervorgehoben, der in einer Zeit der offensichtlichen Rassentrennung versuchte, mit seiner Musik politische Veränderungen zu erreichen. Als prägnantes Beispiel zeigte Kemper einen kurzen Videofilm eines Auftritts in der Ed-Sullivan-Show. Versprochen hatte der Musiker damals im US-amerikanischen Fernsehen ein eher beschauliches Stück. Gespielt und damit das erste Mal einer breiten – auch „weißen“ – Öffentlichkeit präsentiert wurde jedoch mutig ein kämpferisches, provozierendes Stück Jazz. Über „Onkel Tom“, so wurde Louis Armstrong etwas despektierlich von seinen Kollegen bezeichnet, führte der Weg dann zu Kamasi Washington in das Jahr 2017 und zu Donald Trump, in eine Zeit, die Spaltungen in der Gesellschaft verfolgte, ausbaute und etablierte. Die Integration aller Bevölkerungsteile in eine möglichst homogene Gesellschaft ist nicht mehr das Ziel, sondern ein Miteinander verschiedener Gruppierungen. Viele, sich willentlich voneinander abgrenzende Gruppen stehen nebeneinander, oft unvereinbar und oft gegeneinander. Kamasi Washington hat mit seinem Album „Harmony of Difference“ laut Peter Kemper hier den Begriff und das Ziel der aktuellen Jazz-Szene in den USA am klarsten angesprochen und umgesetzt. Auch hier wurde über einen Videoclip mit der entsprechenden Musik das gesprochene Wort eindrucksvoll belegt. Der Vortrag von Peter Kemper wurde umrahmt von den Musikern Bastian Weinig, Maximilian Shaik-Yousef und Fabian Sackis. Zum Abschluss der Veranstaltung entließ die „Band für diesen Tag“ die sichtlich emotional bewegten Gäste mit einer Jazz-Version des alten, aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Volkslieds „Die Gedanken sind frei“ in das Festivalende. Trotz der Wetterkapriolen und der krankheitsbedingten Absage des Grüffelo war das „UkufL“ auch bei der zweiten Auflage ein richtig schöner Erfolg mit zahlreichen Unterhaltungen, Denkanstößen und zubereiteter Neugier im Nachgang. Im nächsten Jahr wird es dann zum dritten Mal stattfinden, um den 25. Mai herum. Man darf gespannt sein, was sich das Team der Kronberger Bücherstube dann ausdenkt, ausmalt und gestaltet.

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