Kronberg (hmz) – Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Vereinigten Staaten, das „Land der Freiheit“, zum weitaus beliebtesten Ziel deutscher Einwanderer. Hungersnöte in den Städten und die Landknappheit durch ein Erbrecht, das das Land in immer kleinere Parzellen aufteilte, bewirkten, dass vielen ein Überleben in Deutschland kaum möglich war. Durch die beginnende Industrialisierung starben zudem ganze Berufszweige aus. Millionen von Hoffenden machten sich auf den Weg in die Vereinigten Staaten, um ihr Glück zu suchen und im günstigsten Fall auch zu finden. Unter den Auswanderern waren auch Kronberger, die entweder in ihrer neuen Heimat sesshaft wurden oder reüssierten. In diesen Fällen kehrten die meisten als wohlhabende Bürger zurück. Deren bewegende Schicksale in den Jahren von 1842 bis 1912 recherchierte Tilman Ochs 15 Jahre lang und fasste seine Ergebnisse in seinem Buch „Von Kronberg nach Amerika. Lebenslinien Kronberger Auswanderer“ zusammen, das er am Mittwoch, 20. November, um 19.30 Uhr in der Stadthalle vorstellt. Ein Buch, das die verschiedenen Lebenswege Kronberger Auswanderer nacherzählt, die real und tatsächlich sind und von großen Einschnitten, Ereignissen und Erlebnissen geprägt wurden. Die größte Gruppe zog es damals nach Belleville in Illinois, einige nach Baltimore (Maryland) und an verschiedene andere Orte. „Ich musste mich dabei auf das Wesentliche beschränken, obwohl es dazu noch viel zu sagen gäbe. Denn mit meiner Arbeit entwickelten sich immer mehr Stränge zu weiteren Familien“, erklärt Tilman Ochs, dessen Fokus in diesem 150-seitigen Buch auf den Lebenswegen der Familien Gundlach, Gottschalk, Weidmann, Uhl, Weingärtner, Brosius, Stein, Henninger, Ruppel, Geisel, Henrich, Schott und Mertz liegt.
Lebensumstände
Tilman Ochs, der bereits eine Gebäude- und Gewerbesteuertabelle akribisch erstellt und im Buch „Kronberg im 19. Jahrhundert“ zusammen mit Hanspeter Borsch und Dr. Konrad Schneider veröffentlicht hat, setzt jetzt mit seinen Forschungen einen weiteren Eckstein, um in Familiengeschichten für diese Generation deren Wurzeln zu finden und sie für die nächste zu bewahren. Viele, die sich mit der Genealogie beschäftigen, können bestätigen, dass dies eine spannende Angelegenheit ist. Dabei geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und der Suche nach den Vorfahren, es geht unter anderem auch um die Erforschung der Lebensumstände der damaligen Zeit sowie um eine sinnvolle Dokumentation.
Intensive Genealogie
Beides ist Tilman Ochs gelungen, der für seine Recherchen intensive Kontakte in die USA pflegt, unter anderem zu Emmit McClendon. Er war Ochs seit dem Jahr 2009 durch seine genealogischen Vorarbeiten und seine Kenntnisse über die vielfältigen Datenbanken eine große Hilfe. Er stellte eine reiche Anzahl digitalisierter Dokumente zur Verfügung, unerlässlich bei der Suche nach Hinweisen zu allen beschriebenen Kronberger Auswanderern. Ein weiterer, „Bob Brunkow, hat mir durch seine intimen Kenntnisse der Entwicklung Bellevilles und der deutschen Einwanderer wertvolle Hinweise gegeben“, so Ochs, und auch der Kronberger Familienforscher Wilhelm Fischer hat mit seinen Recherchen zum Gelingen dieses Buches beigetragen. Nicht zuletzt hat Susanna Kauffels das Stadtarchiv für ihn geöffnet. „Alles, was ich herausgefunden und zusammengetragen habe, ist mit Dokumenten, Urkunden oder Briefen belegt“.
Puzzleteile
Um Tilman Ochs Neugier zu wecken und den Anreiz für diese detailreiche Forschungsarbeit zu begründen, mussten sich erst drei Puzzleteile zusammenfügen: ein Brief, den der Forstjäger Johann Gerstner im April 1846 an seinen Schwager Philipp Gundlach in New York geschrieben hat, der aber irgendwie nach Kronberg zurückgekommen ist. Er handelt von einem schweren Unwetter im Jahr 1845. Der Brief gelangte auf Umwegen in die Hände des Historikers Wolfgang Ronner, der über den Briefinhalt einen Beitrag im Jahrbuch des Hochtaunuskreises im Jahr 2009 veröffentlichte. Da er darin auch den Namen der Auswandererfamilie Gundlach erwähnt hat, wurde Tilman Ochs aufmerksam. Er erinnerte sich, dass ein Brett an der Hintertür seines Elternhauses in der Pferdstraße 17 hing und darauf der Name Johann Georg Gundlach geschnitzt war. Die Tür blieb erhalten und setzte den Impuls, deren Geschichte und damit dem langen Weg dieser Familie nachzuspüren. „Das wurde auch meine Lieblingsgeschichte. Nach der Lektüre von Ronners Beitrag hatte ich die Eingebung, zu versuchen, den Nachkommen Frank Gundlach in St. Louis zu kontaktieren“. In den folgenden Korrespondenzen habe sich dann herausgestellt, dass dieser sich seit den 60er Jahren bemüht habe, seine Vorfahren in Kronberg zu finden und mit seiner Familie die Taunusstadt auch besucht hat. So fügte sich das eine ins andere, und das Ergebnis ist nicht nur lesenswert, sondern es ist auch sehr reizvoll zu erfahren, was so bei den Nachbarn los war. Das Buch ist in der Buchhandlung Sackis und beim Kronberger Geschichtsverein erhältlich.
Die Familie Frank N. Gundlach mit einer Sähmaschine
Fotos: privat