Oberhöchstadt/Kronberg (mg) – Am Tisch im Wohnhauskomplex der Sodener Straße 10 im Ortskern des Kronberger Stadtteils Oberhöchstadt sitzen zwei jungen Menschen in ihren Zwanzigern. Es sind engagierte junge Erwachsene, die sich jenseits von Klimawandeldemonstrationen in Großstädten und Social-Media-Präsenzen auf dem Mobiltelefon in verschiedenen Bereichen gesellschaftspolitisch interessieren und auch engagieren. Sie tun etwas dafür, Tag für Tag, und sind aufgrund ihrer beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten nahe an der Bevölkerung, an der Wirklichkeit und Realität. Sie nehmen all dies auch bewusst wahr und reflektieren die aktuellen Zeitmomente und Zeitgeister differenzierend. Laura und Steffen Hildmann sind Geschwister und beide im Landwirtschaftsbetrieb der Familie Hildmann tätig. Gemeinsam mit den Eltern Annette und Thomas sind die Hildmanns ein Vier-Personen-Betrieb, ab und an unterstützen noch Cousins die Arbeit auf dem Hof, der an der verlängerten „Schneithohl“ gelegen ist. Steffen Hildmann ist 25 Jahre alt, gelernter Landwirt. Seine Stationen während der Ausbildung waren Gambach, Burgholzhausen und Büdingen. Das Spektrum auf diesen Höfen reichte vom Milchviehbetrieb über Direktvermarktung, sogenannte Sonderkulturen wie Erdbeeren bis hin zu Ackerbau. Im Anschluss absolvierte er noch seinen Techniker. In seiner Freizeit ist der Jungbauer gleichzeitig aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr. Laura Hildmann studiert Betriebswirtschaftslehre, sitzt gerade an ihrer Bachelorarbeit, arbeitet im Hofladen und erledigt die mittlerweile sehr umfangreichen Arbeiten im „Büro“ des Betriebs. Dokumentieren und Buchführen sind in den vergangenen Dekaden in landwirtschaftlichen Betrieben deutlich intensiver geworden, ein Mehraufwand, der an sich nur in Familienbetrieben zu leisten ist, in denen jede und jeder mit anpackt, persönliche Zeit investiert und definitiv nicht zum Jammern geboren ist. Das Ganze ist gleichzeitig nur zu bewerkstelligen, wenn man es auch gerne tut – wenn man das schätzt, was getan wird. Wenn man einen Sinn in seinem Handwerk entdeckt und bereit ist, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Hof Hildmann in Oberhöchstadt
50 Schweine, 45 Rinder, 900 Hühner und 15 Hähne, die auf die Hühner wegen der Gefahr durch den Habicht während der Freilandhaltung achten. 90 Hektar Acker auf denen unter anderem Weizen angebaut wird, 60 Hektar Grünland, davon 30 Hektar Naturschutzwiesen. Ein Hofladen mit Direktvermarktung eigener Produkte. Konventionelle Landwirtschaft mit Augenmaß wird betrieben. Das ist in etwa der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Hildmann, nunmehr in der vierten Generation. Auf dem Hof in der verlängerten „Schneithohl“ am Ortsrand selbst stehen eine nahezu neue Halle für Transportfahrzeuge, Traktoren und Anbaugerätschaft und ein ebenso neuer großer Stall für Rinder und Schweine – beide im Jahr 2023 in Betrieb genommen (der Kronberger Bote berichtete ausführlich), ein Hühnermobil, eine große überdachte Befestigungsstätte für den anfallenden Mist aus der Tierhaltung. Sobald man den Stall betritt, riecht es angenehm nach Heu. Keine Spur von Ammoniak in der Luft. Die Tiere fühlen sich sichtlich wohl. Man registriert, dass sie gut und artgerecht gehalten werden, darauf ist man bei Hildmanns auch stolz, darauf legt man Wert.
Es gibt viele Menschen, die Hildmanns Produkte, Arbeit und Qualität schätzen. Das merkt man von Beginn an, sobald man sich für einen Moment im Hofladen während der Öffnungszeiten aufhält. Die Menschen kommen gezielt mit ihren Wünschen, kaufen vor Ort beispielsweise regionales Fleisch. Sie haben Vertrauen und sammelten gute Erfahrungen. Dahinter steckt viel Arbeit und Kompetenz. Dennoch wird es den Landwirtinnen und Landwirten nicht immer leicht gemacht, auch im Taunus nicht. „Sie sind ja gar nicht in Berlin. Da muss man wohl noch ´ne Schippe drauflegen“, ruft ein älterer Herr den beiden Landwirten Thomas und Steffen Hildmann vor dem Hofladengeschäft motivierend und wertschätzend entgegen, bevor er sich zu seinen Einkäufen begibt. Der Stammkunde deutet damit die aktuellen Protestaktionen der Bäuerinnen und Bauern und der dazugehörigen Bauernverbände an. Beide Oberhöchstädter Landwirte lächeln ihn an. Steffen Hildmann war Anfang Januar mit dem Traktor und aufgesetztem Transparent in Wiesbaden zur Demonstration; das ließ er sich nicht nehmen.
Globalisierung
Hildmann erklärt der Redaktion im weiteren Verlauf des Gesprächs, dass die Landwirtschaft keine Subventionen bräuchte, wenn sie angemessen entlohnt würde. Für Arbeit und Produkte. Das wäre ihm persönlich auch am liebsten. Durch die Globalisierung und das damit einhergehende Konsumentenverhalten sehe sich die Landwirtschaft hierzulande jedoch einem enormen und teilweise komplizierten Konkurrenzmoment ausgesetzt. „In Brasilien werden Bauern für die Landwirtschaft und den Getreideanbau gefördert, gleichzeitig wird hierfür Regenwald abgeholzt. Für den Klimaschutz sicherlich nachteilig. Außerdem erwirtschaften sie pro Hektar deutlich weniger Ertrag. Wir erwirtschaften pro Hektar sechs bis acht Tonnen Getreide, in Brasilien sind es zwei bis drei“, schildert der Jungbauer aus dem Vordertaunus. Zudem sei es aktuell nicht möglich, mit den Preisen für Getreide mitzuhalten, das aus der Ukraine stammt. Das führte in den vergangenen Monaten zu einem Preisverfall auf dem deutschen Binnenmarkt. An die Einfuhr seien seit Kriegsbeginn und dem Transport über den Landweg keine Regelungen mehr gekoppelt. Man wisse auch gar nicht, was dem Weizen womöglich alles beigemengt sei, was hier nicht zulässig sei – Kontrollen gebe es nicht. (Anmerkung der Redaktion: An sich waren die Handelserleichterungen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine seit Kriegsbeginn durch die Invasion Russlands dafür angedacht, das Getreide unkomplizierter in die Entwicklungsländer Afrikas und des Nahen Ostens zu transportieren). Lediglich zwei von zahlreichen Beispielen, die es einem regionalen Landwirt in der direkten Nachbarschaft schwer machen. In Deutschland habe man zudem in vielen Bereichen des landwirtschaftlichen Alltags mit die strengsten Vorschriften, die einzuhalten wären, attestiert Hildmann. Einiges davon sei sicherlich auch sinnvoll und der Entwicklung geschuldet, anderes kaum nachvollziehbar, wie beispielsweise ein Großteil des zu bewältigenden Bürokratieaufwands, der häufig genug seine Wurzeln in Entscheidungen des Europäischen Parlaments findet. „Man kann nicht die gesamte Landwirtschaft der Europäischen Union mit ein und denselben Regeln und Regulierungen steuern“, so Hildmann. Zahlreiche verschiedene Voraussetzungen, wie beispielsweise die Bodenbeschaffenheit in einzelnen Mitgliedstaaten, müssten regional betrachtet werden, wenn Regeln zur Bewirtschaftung aufgestellt würden. Womöglich gebe es diese Spielräume der regionalen Gestaltung auch in den Vorgaben der EU. Wenn dem so sei, dann würden sie jedoch national und im weiteren Schritt regional in der Bundesrepublik nicht ausreichend oder gar nicht umgesetzt.
Agrardiesel und Düngemittelverordnung
Die Diskussion um das Abschmelzen der Steuerrückerstattung für den essenziellen landwirtschaftlichen Betriebsstoff Diesel schrittweise bis zum Jahr 2026 – Stichwort „Agrardiesel“ – war anscheinend nun einmal mehr der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass des Unmuts in der Landwirtschaft zum Überlaufen brachte. Die Belastungen der letzten 20 Jahre – finanziell wie strukturell bei Arbeitsprozessen – häuften sich augenscheinlich zunehmend bei den Betroffenen. Protestaktionen bundesweit, so auch in Wiesbaden, waren die Folge. Zahlreiche Bauern auch aus dem Taunus zog es per Sternfahrt zu Beginn des Jahres samt Traktoren in die hessische Landeshauptstadt zur Demonstration. So sieht es auch der Idsteiner Landwirt Bernd Großmann, stellvertretender Vorsitzender des Kreisbauernverbands Rheingau-Taunus. Großmann sieht eine seit Jahren entstehende Entfremdung großer Teile der Politik gegenüber dem Handwerk in der Landwirtschaft. Wissenschaftlich fundierte und erwiesene Erkenntnisse müssten grundsätzlich der Leitfaden für Regeln beispielsweise bei der Verwendung von Düngemitteln sein. In seinen Augen sei dies jedoch häufig nicht abschließend geklärt; bis dahin stünden Wahrscheinlichkeit, Vermutungen und bisweilen auch Ideologisches im Mittelpunkt der Entscheidungen. Das wäre schwer nachzuvollziehen und erwecke den Eindruck, dass die „Theorie“ die „Praxis“ häufig aus den Augen verloren habe. Teilweise seien die Auflagen in der Praxis schlichtweg nicht umsetzbar, wenn zum Beispiel kontrolliert werden solle, ob sich noch ausreichend Strohreste der letzten Ernte auf der Bodenoberfläche befänden.
Bürokratie und Dokumentation
Sowohl Hildmann als auch Großmann formulierten explizit den hohen bürokratischen Aufwand bei der schriftlichen Dokumentation ihrer Arbeit als große Belastung für ihre Betriebe. In Oberhöchstadt leistet, wie erwähnt, Laura Hildmann neben ihrem Studium große Unterstützung. „Das ist das Los der Familienbetriebe, anders funktioniert es nicht“, beschreibt es ihre Mutter Annette auf Nachfrage der Redaktion. „Im Durchschnitt verbringt ein Haupterwerbslandwirt über 40 Prozent seiner Arbeitszeit im Büro, anstatt sich um Tiere, Flächen und Maschinen kümmern zu können“, beschreibt es Bernd Großmann. In den letzten 20 Jahren hätte dies das Maß mehr als überschritten, es sei „völlig ausgeufert“. Das behindere auch die Entwicklungsmöglichkeiten der Höfe, der Beruf der Landwirtin und des Landwirts würde so gewiss nicht attraktiver.
Ungebetene „Gäste“ – HBV distanziert sich deutlich
Anlässlich der Blockadeaktion gegen Bundeswirtschaftsminister Habeck im Zusammenhang mit den Protestaktionen der Landwirtschaftsvertreter fand der Präsident des Hessischen Bauernverbands (HBV), Karsten Schmal, klare Worte: „Wir stehen für ein friedliches Miteinander und wollen mit Argumenten überzeugen. Persönliche Angriffe wie auf Bundesminister Habeck, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt lehnen wir daher stets ab. Wir distanzieren uns deutlich von allen Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, radikalen Randalierern, rechtsextremistischen Gruppen und Umsturzpropagandisten. Zudem lehnen wir hetzerische Symbole wie Galgen und Särge ab. Durch unsere enge Zusammenarbeit mit den Ordnungsbehörden möchten wir zudem sicherstellen, dass Rettungskräfte bei unseren Aktionen in keinem Fall bei ihrer Arbeit behindert werden. Des Weiteren unterstützen wir keine Akteure, die Lebensmittelketten bei ihrer Arbeit einschränken.“