Kronberg (aks) – Es sei der hochenergetische Spannungsbogen gewesen, der mit dem Titel „Frau Macht Musik“ alle angesteckt hätte, so begrüßte Raimund Trenkler, der Vorstandsvorsitzende der Kronberg Academy Stiftung das Publikum beim Eröffnungskonzert in der Stadthalle. Drei Worte, die Programm wurden in 14 Konzerten an fünf Tagen mit 26 Werken aus vier Jahrhunderten von Komponistinnen. Nach 26 Jahren Kronberg Academy nun endlich eine Hommage an die Frauen in der Musik, die als Instrumentalistinnen, Komponistinnen, Dirigentinnen, Lehrerinnen, Mäzeninnen und Musen im Mittelpunkt des Festivals standen. Drei Uraufführungen inklusive. Ohne Männer ist auch die Musikwelt nicht vorstellbar, so waren Meistersolisten und der männliche künstlerische Nachwuchs der Kronberg Academy selbstverständlich willkommen – allen voran die Kremerata Baltica, das zukünftige „Orchestra in Residence“ der Kronberg Academy, gegründet vor 25 Jahren von Gidon Kremer, der als Künstler ebenso Maßstäbe setzt wie als künstlerischer Beirat der Kronberg Academy. Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Rhein Main und Projektpartnerin, freut sich auf ein „frohes gelöstes Konzert“ sowie auf ein Wiedersehen im Casals Forum im nächsten Jahr.
Beim ausverkauften Eröffnungskonzert am Mittwochabend finden die zwölf jungen Musikerinnen und elf Musiker alle ihren Platz auf der wirklich kleinen Bühne der Stadthalle. Es wird Zeit für den Kammermusiksaal im Casals Forum, der 2022 zum Konzertieren in mehreren Sälen einlädt.
Als Solist interpretiert an diesem Abend Gidon Kremer, der weltberühmte Geiger, die „Serenade for a melancholic sea“ von Lera Auerbach. Teresa Riveiro Böhm glänzt als elegante Dirigentin, die temperamentvoll mit einem leisen Lächeln die Musiker zu dieser flirrend kontemplativen, immer wieder wellenbrechenden Klangdynamik antreibt, in der Boote im Nebel zu schlingern scheinen und an manchen Stellen Walgesang aus den Meerestiefen zu uns heraufdringt.
Die zeitgenössische Komposition von Lera Auerbach, russisch-amerikanische Pianistin, die bisher auch mit mehreren Büchern Aufsehen erregt hat, wird mit begeistertem Applaus aufgenommen. Gidon Kremer lobt anschließend im Interview mit Friedemann Eichhorn, dem künstlerischen Leiter der Kronberg Academy, die Konzentration des Publikums, „in den Sälen wird es stiller“. Er vermutet dies als Reaktion auf den „Lockdown“, auch seien alle Künstler glücklich, wieder zu spielen und gehört zu werden. Der 74-jährige Kremer, spiritus rector der Kremerata, will mit seinem Engagement etwas von sich weitergeben und junge Künstler heranziehen. „Das, was man von sich schenkt, hat einen Wert.“ Kronberg sei nicht nur für ihn, sondern auch für die Künstler in 20 Jahren ein Zuhause geworden: „Ein schönes Gefühl, wenn man so viel unterwegs ist.“
Als wahrer Kontrapunkt folgt das „Adelaide-Konzert“ von Mozart, Konzert C-Dur für Violine und Orchester, mitreißend gespielt von Yamen Saadi, der seit 2019 bei Mihaela Martin studiert, an der Violine. Das Konzert, das der zehnjährige Mozart für die Prinzessin Adelaide, Tochter von Ludwig XV. komponiert haben soll, ist wohl eine Fälschung, gelangte aber dank einer Einspielung durch Yehudi Menuhin zu großer Bekanntheit und Beliebtheit. Auch hier beeindruckt Riveiro Böhm durch ihr anmutiges und hochsensibles Spiel mit dem Taktstock. Freundlich aufmunternd, statt bedrohlich streng, hat sie alle Orchestermusiker und Solisten im Blick. Frauen als Maestra, musikalisch eine Bereicherung und mit so viel mehr Grazie auf der Bühne.
Der Höhepunkt des Abends ist die atemberaubende Interpretation von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, dem bekanntesten Werk des Geigenvirtuosen Antonio Vivaldi. Die vier Konzerte beschreiben die für jede Jahreszeit typischen Gefühls- und Wetterlagen mit allen charakteristischen Klängen und Geräuschen.
Die Spieltechnik der jungen Geigerin Mairéad Hickey, Studierende der Kronberg Academy bei Mihaela Martin, die die Vogelstimmen im Frühling und die flirrende Hitze und gleißende Sonne mit peitschenden Gewittern des Sommers in strahlend schwungvolle Musik umsetzt, ist ebenso leicht wie spannungsgeladen. Stella Chen mit Doktortitel der Juilliard School New York und Studierende bei Mihaela Martin, bringt im dritten Konzert Jagdhörner, Hundegebell und heftige Stürme zum Klingen, ein lustvoller Herbst, in dem die Ernte mit fröhlichen Tänzen gefeiert wird. Im Winter sind die Schlittschuhläufer in ihrem Element, doch in dieser Jahreszeit scheint der Gegensatz zwischen einem heimeligen, warmen Zuhause und winterlichem Frost draußen nicht größer zu sein. Dieses Konzert ist in schönster Weise poetisch: „So ist der Winter. Doch bringt er auch Freude.“ Der Winter geht besonders unter die Haut und stimmt schon an diesem Abend ein wenig auf den Winterblues ein, der ja am Kamin ganz gut auszuhalten ist.
Die „Vier Jahreszeiten“ Vivaldis, der 241 Konzerte für Violine komponiert hat, und dessen Musik nach zwei Jahrhunderten erst im 20. Jahrhundert wieder interessant erschien, sind sein bekanntestes Werk. Ein Feuerwerk, das in seiner Pracht und mit einzelnen Klangblitzen Augen und Ohren blendet und das auch an diesem Abend die Wirkung beim Publikum nicht verfehlt. Der minutenlange Applaus brandet auf und gilt den Violonistinnen ebenso wie der Kremerata Baltica und Bernhard Zosel am Spinett, der die „Tutti“-Einsätze untermalt und fein zusammenhält.
Das Freudenfeuer ist ansteckend – auf der Bühne und in den Zuschauerreihen. Endlich ist Musik wieder live zu erleben und von den besten Musikern in Vollendung zu hören. Musik, die von Frauen geschaffen, ermöglicht oder inspiriert wurde. Der Kronberg Academy gelang mit ihrem Spannungsfeld „Frau – Macht – Musik“ ein elektrisierender Eröffnungsabend. Natürlich mit Männern. Stimmt es nicht, dass die Männer das meiste wegen der Frauen tun (frei nach Tucholsky)? Auch Musik. Das Festival als Hommage an all die Frauen in der Musik hat gezeigt (quod non erat demonstrandum): Frau kann Musik – schon seit ewigen Zeiten. Ihr Weg ist heute unaufhaltsam, denn die Musik verleiht Flügel! Welch ein Glück.
Vivaldis Vier Jahreszeiten in einer atemberaubenden Interpretation von Mairéad Hickey...