Die getanzte Lebensreise der „La Campanini“–Über 100 Tänzerinnen begeisterten das Publikum

Josephine Lienhardt tanzte die Titelrolle. Foto: Weber

Kronberg (sw) – Die Kronberger Ballettschule brachte die Geschichte der Tänzerin Barbara Campanini auf die Bühne. Bis auf den letzten Platz war die Aula der Altkönigschule an diesem Nachmittag gefüllt, um nach mehreren Jahren coronabedingter Pause wieder eine der beliebten großen Aufführungen der Kronberger Ballettschule zu besuchen. Bevor die über 100 Tänzerinnen die Schulbühne aus Holz und Beton aber in ein Rokoko-Märchen verwandelten, schilderte Sprecher Gordon Piedesack in seinem Eingangs-Monolog aus dem Off erst einmal die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben von „La Campanini“, der gefeierten Tänzerin am Hofe Friedrichs des II. von Preußen.

Ballettschul-Inhaberin Andrea Wappenschmidt, die nicht nur für die künstlerische Leitung, sondern auch für die Choreografie verantwortlich zeichnete, hatte ihre Schülerinnen den Lebensstationen der gefeierten Primaballerina zugeordnet: Da gab es die kleinen Elevinnen, bezaubernd und voller Elan, mit wippenden grünen Tütüs, die selbstvergessen den Eltern zuwinkten, während sie „La Campanini“ bei deren ersten Ballettunterricht darstellen sollten. Die spielenden Kinder, Tarantella- und Walzer-Tänzerinnen auf dem Marktplatz zu Parma, die den italienischen Volkstanz energiereich und den klassischen Walzer mit graziöser Arm- und Fingerhaltung sowie wunderbaren Sprüngen präsentierten. Theresa Legler, welche die junge Tänzerin spielte, bewegte sich hoch konzentriert und vorsichtig gemeinsam mit Katja Remke, die in die Rolle des Ballettmeisters Rinaldo Fossano schlüpfte. Das Corps de Ballet umtanzte sie derweil mit fließenden Armbewegungen und großem Taktgefühl. Die nächste Szene stellte einen Palazzo in Venedig dar und eine Riege kleiner Gondolieri mit niedlicher Choreografie und großem Eifer enterte die Bühne. Auch hier flog der ein oder andere Gruß von der Bühne ins Publikum und die Verwandten winkten stolz zurück. Josephine Lienhardt, welche die Rolle der erwachsenen Barbara Campanini verkörperte, hatte hier ihren ersten Auftritt und zog die Zuschauenden mit ihrer großen natürlichen Anmut sofort in ihren Bann. Mar Sanchez Cisneros, die für die Kostüme der Aufführung verantwortlich ist, hat aber auch Großes geleistet: „La Campanini“ sah aus, als sei sie mit ihren Kleidern direkt einer zeitgenössischen Miniatur entsprungen. In den folgenden Szenen konnte man sauber ausgeführte Schritte und Drehungen bewundern. Die Musik chargierte zwischen Walzer und Galopp, so dass es einigen der Anwesenden im Parkett sichtlich auch in den Füßen zuckte.Station um Station zog vorüber: Auf der Bühne wurde die Verhaftung der Ballerina durch die Wachleute des Preußenkönigs gezeigt, der die Ballerina auf diese eher fragwürdige Weise an seine Hofoper zwang.

Der „Alte Fritz“

Überhaupt der „Alte Fritz“: Auch er wurde bei der Aufführung der Kronberger Ballettschule dargestellt. Sein beliebtes Insigne, die silberne Flöte, hatte Sophie Kiefer, die den Preußenherrscher verkörperte, auf der Bühne mit dabei. Gespannt wartete das Publikum, ob Andrea Wappenschmidt und ihre Crew den König auch würde tanzen lassen, aber dieser beließ es, ganz standesgemäß, bei einem sehr gemessenen Schreiten. Für die nächste Szene, die Hochzeitsfeier der Schwester Friedrich des Großen, wurde die Bühne richtig voll. Da schwebten anmutige Blumenkinder neben dem Brautpaar in einem spannungsgeladenen Pas de deux und eine Barockgesellschaft beim menuettartigen höfischen Tanz. Die neun Grazien im nächsten Bild machten tänzerisch ihrem Namen alle Ehre und besondere Erwähnung müssen an dieser Stelle auch die Lichttechnik und das Bühnenbild von Manfred Wappenschmidt finden. Gerade in dieser Szene wurde mit dem Suchscheinwerfer gespielt und so wurden die Silhouetten der Tänzerinnen scherenschnittartig noch ein zweites Mal auf die Bühnen geworfen – auch dies wirkte wie eine Reminiszenz an die Rokoko-Epoche. Ein besonderes Highlight der Aufführung war das gute Zusammenwirken der großen und kleinen Ballerinen in den verschiedenen Szenen: Bei der „Tafelrunde von Sanssouci“ brauchten die jüngsten Tänzerinnen im Windhund-Kostüm ein bisschen Unterstützung der „Großen“, um die richtigen Plätze auf der Bühne zu finden; dann aber wurde geknickst, gehopst und anmutig das Köpfchen geneigt. Die helfenden Pagen und die Barockgesellschaft wiegten, drehten und neigten sich unterdessen in großem Können. Nach knapp 100 Minuten bester tänzerischer Unterhaltung stand das Finale unmittelbar bevor. Josephine Lienhardt als gefeierte Ballerina bekam auf offener Bühne einen Heiratsantrag von Carl Ludwig von Cocceji, ausdrucksstark getanzt von Greta Rosemeyer. Umgeben war das junge Paar nicht nur vom Corps de Ballet (Friederike Grell, Dina Saß, Emilie Schindelbeck und Katie Zöttl), sondern auch von einer ganzen Schar bezaubernd graziöser Blumenmädchen, die tänzerisch sehr gut den Geist einer Epoche einfingen, in welcher eine Handbewegung dreißig verschiedene Bedeutungen haben konnte.

Große Dynamik

Beim anschließenden Ball zeigte sich noch einmal das ganze Feuerwerk des Könnens der jungen Ballettschülerinnen. Josephine Lienhardt tanzte in der Titelrolle mit großer Dynamik die schwierigen Kombinationen, hat eine sehr gute Sprungkraft und lässt auch den Knochenjob des Spitzentanzes wie eine federleichte Aufgabe aussehen. Zurecht begeistert war zum Schluss nicht nur das eifrig klatschende Publikum. Auch Andrea Wappenschmidt lobte nach der Vorstellung die Elevinnen: „Ihr wart atemberaubend!“. Sie hob vor allem das große Durchhaltevermögen der jungen Tänzerinnen hervor und bedankte sich bei den Schülerinnen. Daneben galt ihr Dank aber auch „den Müttern, die hier Großes geleistet haben bei den Vorbereitungen zur Aufführung“. Rund 100 Tänzerinnen, kein einziger Tänzer und Mütter als Helferinnen. In Kronberg scheint Ballett ganz klar eine reine Frauenangelegenheit zu sein – auch 2023.



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