Kronberg
(hmz) Weit gefasst ist Architektur nicht nur eine räumliche Anordnung, sondern die Materialisierung sozialer Beziehungen. Menschen suchen Schutz, Gemeinschaft und Identität. Das gilt auch und vielleicht gerade dann, wenn es um Orte des stillen Abschieds geht. Ein Raum, der den Trauernden im Gedenken und Erinnern ein Refugium ist. Dementsprechend sind Planung und Gestaltung eines weltlichen Sakralbaus, der der Trauer Zuflucht, der Tradition Verpflichtung und der modernen Architektur Ausdruck sein soll, eine Herausforderung. Der Kronberger Architekt Hanspeter Borsch hat sie vor fünfzig Jahren angenommen und die Trauerhalle am Friedhof Thalerfeld nach seinen Entwürfen im Jahr 1972 ausgeführt. Inzwischen ist Borsch 86 Jahre alt und immer noch unermüdlich, wenn es um die Pflege und den Erhalt der Altstadt sowie der Kulturlandschaft des Vordertaunus geht. Seit den 70er Jahren gilt sein großes Interesse der lokalen Baugeschichte, und dazu verfasste er mehrere Beiträge für Publikationen.
Der Friedhof Thalerfeld öffnet Blickachsen auf die Burg und die sie umgebende Altstadt, und es scheint bei der Außengestaltung der Trauerhalle nicht zufällig, dass das wuchtige Mauerwerk mit der mittelalterlichen Konstruktion korrespondiert. „Das stand durchaus in meiner Absicht, eine Verbindung herzustellen zwischen Tradition und neuer Form“, erklärt Borsch bei einem Rundgang über das Gelände mit seiner eigenen Topographie. Auch diese habe er berücksichtigt und die Halle nehme diese Besonderheit auf. „Für den Bau sollte in erster Linie Naturstein aus dem Taunus verwendet werden. Die Mauern sollten sich aus dem Boden erheben, der aus demselben Gestein besteht, möglichst ohne Übergang, wie aus der Erde gewachsen. Und sie sollten den ansteigenden Höhenlinien der Landschaft folgen.“ Seine Beziehung zum Naturstein und dessen fachgerechtem Verbau kommt nicht von ungefähr. Architektur studierte er nämlich erst nach einer abgeschlossenen Maler- und Maurerlehre. „Der Naturstein erfordert aufgrund seiner Beschaffenheit besondere Fachkenntnisse“, so Borsch. Die Einzelbereiche der Trauerhalle mit dem Vorhof wirken in ihrer reduzierten, kraftvollen Schlichtheit dem letzten Weg würdig angepasst. Als Ensemble ist sie außen über ihre Formensprache und innen über die Lichtwirkung als ein Gesamtkunstwerk mit einer klaren architektonisch-künstlerischen Absicht erkennbar: eine gestaltete Harmonie im Einklang mit dem Material, das in seiner Gegensätzlichkeit kaum besser den Übergang vom Leben zum Tod versinnbildlichen könnte.
Hanspeter Borsch hat bewusst auf konfessionsgebundene Symbole verzichtet, in den Oberlichtern ist nur eine Dornenkrone als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht erkennbar. Wer die von Bildhauer Adam aus der Nordweststadt gestalteten und vom Glasbauatelier Rosi ausgeführten Fenster von außen sieht, ahnt kaum, wie stimmungsvoll diese farbig-lichten Mosaike das gesamte Ambiente unterstützen. Die dabei dominierende Farbe
Blau ist eine Reminiszenz an den bedeutenden Architekten Egon Eiermann und die von ihm entworfene neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin. Weltbekannt ist sie wegen der blauen Glaswände, die Gabriel Loire aus Chartres schuf.
Bemerkenswert ist die silberne Doppelflügeltür, die der weithin bekannte, inzwischen verstorbene Kirchenrestaurator und Künstler Julius Hembus entworfen hat. Sie zeigt im unteren Bereich das von Menschen Geschaffene, stilisierte Bäume und darüber in einer kosmischen Vision Sonne und Planeten, sinnbildlich für die Ewigkeit. „Es symbolisiert das Diesseits und das Jenseits. Es soll uns zeigen, wo unsere Grenzen liegen und wie wenig wir doch sind“, sagt Borsch und weist auf weitere verbindende Elemente hin. Die Einzelbereiche der Trauerhalle, die von innen nach außen weisen, werden durch die gleichförmig und ruhig verlaufenden Tonziegelplatten verbunden, die noch einmal in der Dachfläche wiederkehren: „Es ist eine ruhige Linie in die eine Richtung zum Trauerhof, und in die andere weist sie auf einen lebendigen Verband. Mit nur einem Größenformat wurde das gestaltet.“ Borsch wollte auf keinen Fall eine herkömmliche Bestuhlung und ging daher auf die Suche nach Kirchenbänken. Im Kloster Dernbach im Westerwald wurde er fündig. Die Dernbacher Schwestern gaben sie gerne ab, sie wollten Stühle. Aufgearbeitet wurden die Bänke in einer Kronberger Schreinerei.
„Mir war es immer ein großes Anliegen, die Handwerker in unserer Stadt einzubeziehen und mit ihnen gemeinsam ein Bauwerk zu vollenden“, so Borsch. Seit der Errichtung blieb es unverändert, ein halbes Jahrhundert lang. Und wenn es nach ihm ginge, soll es auch so bleiben. Wer auf dem Friedhof Thalerfeld seine letzte Ruhe findet, wird von Glockengeläut begleitet.
Die Glocke trägt eine denkwürdige Gravur: „Wider alle Hoffnung hoffen“ als Ausdruck des Trostes während des letzten Geleits.
„Die Liegende“ von Marianne Lüdicke ist eine ihrer vielen Arbeiten zum Thema Tod und Trauer.
Foto: Privat