Herausgeberin Kristina Stella präsentiert Brigitte Reimanns 1953 zensierten DDR-Debüt-Roman „Die Denunziantin“

Kristina Stella, stolze Herausgeberin des Debüt-Romans von Brigitte Reimann von 1953, präsentierte gemeinsam mit Klaus Lepsky „Die Denunziantin“ in der Buchhandlung von Dirk Sackis (rechts). Foto: Sura

Kronberg (aks) – Fast siebzig Jahre nach seiner Vollendung erscheint nun Brigitte Reimanns Debüt-Roman „Die Denunziantin“, den die bekannte DDR-Autorin mit 19 Jahren in knapp einem Jahr zu Papier brachte, im Aisthesis Verlag. Kristina Stella, die sich seit 20 Jahren mit der Schriftstellerin beschäftigt, ist sich der Sensation bewusst und steckt mit ihrer Freude auch die anwesenden Reimann-Fans an. Ihr ist es zu verdanken, dass dieses Erstlingswerk Brigitte Reimanns, die 1933 in Magdeburg geboren wurde und 1973, mit nur 40 Jahren, in Ost-Berlin an einer Krebserkrankung starb, nun als Buch erscheint. Stella hatte als Bibliografin Zugang zu den Neu-Brandenburger Archiven und entdeckte Brigitte Reimanns Ur-Manuskript, das sieben Jahrzehnte in der Schublade geschlummert hatte. Sie war ebenso überrascht wie erfreut und begann, „drei Tage auf dem Teppich“ die 200 Seiten, teils ohne Seitenzahlen, zu sortieren. Die sympathische Kristina Stella, der man die Freude über diesen Literaturschatz sofort glaubt, und ihr Partner Klaus Lepsky lasen mit viel Empathie in der Bücherstube von Dirk Sackis mit verteilten Rollen aus diesem Zeitdokument der 50er Jahre, das vor jugendlichem Eifer nur so sprüht. Die Funken sprangen über und so waren einige Reimann-Fans hoch zufrieden über diese besondere Buch-Präsentation, bei der die Schriftstellerin mit ihrer flotten und unbestechlichen Sprache wieder auflebte, die beeindruckend lebendig die teils verkehrten Welten der DDR, wie das Denunziantentum, unverfälscht schilderte.

Schere im Kopf

Den reaktionären Altlehrer, der König Lear im Unterricht behandelt, verachtet die Protagonistin des Romans, Eva Hennig, abgrundtief und stellt sich vor versammelter Klasse gegen seine für sie „lebensferne und entmutigende“ Sicht auf das Leben und den Ausgang des Zweiten Weltkriegs (mit dem „Todesstoß der Alliierten“): „Zeiten mögen vergangen sein, aber nicht vergessen“, geht sie den Lehrer an, der vom unentrinnbaren Schicksal doziert, „Hör doch auf mit deinem Quatsch!“, schließlich sei ihr Vater Widerstandskämpfer gewesen. Vehement und hasserfüllt stellt sie sich dem Lehrer in den Weg. „Mein Vater ist nicht umsonst gestorben!“ Eher sei er es, der Lehrer, der sich wegduckte, voller Schuld. „Sie sind es nicht wert, Lehrer zu sein!“

Eva geht mit ihrer übersteigerten Leidenschaft und mit ehrlicher Empörung zum Büro des Direktors. Damit nimmt ihr Schicksal seinen Lauf und das Wort „Denunziantin“ haucht sie kalt von überall her an.

Wie auch Brigitte Reimann selbst ist ihr Alter Ego „Eva Hennig“ Leiterin der Laienspielgruppe ihrer Schule. Wenige Freunde waren ihr geblieben, als Denunziantin hatte sie „so viel verloren“, aber „Nein, es tat ihr nicht leid“. Dieser Anfang bedeutet für die weitere Entwicklung nichts Gutes, sie ist „schweigender Verachtung“ ausgesetzt und so wird diese Phase bereits in ihrer Jugend zur schwersten ihres Lebens. Reimanns Heldin taugt dem jungen sozialistischen Staat jedoch nicht als Vorbild der FDJ-Jugend: zu viel Eigensinn und Widerspruch, und vor allem zu viel Erotik, zu viele Liebeleien für eine makellose Repräsentantin des Regimes, die DDR-Jugend sollte schließlich sauber bleiben. „Zu ungezähmt, stur, besserwisserisch und als Marxistin zu schillernd“, so vermittelt Stella die schonungslose Lesart der Autorin. Verlage nörgeln an der ersten Fassung, die zweite erscheint daraufhin wie eine Karikatur der ersten, schließlich will Reimann auf Teufel komm raus als Autorin in den deutschen Schriftstellerband. Vier Fassungen wurden es insgesamt, aber keine passte in das strenge Konzept der Verlage. So wirkte die Zensur von außen, aber schlimmer war „die Schere im Kopf“, die ein freies Schaffen und den freien Ausdruck gründlich unterminierten, so Stella. Immer weitere Verrenkungen und Verstellungen halfen nichts, das Buch wurde in seiner ursprünglichen Fassung nie veröffentlicht, auch nicht im Westen.

Ankunftsliteratur

Reimann wird oft als Vertreterin der „Ankunftsliteratur“ zitiert, in der die „Ankunft im Alltag“ in der Literatur thematisiert wurde. Um erfolgreich zu sein und sich den Traum einer eigenen Zwei-Raum-Wohnung zu erfüllen, war sie voller Euphorie bereit, als Autorin zu den Arbeitern zu gehen, wie es im Arbeiter- und Bauernstaat eher Pflicht als Kür war, wenn man beruflich weiterkommen wollte. Ein Paradox, so die Herausgeberin Stella, das erkannte auch Reimann, denn: „So wie es war, sollte man es nicht schreiben“. Darin lag die Tragik vieler DDR-Schriftsteller, deren Werke wegen einer zu naturalistischen Schilderung zensiert wurden. Karrieren von nicht erwünschten Künstler-Persönlichkeiten wurden auf diese Weise zerstört. Anfangs glühende Verfechterin des jungen Staats, zweifelte Brigitte Reimann immer mehr am sozialistischen Weg der DDR. Anna Seghers riet ihr, nur zu schreiben, „was Sie denken und fühlen. Keine Sonntagssprache, kein Pathos!“. Reimanns Enthusiasmus und ihr Lebenshunger waren nicht zu bremsen, gingen aber den Kulturschaffenden irgendwann zu weit. In ihren Tagebüchern und dem postum erschienenen Roman „Franziska Lichterhand“, Kultbuch einer ganzen Generation, fesselt sie die Leser auch heute noch mit ihren unverfälschten Porträts lebenslustiger, sorgloser junger Menschen, vor allem Frauen wie sie selbst, die oft genug mit den äußeren Zwängen und Moralvorstellungen haderten. Brigitte Reimann legte 20 Jahre Zeugnis ab von einem zunächst hoffnungsvollen Leben in einem Staat, der Menschen kontrollierte und den eigenen Moralvorstellungen unterwarf – und der nicht davor zurückschreckte, seine „Genossinnen und Genossen“ selbst zu Denunzianten in der eigenen Familie, im Freundes- und Kollegenkreis zu machen. Dirk Sackis‘ Tipp: „Sie sollten sie lesen!“ Auch der von ihm zur „Lesung“ gereichte Wein sei ganz im Sinne Reimanns. Sie hätte sich gefreut, bemerkte Kristina Stella mit einem konspirativen Schmunzeln.



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