Kronberg (aks) – In den Kronberger Lichtspielen sitzt man gern auf den roten Sesseln, beim Hessischen Kabarettpreis fühlt es sich an wie „gemeinsam auf der Couch, wo wir über das lachen, was nicht so schön läuft“, so stimmt Bernd Gieseking, seit 25 Jahren Kabarett-Vollprofi, mit bissig-ironischen Kommentaren das zahlreich zur Kabarett-Gala erschienene Publikum ein. Als Vorsitzender des Kronberger Kulturkreises ist auch Bürgermeister Christoph König anfangs kurz mit von der Partie, „stolz auf Kino und Kultur in Kronberg“, musste dann aber dringend weiter zur Stadtverordnetenversammlung – oder etwa zum Whiskey-Tasting bei Dirk Sackis?, so wurde auf der Bühne geunkt. Spaß muss sein, vor allem an einem Abend, an dem drei Kabarettisten und eine Kabarettistin zum besten Quartett Hessens gewählt wurden, von der Jury und vom Publikum. Drei hessische Kleinkunstbühnen hatten sich 2017 zusammengetan, um gemeinsam den Hessischen Kabarettpreis auszuloben: die Kulturscheune in Mittelhessen, der Fresche Keller in Oberhessen und das Piazza Vellmar in Nordhessen. Und so winkten den Siegern an zwei Abenden typisch hessische Preise wie Handkäs und Bethmännchen sowie eine bunte Skulptur von Ulrike Obenauer. Der Ehrenpreis an diesem Abend, „die Ahle Worscht“, ging an Christoph Sieber, seines Zeichens Vegetarier, aber der nahm es mit Humor, selbstverständlich! Lucia Puttrich in ihrer Funktion als Schirmherrin des Hessischen Kabarettpreises und Hessische Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, freute sich, dass Kleinkunst in großer Vielfalt in der Fläche stattfinde, und nicht nur in großen Häusern, und sich Bühnen quer über Hessen breit aufstellten und sich organisierten, um Preise wie den Hessischen Kabarettpreis auszuloben.
Gieseking, der launige Moderator, betonte wie „verdammt schwierig“ ihnen allen die Auswahl der Sieger gefallen sei.
Musikkabarett und freie Reime
Florian Wagner macht den Anfang in grün karierten Boxer-Shorts und spielt erst einmal ein Lied auf dem Keyboard. Ein richtig „schlechtes Lied“ soll es sein – „mit Absicht schlecht“ – und die schiefen Töne sind nicht zu überhören. Dabei grinst er wie ein Lausbub über beide Ohren: Indem er „nicht gefällt“, bringt er das Publikum zum Schmunzeln. Sein Musikkabarett setzt er mit einem Potpourri aus Schlager und Rock fort, vom „Final Lockdown“ von Europe bis zur „Social Distancing Queen“ von Abba. Sein Piano-Spiel ist unglaublich virtuos, sein Spiel mit den Zuschauern auch, das bei seinen Wortspielen die Ohren spitzen muss. Das heizt die Stimmung ein und Poetry Slammer Lars Ruppel, Meister der Wortspiele und der Poesie im „fast forward“-Modus, hat die Bühne für sich. Schon reimt er zusammen, was bisher geschah, lässt seiner Fantasie freien Lauf, dichtet dem Kronberger Bürgermeister das Whiskey-Tasting ebenso an wie er von einem Date mit der „Social Distancing Queen“ träumt, das Leben – für andere – kann so angenehm sein. Sein Plädoyer gilt dem Poetry Slam, weil die Poesie bei den Menschen ankommt, kein Theater braucht, weil sie im Herzen entstehe und wenn es da funkt, dann kann jeder auftreten. „Du musst deinen Style finden, wofür dein Herz brennt, was das Leben dir diktiert … ich kann teilhaben. Poesie existiert.“ Ein amüsanter Staccato-Vortrag und Lars Ruppels Durchbruch nach Kronberg, wo seine Poesie und sein Engagement begeistert aufgenommen wird. Die Erkenntnis, dass Reime Teil des sprachlichen Alltags sind, hat ihn im Übrigen dazu befähigt, ein Trainingsprogramm für Demenz zu entwickeln: Die Sprachbegeisterung müsse auf den Zuhörer überspringen sowie die Emotionen im Gesicht, die Mimik. Ein Lacher ist seine atemberaubende Slam-Version nach der John Maynard-Ballade von Theodor Fontane: Mike Lübke, der Zugführer in Berlin, „noch fünf Stationen bis Bahnhof Zoo“, in dem ein Döner-Esser die Zugluft verpestet.
Förder- und Ehrenpreise
Nach der Pause erhält Eva Karl Faltermeier aus der Oberpfalz den „Grie Soß“-Förderpreis. In ihrer Heimat seien Frauen hartgesotten und grantig und ihr Dialekt werde im restlichen Deutschland als Fremdsprache wahrgenommen. Ihr Leben in der „Rushhour des Lebens“ sei schwerer zu ertragen als das der „Trümmerfrauen“ (ein verdutztes Schweigen geht durch die Reihen), denn die mussten bei all der harten Arbeit nie „gut gelaunt und sexy“ sein, so wie sie selbst und ihre Generation. „Gewinnbringend“ müsse sie auf Instagram vernetzt sein, um in der „perfekten Eltern-Bubble“ mitzuhalten: „Alles so schee!“. Dabei sei „die Oberfläche so perfekt und das andere so kaputt“. Statt dem schönen Schein auf Hochzeiten, seien ihr Beerdigungen lieber: keine Sargentführung, kein Kranzwerfen und keine Fotobox. „In Ruhe weinen und keiner findet das komisch!“
Christoph Sieber, Ehrenpreisträger, gewinnt nicht nur ein Preisgeld der Sparda-Bank Hessen, sondern eine echte „Ahle Worscht“. Die Laudatio hält Michael Glebocki vom Fresche Keller und beim Kronberger Kulturkreis an der Seite von Dorothé Arden. Er lobt Sieber für Haltung und Integrität, der uns auffordere, genau hinzuhören und sich zu hinterfragen – auch wenn wir dabei „stumm und hilflos die Stille aushalten“ müssten. „Für Vegetarier eine Wurst“, feixt Sieber und ist schon mittendrin in seinen fein ziselierten, aber skurrilen Visionen seines Kulturpessimismus. Eigentlich wolle er die Erwartungen heute Abend gar nicht erfüllen, gibt er missgelaunt zu Protokoll. „Wie wäre es mal mit einem richtigen „Scheißabend?“. Grund sei die Stimmung des Scheiterns in unserem Land, „das darf nicht unterschätzt werden“, nach dem Motto: „Wir haben nochmal Glück gehabt – der Russe stand vor der Tür!“. Der Deutsche wolle keine Zukunft, „lieber mit der Gegenwart unzufrieden sein“. „Reichen uns die Klimaziele oder wollen wir sie erreichen?“ Was verbindet uns (Deutsche) noch? Es gebe so viele Meinungen, leider „meist gepaart mit wenig Fakten - nicht eine andere Meinung, sondern keine Ahnung!“ Er sehe die Gefahr dort, wo alle einer Meinung sind und singt ein Loblied auf den Zweifel: Der Zweifel an sich, der Antworten sucht auf Fragen, die keiner gestellt hat. „Der Zweifel will wissen. Der Zweifel verzweifelt nicht.“ Statt der langweiligen Realität hätten Mythen Hochkonjunktur, „die machen mehr her!“, Verschwörungserzählungen seien die besseren Geschichten. „Chapeau“ vor so viel Fantasie! Er macht, selbst ungläubig staunend, deutlich, dass keine Theorie zu absurd und abwegig ist, um nicht geglaubt zu werden. „Die Erde als Scheibe, die von Echsen und Juden regiert wird, die den Holocaust rächen, der nie stattgefunden hat. Hallelujah!“
Wenn wir das Denken einstellen, drohe eine Welt von Smart Watches, die uns sagt, wann wir trinken sollen, und auch eine Welt voller Hass und Shitstorm im Netz. Wir könnten unsere Seele gar nicht mehr an den Teufel verkaufen, wir haben sie schon Amazon überlassen. „App App App – fertig ist der Depp!“ Er trifft tief ins Herz, wenn er sagt, „unsere größte Leistung in diesem Leben ist, dass wir hier geboren sind“, widersprechen können wir ihm nicht: „Für unseren Wohlstand arbeiten andere hart, nicht wir!“ In diesem Land gelte das Sprichwort: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, in Afrika heißt es: „Die Würfel sind längst gefallen.“ Der Pantomime hat es, das Talent, Menschen mit heiterer Düsterkeit zu unterhalten, sein pessimistisches Weltgeplänkel bringt uns trotz allem zum Lachen, aber auch zum Nachdenken – untermalt als optisches Schmankerl mit einer Jongliernummer mit bunten Bällen. So redet sich Sieber bällewerfend in Rage, regt sich richtig auf und schildert als Höhepunkt seines Programms einen Schwank aus seiner Jugend. Ein fulminantes Solo in diversen Rollen à la Michael Quast, in dem der Komiker den Kinderchor, den Nikolaus, den schwebenden übergewichtigen Engel und seine Schulkameraden spricht bzw. singt. Hallelujah, was für ein Spaß!
Diese Weihnachtsgeschichte sei der Grund warum er jetzt schiele – „Die Welt ist so schräg!“ So schön schräg und auf keinen Fall eine perfekte Blase. Lauthals lachen ist immer gut, da hat Bernd Gieseking recht behalten, auch wenn im Zerrspiegel des Kabarett dem einen oder anderen das Lachen für einen Moment verging.
Wer zuletzt lacht, sind die Gewinner: Bernd Gieseking, Moderator, Christoph Sieber, Lars Ruppel, Eva Karl Faltermeier, Florian Wagner Fotos: Sura