Kronberg (mw) – Der Kulturkreis hatte zu einem neuen Format eingeladen, der Straßentheater-Werkstattbühne bei lauschiger Sommerabend-Varieté-Atmosphäre – das sogenannte junge Da Capo vor der Villa Winter. Bis auf den lauschigen Sommerabend – nach anhaltendem Regen zogen die Künstler vom Vorplatz der Villa Winter in die Zehntscheune um – wurde den Straßentheaterliebhabern und allen anderen Kulturinteressierten, die der Einladung bis in die Zehntscheune gefolgt waren, ein Kleinkunstabend geboten, der gute Laune und Lust auf mehr Straßentheater machte. Sinn und Zweck der Tour der professionellen Straßenkünstler ist, ihre neuen Produktionen vor Publikum testen zu können, wie der künstlerische Leiter Gert Rudolph dem Publikum in der Zehntscheune erklärte. Seit 2012 gibt es diese Art der Werkstattbühne mit dem Namen „von Nord nach West“, inzwischen touren die Künstler von Bremen über Osnabrück, weiter nach Mülheim an der Ruhr, Löhne, Troisdorf und zum ersten Mal bis nach Kronberg. Die Städte, die hier angesteuert werden, sind allesamt „Straßentheater-erprobt“, wie die Leiterin des Kronberger Kulturkreises, Dorothée Arden ,sich ausdrückt, denn die Künstler wollen ihre neuen Shows Kleinkunst-affinem Publikum zeigen, also denen, die diese Form des Theaters in intimer Atmosphäre mit vielen Interaktionen zwischen Künstlern und Publikum auch interessiert.
Situationskomik pur
Womit das Publikum jedoch nicht rechnete, war, dass „Henrik & Co. aus Belgien und anschließend das „Chaos Varieté“ aus Deutschland sie mit ihren Inszenierungen von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln verstanden und ihre Lachmuskeln traktierten. Und das unter anderem, weil die Künstler selbst mit allerhand Tücken – denen des eigenen Lebens und denen des Taunusstädtchens – zu kämpfen hatten und genau dadurch ihr professionelles Geschick – beispielsweise ihre Situationskomik – unter Beweis stellen sollten. Hendrik & Co. entfachten rund um eine Hängelampe eine musikalisch-clowneske Slapstick-Show, ein wahrlich unterhaltsames Spektakel. Da in der Scheune ein bestimmter Lärmpegel nicht überschritten werden darf, fielen ständig, im Wechsel mal die Anlage, mal das Licht aus (rund zwölf Mal während des Stückes). Comedian Daniel Jorgens und sein Schlagzeuger Bart Braeken allerdings verstanden es, die ungewollten Pannen gekonnt in ihr Stück einzubauen, sodass das Publikum sich gar nicht sicher war, was nun geprobte Komik und was spontane, der peinlichen Situation geschuldete Situationskomik war. Jedenfalls war „Henrik“ mit Mimik, Körpersprache und Akrobatik-Raffinesse herrlich komisch. Er konnte witzig sein und im nächsten Moment schon wieder für magisch-komische Situationen sorgen, er verstand, das Publikum einzubinden und zu verblüffen. Auf seinem Weg, eine Glühbirne zu wechseln, tauchte er mehrmals mittels Slapstick und entsprechender musikalischer Einspielungen seines Kollegen in völlig andere Situationen, die binnen Sekunden vor dem Auge der Zuschauer entstanden. Eben noch sollte eine Zuschauerin ihm helfen, seine Leiter zusammenzuschrauben, schon war die Leiter zu einer Schiffsgondel geworden, in der er seine Angebetete durch die Kanäle Venedigs chauffierte.
Schlechte Ausgangsbedingungen
Nach einer kurzen Umbaupause ging es mit dem „Chaos Varieté“, einem studierten Pantomime, einem Jongleur und einem Comedy-Artisten und einer völlig anderen, jedoch nicht weniger witzigen Produktion weiter. Und dabei konnten die Ausgangsbedingungen der Drei kaum schlechter sein: Wie das Publikum eingangs erfuhr, hatte sich der Artist der Gruppe vor einem Monat schwer an der Schulter verletzt und konnte seine eigentliche Artistiknummer mit verletztem Arm in der Schlinge gar nicht zeigen. Hinzu kam noch die beengte Bühne bei einer Inszenierung, die eigentlich Platz und Raum braucht. Doch auch dieser Auftritt, den die Künstler kurzerhand allen Gegebenheiten angepasst hatten, überzeugte und gerade der Comedy-Artist sorgte für die ausgiebigsten Lacher im Publikum. Er litt darunter, seine „gefährlich, dramatischen“ Showeinlagen nicht zeigen zu können und dazu noch an geistiger Amnesie, wie seine Kollegen verrieten. Diese hätte er sich durch den Sturz vom Einrad zusätzlich zugezogen. Und so gab es einige Unterbrechungen bei den gekonnten Jonglage- und Mimikdarbietungen seiner Kollegen, denn der Amnesie-Patient wollte gefühlt alle fünf Minuten wieder aufs Einrad steigen, später seine „gefährliche“ Fackelnummer (die ja in der Zehntscheune ohnehin nicht durchführbar war) vorspielen und wenigstens seine Rollbrettnummer mit drei Schwertern auf dem „gefährlichen“ Rollbrett demonstrieren, wie er theatralisch ankündigte. Doch wieder wurde der Akrobat von seinen Bühnenkollegen eines Besseren belehrt. So wuchsen das Mitleid für ihn und die Freude an seinen Blödeleien beim Publikum gleichermaßen, sodass der Wert des Dezibelanzeigers am Ende in die Höhe schnellen sollte, als er sein Publikum zum Dauerapplaus anspornte. Den Vogel schoss er an diesem Abend der spontanen Gags jedoch mit einem Apfel ab – und immerhin mittels eines „gefährlichen Schwertes“ –, das man ihm dann doch anvertraute. „Boah, das wird die ,very dangerous‘ Nummer“, kündigte er an. Auf seinem im Afrolook geflochtenen Schopf platzierte er einen Apfel und kommentierte: „Passen sie mal auf, das Obst stellt man sich, ganz wichtig, zunächst einmal auf die selbstgeflochtene Streuobstwiese ...“ Ohne es selbst zu verstehen, hatte er damit sein Programm eigens auf Kronberg zugeschnitten. Was folgte, war eine Show, bei der der einarmige Bandit Schwert und Apfel durch die Luft jonglierte, um zwischendurch beim Apfel einen Happen abzubeißen, um ihn nach schier nicht enden wollenden Strapazen schließlich vor der Menge übel sabbernd zu zermalmen. Diese Nummer beendete er mit den Worten, die gleich für die nächste Lachsalve sorgte: „Und was kommt jetzt? – Was mit Niveau, ach so!“
Das junge Da Capo geht vor der Villa Winter weiter mit Straßentheater-Show Nummer zwei, drei und vier: Jeden Donnerstag von 19 bis 21 Uhr stehen je zwei völlig neue Produktionen und deren Künstler auf der Straßenbühne in Kronberg. Sie werden die Urlaubsrückkehrer und Daheimgebliebenen auf beste Kleinkunst-Manier zu unterhalten wissen. Und das nach Straßentheater-Tradition ohne Eintritt, aber mit Wunsch auf großzügige Hutspenden für die Künstler. Lassen Sie sich überraschen!