Kino nicht nur im Kopf: Alte Liebe – Werner Reinke ist seit 50 Jahren dem Radio treu

Kronberg (aks) – Jetzt muss er doch befürchten, an der Supermarktkasse erkannt zu werden: Werner Reinke, den meisten bekannt als „the Voice“ im Hessischen Rundfunk, ist seit der Filmpremiere am Donnerstag „Die alte Liebe“, in dem er als Erzähler agiert, nun auch Filmstar. Im Interview lacht er laut und herzlich und will vom Star-Sein gar nichts wissen, „Quatsch, da wollte ich nie hin!“. Er habe immer eine handwerklich ordentliche Arbeit als Radiomoderator gemacht, und darauf sei er stolz. Dass er es nun doch ins Kino geschafft hat, verdankt er seiner über 50-jährigen Tätigkeit als Radiosprecher. Ein Vorteil sei dabei immer gewesen, auf der Straße unerkannt zu bleiben. Im Film erzählt Werner Reinke von seiner wahrhaft alten Liebe zum Radio, das über 100 Jahre alt ist. Davon hat er über 50 Jahre am Mikrofon geplaudert, zuerst bei Radio Bremen, später beim hr - und Musik in den Äther geschickt, die man sonst in den 70er-Jahren nirgends hören konnte. Die „Hitparade International“ wurde von Jugendlichen per Kassettenrecorder begierig mitgeschnitten, ein äußerst mühsames Unterfangen mit vielen störenden Nebengeräuschen! Damalige DDR-DJs fieberten der Sendung am Donnerstagabend entgegen und versetzten mit den internationalen Reinke-Hits junge Menschen in improvisierten Nachtclubs in Ekstase.

Get together

„Mister Hitparade“ alias Werner Reinke begrüßt bei der Filmpremiere im Kronberger Kino bestens gelaunt seine Gäste. Dass er heute Glitzerschuhe trägt, sei kein Zeichen von Eitelkeit, sondern eher dem Anlass angemessen – statt in die Augen würden heute alle auf seine Schuhe schauen, feixt er. Reinke plaudert mit Leichtigkeit und sein Humor ist ansteckend. Just in diesem Moment kommt Petra Roth, Ex-Oberbürgermeisterin von Frankfurt, auf ihn zu und gratuliert, er springt voller Freude auf und begrüßt sie herzlich. Eine knappe, aber entschlossene Antwort auf die Frage, was er sich für die Zukunft noch wünscht, raunt er im Weggehen: „Wenn alles so bleibt, bin ich zufrieden“. Der 75-Jährige, mehrfach als Moderator ausgezeichnete Pionier der Radiogeschichte scheint mit sich und seinem Leben zufrieden zu sein: „Es war immer sehr, sehr gut! Was immer kam, war große Freude.“ Ein guter Plan fürs Hier und Jetzt! Beim Bad in der Menge ist er wegen seiner Körpergröße nicht zu übersehen. Unter den Gratulanten sind Reinkes Ehefrau, Lidia Antonini, wie er seit Jahren beim hr, der Bürgermeister Christoph König mit Frau, die ehemalige „Lottofee“ Karin Tietze-Ludwig, viele Moderatoren von SWR und hr, u.a. Johannes Scheerer von Radio FFH, Claudia Schick, Hessenschau-Moderatorin, Volker Rebell, hr-Zeitgenosse, Satire-Autor Achim Winter vom ZDF sowie Programmdirektoren aus Film und Fernsehen und viele andere, die man halt als Radiostars mitten im Leben nicht so leicht erkennt. Man kennt sich, prostet sich zu mit einem kleinen Gläschen Sekt, kredenzt von Kinochefin Vanessa Müller-Raidt.

Regisseur Andreas Heller ist sich für keine Fotopose für die Presse zu schade, er wirkt beflügelt nach acht Jahren Recherchearbeit und heutigem erfolgreichen Kinostart seiner Radiodoku. Der Produzent Peter Urban, selbst ein alter Hase vom ZDF, berichtet von der hochspannenden Arbeit im Schneideraum in Wiesbaden: Für ihn spielt die Dramaturgie eine herausragende Rolle, immer nur „kurz und knapp“ sei nicht zielführend: „Der Kopf muss auch mal schwelgen können!“ Einen Film drehen sei eine Sache, die Post Production heute eine Kunst, die dem Film im „Finishing“ einen eigenen Stil verleiht – „kinolike“ eben. Früher war es der „Cutter“, heute kommt dem „Video-Operator“, in diesem Fall Peter Fries, Geschäftsführer von Omnimago, eine besondere Aufgabe zu: Seine Fantasie und sein Können entscheiden über die Qualität des Films, über den „Look“.

Music was my first love…und wird es immer bleiben

„Biste aufgeregt?“, das wird Werner Reinke oft gefragt an diesem Abend. Seine Antwort auf der Bühne des Kronberger Kinos: „Nein, ich muss Euch nur guten Abend sagen.“ Dann wird er doch emotional: „Ein wunderbares Gefühl, in ein Publikum zu schauen, in dem jeder Empathie hat.“ Bevor er mit Lust „Film ab!“ ruft, lobt er den Regisseur Andreas Heller, der acht Jahre in Archiven „gejagt und gesammelt“ hat. 185 Minuten wurden auf 105 Minuten gekürzt. Eine Dokumentation, die nicht von Schneehasen handele, sondern von einem Moderator, der von hundert Jahren Radio 50 Jahre selbst miterlebt hat. „Das hast du“, so Heller, und damit wurde Reinke zum Erzähler des kurzweiligen Films, der mit vielen Einspielungen und Prominenten-Testimonials nicht nur ein schillerndes „Who’s who“ der Radio- ,TV- und Filmbranche spiegelt, sondern auch historisch interessant ist und bei vielen, heute leicht ergrauten „Reinke-Jüngern“ Jugenderinnerungen wachruft. Radio war Musik und Werner Reinke fand stets den richtigen Ton und den aktuellsten Sound für eine lebenshungrige Generation, die mit zitternden Fingern an den Kassettenrecordern saßen. Im Film heißt es treffend: „Radio (war) Nahrung, die man hören konnte“. Es ging auch um Freiheit in der Musik der Nachkriegszeit, die mit dem amerikanischen Radiosender AFN (American Forces Network) in den 60-er Jahren ein „next level“ an Unterhaltung erreichte, wo die DJs im lockeren „coolen“ Plauderton Musik sendeten, die die Welt bedeutete. Sein eigenes musikalisches Erweckungserlebnis erfuhr Werner Reinke als Jugendlicher im „Star Club“ in Hamburg, als sein Idol Chuck Berry spielte – da war es um ihn geschehen und bis heute kommt es ihm so vor, als hätte er nie einen einzigen Tag gearbeitet, so sehr hat er seinen „Job“ geliebt. Seine „alte Liebe“ zum Radio und seine Leidenschaft für Musik brachten ihm viele Auszeichnungen ein, aber vor allem ein begeistertes und treues Fan-Publikum, das über mehrere Generationen, seinen Interviews mit Sting, Tom Jones, David Bowie, Albert Hammond, Peter Maffay u. a. andächtig bis heute lauscht. „Zuhören ist eine große Aufmerksamkeit“, so beschreibt es Reinke. Das gilt für seine Studiogäste, denen er für kurze Live-Gigs eine Bühne schenkt und denen er gut zuhört, sowie für die vielen Millionen Radiohörer, die er mit seinem „zartschmelzenden Bariton“ Woche für Woche, Jahr für Jahr, als „Mister Hitparade“ oder in der „Mittags-Diskotheke“ betörte.

Kino im Kopf

Seit Donnerstag läuft „Alte Liebe oder wie Herr Reinke zum Radio kam“ im Kronberger Kino, ein Dokumentarfilm, der ein leidenschaftliches Porträt einer Radiolegende zeichnet: Der Wahl-Kronberger, Werner Reinke, der sich seinen Traum, im Radio Menschen intelligent und mit bester Musik zu unterhalten, kompromisslos erfüllte. Bravo bravissimo Werner Reinke! Seit August ist der Film fertig und schon hat er das Prädikat „Besonders wertvoll“ erhalten: Als Kinofilm beeindruckend, als Doku auch TV-geeignet und als lebendiger Unterrichtsfilm empfehlenswert für alle Schulen. Die Frage nach der Qualität der freien und öffentlich-rechtlichen Sender drängt sich auf. Wie viel kopfloses Dampf-Geplauder, wie viel konforme Popsongs (gefühlt sind es immer die gleichen), wie viel Dauer-Berieselung ohne jegliche Neuentdeckung wirklich guter Musik ist heute ertragbar? Qualität sei jedem (Zuhörer) zuzumuten, heißt es im Film. Gut, dass es noch Moderatoren der „alten Schule“ gibt, denen Sprache ebenso wichtig ist wie ihr handverlesenes Musikprogramm. Gemeinsam mit Lidia Antonini will er zeigen, dass „in jeder Woche großartige neue Musik entsteht“. Hören wir mal wieder rein bei „Reinke am Samstag“ von 9 bis 12 Uhr im hr1 und erleben gut gemachtes Radio – und ganz viel Kino im Kopf!

Mit Inkognitospaziergängen ist es jetzt hoffentlich für Werner Reinke noch nicht vorbei, wenn in Kronberg und anderswo der Film anläuft – übersehen kann man den großen Radiomann jedenfalls nicht, überhören auch nicht.

V.l.n.r.: Fast wie in Hollywood – „Starrummel“ mit Regisseur Andreas Heller, Erzähler Werner Reinke (der mit den Glitzerschuhen) und Produzent Peter Urban
Fotos: Sura

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