Pater Anselm Grün plädierte in einem Vortrag für ein „abschiedliches“ Leben

Kronberg
(kb) – Pater Anselm Grün selbst ist bereits ein Publikumsmagnet, doch auch das Thema seiner Lesung an der vhs Hochtaunus traf das, was die Gesellschaft in der Zeitenwende umtreibt. Abschiede sind Teil des Lebens, heute stärker denn je empfunden. Die Abschiede von scheinbaren Sicherheiten, ob in der Kirchenkrise, dem Klimawandel oder der drohenden Kriegsgefahr, beschäftigen Menschen jeden Alters. In dem, was zunächst negativ als Verlust oder Belastung wahrgenommen wird, sieht der Bestsellerautor jedoch auch eine Befreiung, eine Chance für die Zukunft. Und genau das war es, was über 300 Gäste in die Stadthalle Kronberg zog.

Mit seinem weißen „Rauschebart“ entsprach Pater Anselm Grün genau dem Klischee eines Benediktinermönchs. Wer ihn jedoch hierauf beschränkt oder gar denkt, er sei nur vergeistigt, liegt vollkommen falsch. Hinter Anselm Grün verbirgt sich eine vielschichtige Persönlichkeit, mit klarem Blick und scharfem Verstand. Grün ist Theologe, Philosoph, examinierter Betriebswirt, Medienpersönlichkeit und Bestsellerautor und steht mit beiden Beinen im Leben, festverankert aber auch in seinem Glauben. Immer wieder schwingt seine religiös geprägte Sichtweise in Seminaren, Vorlesungen und Vorträgen mit. Sein ebenso realistischer wie sensibler, sehr menschlicher Blick auf die Nöte und Fragen der heutigen Gesellschaft spricht jedoch alle Menschen an, jenseits religiöser Konfessionen.

Während seines 50-minütigen Vortrags, den Grün vollkommen authentisch hielt, ohne jegliche Manuskripte, dafür aber mit vielen lebensnahen Beispielen spickte, hing sein Publikum ihm förmlich an den Lippen. In vielfältigsten Situationen beschrieb er das Abschiednehmen, aber was ihm viel wichtiger war, auch das Loslassen und das Weitergehen. Fast kam es einem so vor, als sollte die lebensbejahende Weisheit, für die Anselm Grün so geschätzt wird, für den Alltag verinnerlicht werden. Immer wieder fokussierte er die Chancen des Loslassens, die Kraft von Neuaufbrüchen und dynamische Wege zum Glück, trotz schmerzhafter Abschiede, Verluste oder gescheiterter Lebensträume. Zuallererst, so empfahl er, sollte man sich davon verabschieden, alles kontrollieren zu wollen. Im Streben, das Leben zu gestalten, vergesse man, das Leben zu leben. Auch von Menschenbildern oder einem Bild von Gott sollte man Abschied nehmen, hindern sie doch daran, das Gegenüber in seiner Gänze und Wirklichkeit zu erfassen. Auch die Menschen selbst würden sich oft nur nach dem vorgefertigten Bild begegnen und sich in vielen Fällen dadurch selbst begrenzen. „Unser Selbstverständnis, die Vorstellungen und Erwartungen an die eigene Person können wie Hemmschuhe wirken.“ Eine Situation brachte klar zum Ausdruck, was Grün meinte: Eine Frau beklagte ihren schmerzlichen Verlust durch den Tod ihrer Freundin und dass sie sich Vorwürfe mache, zum Zeitpunkt des Todes nicht an deren Seite, sondern beim Einkaufen gewesen zu sein. Aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz berichtete Pater Grün tröstend, dass Menschen oftmals in Momenten versterben, in denen sie alleine sind und dies möglicherweise so gewollt war. Wichtig sei auch, in der geschilderten Situation, Abschied zu nehmen – von der verstorbenen Freundin, aber auch von einer als bedrückend empfundenen Situation. Loszulassen von überhöhten Erwartungen an sich selbst und von den negativen Gefühlen, die die Beziehung zur Freundin derzeit noch überschatten. So plädierte Grün für ein „abschiedliches“ Leben. „Die Kunst, Abschied zu nehmen,“ so Pater Anselm, „ist die Kunst, wahrhaft zu leben“, auf den Ruf des Lebens zu achten und dabei den eigenen, richtigen und glücklichen Weg zu finden.

Einen sehr emotionalen Abschluss fand die Veranstaltung in dem gemeinsamen spirituellen Innehalten, zu dem der Benediktinermönch einlud und an dem sich das gesamte Publikum beteiligte.



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