Kronberg (pf) – Normalerweise tragen Richter wallende Roben, doch Wolfgang Nieß, der im Festsaal des Altkönig-Stifts den „Mordfall Mozart“ zur Verhandlung aufrief, trug einen eleganten Frack. Normalerweise beginnt eine Gerichtsverhandlung auch nicht mit Musik. Aber Wolfgang Nieß setzte sich erst einmal an den Flügel und spielte die Fantasie d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart, ehe er verkündete: „Die Verhandlung ist eröffnet.“
Verhandelt wurde ein „cold case“, ein mehr als eiskalter Fall, nämlich ein ungeklärter Mordfall, der sich am 5. Dezember 1791 zutrug, also vor bald 232 Jahren, der aber bis heute Rätsel aufgibt. Alle Fakten, Verdächtigen und möglichen Motive hatte Wolfgang Nieß sorgfältig recherchiert und in einer Akte mitgebracht. Seine Frau Sabina Nieß hatte dazu für die Schöffen und Geschworenen sachdienliches Bildmaterial zusammen gestellt, das sie in chronologischer Reihenfolge auf einer Leinwand präsentierte. Denn das abschließende Urteil über den mysteriösen Fall, dazu forderte Wolfgang Nieß in seiner doppelten Funktion als Staatsanwalt und Verteidiger ausdrücklich auf, sollte nach eingehender Beurteilung und Prüfung der Aktenlage das zahlreich erschienene Publikum fällen.
Kriminalkonzert nennt der Pianist und Dozent am Peter-Cornelius-Konservatorium in Mainz, der sich im Festsaal des Altkönig-Stifts nicht zum ersten Mal als virtuoser Tastenkünstler erwies, sein ungewöhnliches Programm, in dem eine Reihe von Mozarts meisterhaften Kompositionen durchaus keine Nebenrolle spielten.
Sogar die berühmte Arie der Königin der Nacht „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, die von einer Koloratursopranistin als höchsten Ton das dreigestrichene f verlangt, trug er in seiner Bearbeitung für Klavier vor. „Keine Angst, ich singe nicht“, hatte er schmunzelnd sein Publikum beruhigt, ehe er sich an den Flügel setzte.
Zudem hatte er die Arie „Et incarnatus est“ aus der c-Moll-Messe sowie Sätze aus zwei Klavierkonzerten von Mozart, den zweiten Satz Adagio aus dem Klavierkonzert A-Dur Köchelverzeichnis 488 und den zweiten Satz Andante aus dem Klavierkonzert Nr. 21 C-Dur KV 467, so meisterhaft bearbeitet, dass man meinte, ein ganzes Orchester im Hintergrund zu erleben. Eine weitere Klavierbearbeitung des Requiems von Mozart, aus der er die Passagen „Confutatis maledictis“ und „Lacrimosa“ vortrug, schuf kein geringerer als Franz Liszt.
Aber zurück zum „Mordfall Mozart“ und den vielen Verdächtigen, die ihn begangen haben könnten: Antonio Salieri war es jedenfalls nicht, wies Nieß nach, denn er hatte kein Motiv. Er hatte eine sichere Position im Wiener Musikleben, hatte es einem seiner Schüler zudem ausdrücklich versichert ehe er dement wurde und in ein Heim kam, wo er den Mord, schon verwirrt, später zugegeben haben soll. Talentneid als Motiv scheidet ebenfalls aus, hat doch Mozart selbst Variationen über „Mio caro Adone“ seines von ihm geschätzten Kollegen komponiert, die der Pianist sodann spielte.
Die Freimaurer waren es ebenfalls nicht, denn in der „Zauberflöte“ werden zwar Einweihungsrituale „verraten“, was die Logenbrüder nicht dürfen, worauf sie einen feierlichen Eid schwören müssen. Aber Mozart vertonte lediglich das Libretto seines Logenbruders Emanuel Schikaneder, beging also selbst keinen „Verrat“. Und Schikaneder wurde 61 Jahre alt.
Auch seine Frau Constanze, die übrigens eine Cousine des „Freischütz“-Komponisten Carl Maria von Weber war, scheidet als Täterin aus, denn sie führten, wie viele Briefe beweisen, eine gute Ehe, auch wenn beide mehr oder weniger folgenreiche Seitensprünge begingen. Kein Motiv hatte zudem der Wiener Tuchhändler Johann Michael Edler von Puchberg, bei dem Mozart beträchtliche Schulden hatte, denn von einem von ihm selbst Ermordeten hätte er niemals Geld zurück bekommen.
Wahrscheinlicher wird Mozarts Todesursache, wenn man weiß, dass er sich bei einem seiner Seitensprünge vermutlich mit Syphilis ansteckte. Die Krankheit wurde damals mit einem hochgiftigen Quecksilberpräparat behandelt. Zwar dürfte sich sein Apotheker peinlich genau an die Dosierung gehalten haben, doch deuten alle Anzeichen in Mozarts letztem Lebensjahr, in dem es ihm zusehends schlechter ging, auf eine schleichende Quecksilbervergiftung hin. Auch die Diagnose „hitziges Frieselfieber“ in Mozarts Totenschein. Und obendrein die Tatsache, dass Mozart umgehend anonym in einem Massengrab beigesetzt wurde um zu verhindern, dass bei einer späteren Obduktion Quecksilber gefunden werden könnte.
Aber die eigentliche Todesursache, plädierte Wolfgang Nieß, dürfte Mozarts feste Überzeugung gewesen sein, dass das Requiem, das der unbekannte maskierte Bote bei ihm bestellte und an dem er fieberhaft in seinen letzten Lebenstagen arbeitete, für ihn selbst bestimmt war. Er sah in dem Gutsverwalter Franz Anton Leitgeb, der im Auftrag des Grafen Franz von Walsegg das Requiem in Auftrag gegeben hatte, - übrigens um es als sein eigenes Werk auszugeben, es wurde später auch bei ihm gefunden – einen Todesboten.
Mit seinen sorgfältigen und in sich schlüssigen Recherchen dürfte Wolfgang Nieß das Rätsel um Mozarts Tod gelöst haben. Was bis heute beglückt, ist seine Musik, über die der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer schrieb: „Mozarts Musik ist ein unverdientes Geschenk an die Menschheit, in dem die Natur ein einmaliges, wahrscheinlich unwiederholbares – jedenfalls niemals wiederholtes Kunstwerk hervorgebracht hat.“ Mit dem Rondo alla Turca aus Mozarts Sonate Nr. 11 A-Dur als Zugabe beendete der Pianist sein ebenso aufschlussreiches wie musikalisch genussvolles Kriminalkonzert.