Schuberts „Winterreise“ im Casals Forum – Thomas Hampson singt den Schmerz

Standing Ovations für Bariton Thomas Hampson und Christoph Eschenbach, die mit Schuberts „Winterreise“ brillierten und den Gesang ins Casals Forum brachten – eine Premiere. Foto: Patricia Truchsess von Wetzhausen

Kronberg (sura) – „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus“. Franz Schuberts „Winterreise“ beginnt tieftraurig mit einem Gute-Nacht-Lied, das keinen Trost für die Nacht verspricht. Am Ende seines jungen Lebens, nach der „vergeblichen Reise“, habe der Wiener Komponist der Romantik weder Ruhe noch Frieden gefunden, so bringt Norbert Abels, Publizist, Dozent, Musiker und 23 Jahre Chefdramaturg an der Oper Frankfurt, in seiner Einführung den Seelenzustand Franz Schuberts dem Publikum näher. Schubert starb 1828 mit 31 Jahren in jammervoller körperlicher und seelischer Verfassung. Lebensmüde nach langer Krankheit und einer schier unbegrenzten Schaffenskraft „war für ihn Winter eingetreten“. Seine Sehnsucht nach Glück habe sich trotz seiner genialen Musikalität nie erfüllt. Sein „Herz voll unendlicher Liebe“ war zum Wandern verurteilt, „Wo du nicht bist, da ist das Glück.“ Ein Zuhause habe er zeitlebens nie gefunden, stattdessen „Unbehaustheit“. Sein beeindruckendes Lebenswerk mit Messen, Opern und 600 Liedern – „Mir wird alles zum Lied“ – zeugt von seiner unersättlichen Schaffenskraft. Rastlos schrieb er „manchmal neun Lieder am Tag!“. Die Winterreise mit 24 Liedern entstand „im Wissen um sein baldiges Ende“. Schubert selbst bezeichnete sie als „schauerliche Lieder“, doch: „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle, und sie werden Euch noch gefallen.“ Die „eisige Reise“ in den Texten Wilhelm Müllers aus Dessau sei „zur Sehnsucht gewandeltes Wissen um die Endlichkeit“. Dem Dichter der 77 Lieder sei der Wiener Komponist nie begegnet, er erkannte in seinen Texten jedoch sofort „die gleich gestimmte Seele“. Nach einer halben Stunde ermahnte sich Abels selbstironisch zum „Triebverzicht“, damit er das anschließende Konzert nicht aufhalte mit seiner Rede.

Premiere für den Gesang

Derart gefühlvoll und kenntnisreich auf Schuberts Traurigkeit eingestimmt, erwartete das Publikum im ausverkauften Casals Forum mit ernsten Mienen den berühmten Bassbariton Thomas Hampson, am Klavier innig begleitet von Christoph Eschenbach, künstlerischer Beirat und Dozent der Kronberg Academy. „Eine Premiere“, wie Friedemann Eichhorn, Direktor der Kronberg Academy Studiengänge, den Liederabend begeistert ankündigte. Endlich sei auch der Gesang in diesem Saal angekommen, „der ideal für das Lied geeignet sei“, und über eine weitere Zusammenarbeit mit Hampson sei man bei der Kronberg Academy hoch erfreut. Die beiden Weltklasse-Künstler, Eschenbach und Hampson, zeichneten sich durch ein hohes persönliches Engagement für die Förderung der zukünftigen musikalischen Elite aus. Mit den Einnahmen des Abends wolle man junge Solisten beim Auftritt mit Orchester unterstützen. Eichmann verkündete eine weitere frohe Botschaft: Der „Universalkünstler“ Christoph Eschenbach bekomme am Sonntag für sein Lebenswerk die Ehrendoktorwürde in Frankfurt verliehen.

Lieder voller Schmerz und Schönheit

Als Thomas Hampson und Christoph Eschenbach die Bühne betreten, ist es mucksmäuschenstill – andächtig und voller Ehrfurcht halten die Zuschauer den Atem an.

Würdevoll nimmt Hampson Haltung an und singt: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus…“ Da erst legt sich die Anspannung und die Musik erfüllt den Saal. Als Zuhörer gerät man sofort in den Bann der wohltönenden Baritonstimme des Amerikaners Hampson, der den Text auswendig und gut verständlich zum Klingen bringt. Als erfahrener Sänger strahlt er Erhabenheit und Reife aus. Sein hochexpressiver Ausdruck verleiht der vielfältigen Todessehnsucht des Komponisten Klang und Sprache. Er singt den Schmerz. Eschenbachs Klavierspiel ist graziös und mühelos – da glitzern Eis und Schnee, hier raschelt der Lindenbaum, dort schwirren die Krähen, und der Wanderer zieht immer weiter.

Der eineinhalbstündige Vortrag fesselte, berührte und endete mit einem langen Schweigen. Minuten dauerte die Erschütterung an, dann brandete der Applaus los und das Publikum erhob sich, um den Künstlern seine Verehrung zu zeigen. So schön klang innerer Rückzug von einem, der auszog, das Glück zu suchen und im Tod Unsterblichkeit durch seine Musik erlangte.



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