Steinbach (HB). Zeitzeugen aus Fleisch und Blut sind für jede Ausstellung ein Gewinn. Nun kamen gleich drei Frauen ins Pfarrheim von St. Bonifatius und belebten die Präsentation von 100 Jahre Frauenwahlrecht. Martha Dickel, Gabriele Schmidt und Marianne Schwalbe sind in die Fußstapfen der verstorbenen Gisela Spahn getreten, die 1968 – Steinbach war noch ein Dorf – als erste Frau in den Gemeinderat einzog. Den vier starken Frauen wird im Steinbachteil der Ausstellung – stellvertretend für alle Mandatsträgerinnen – der gebührende Platz eingeräumt.
Ursprünglich sollte die Ausstellung, die der Geschichtsvereins beim Frauenfest im September präsentierte, nicht mehr als eine Eintagsfliege sein. Doch dann meldete die katholische Gemeinde ihr Interesse an und holte nunmehr die Ikonen der Frauenbewegung für mehr als eine Woche ins Pfarrheim. Die sogenannte „Damenwahl“ von 1919, im Artikel 22 der Weimarer Verfassung garantiert, bietet zwar Anlass zum Feiern, aber die im Grundgesetz von 1949 festgeschriebene Gleichberechtigung der Frauen, für die Elisabeth Selbert aus Frankfurt im parlamentarischen Rat leidenschaftlich gekämpft hat, ist noch immer eine Fiktion. Im Statistikteil der Ausstellung wird der Anteil der Frauen im Bundstag mit 31 Prozent angegeben. Nur neun Prozent der Bürgermeisterstellen sind mit Frauen besetzt. In der katholischen Kirche gibt es noch immer keine einzige Pfarrerin. Für die Verfechter der Emanzipation unfassbar. „Wir müssen weiterkämpfen,“ lautet deren Parole.
Susan von Winning hat die Ausstellung gewollt, um dem Frauenkreis „Wir können mehr“ in der Pfarrei Oberursel den Rücken zu stärken. Die Konservativen in der römischen Kurie sind ein mächtiger Gegner, doch hofft das Frauenteam, durch Beharrlichkeit ans Ziel zu gelangen. Als Mutmachter gelten die streitbaren Frauen aus dem Schweizer Kanton Appenzell, die bis 1990 warten mussten, ehe ihnen die Männer das Wahlrecht zubilligten. Der Film „Die göttliche Ordnung“, der ihrem erfolgrecihen Kampf ein Denkmal setzt, kam gut an.
Kuratorin Heidrun Möhle, Vorstandsmitglied des Geschichtsvereins, lud, von ihrem „Präsidenten“ Kai Hilbig tatkräftig unterstützt, zu einem Gang durch die Austellung ein, bei dem die gut 50 Gäste die Protagonisten der Frauenbewegung von der franzöischen Revolution bis in die bundesrepublikanische Wirklichkeit in Wort und Bild begegneten. Grundlage der „vier Zeitfenster“ bilden die Informationstafeln, die vergangenes Jahr im Historischen Museum am Frankfurter Römerberg ausgestellt wurden. Zwischen den Stellwänden haben die Steinbacher Ausstellungsgestalter Leinen gespannt mit weiblicher Unterwäsche aus der Kaiserzeit, einem Korsett als Symbol weiblicher Fremdbestimmung und Plakaten mit flotten Sprüchen wie „Frauen werbt und wählt, jede Stimme zählt, jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt.“ Heidrun Möhle, selbst sieben Jahre SPD-Stadtverordnete, erinnert sich daran, dass es gerade mal 50 Jahre her ist, seit Lenelotte von Bothmer im Bundestag geschmäht wurde, weil sie im Hosenanzug eine Rede hielt.
Obwohl mit einigen Mühen verbunden, hat es Möhle geschafft, der Ausstellung eine Steinbacher Note zu geben. Die Geschichte der hiesigen Polit-Heroinnen muss erst noch geschrieben werden, und deshalb war die Recherchehilfe aus dem Rathaus umso wichtiger. Jörg Schwengler fand das Protokoll der Gemeinderatssitzung von 1968, in der die Christdemokratin Gisela Spahn als erste und damals einzige Mandatsträgerin erwähnt wird. Stadtrechte erhielt Steinbach erst vier Jahre später. Martha Dickel saß für die CDU ab 1981 als erste Frau im Magistrat. Sie fungiert heute noch im Vorstand des Ortsgerichts. Marianne Schwalbe (FDP) ist ebenfalls Ehrenstadträtin und war 1996 Bürgermeisterkandidatin, Gabriele Schmidt stand zehn Jahre lang an der Spitze der Grünen-Stadtverordnentenfraktion. Lobeshymnen werden auch auf Ruth Rahmel gesungen, die 15 Jahre den Geschichtsverein führte.
Im Foyer des Pfarrheims begegnet man der ersten bundesdeutschen Ministerin Elisabeth Schwarzhaupt, die in den letzten Jahren der Adenauer-Ära Gesundheitsministerin war. Man trifft Regine Hildebrandt, die erste Ministerin in der aus freien Wahlen hervorgegangenen DDR-Regierung. Es werden Heide Simonis, erste Ministerpräsidentin eines Bundeslands, und natürlich das Dreigestirn Annemarie Renger, Angela Merkel und Ursula von der Leyern gewürdigt.
!Die Ausstellung ist am Donnerstag, 30., und Freitag, 31. Januar, jeweils von 15 bis 18 Uhr geöffnet, am Samstag, 1. Februar, von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr, am Sonntag, 2. Februar, von 11 bis 18 Uhr.