Königstein (as) – 100 Jahre alt ist Schuh-Beyer in diesen Tagen geworden. Eigentlich ein Grund zu feiern für das Fachgeschäft in der Klosterstraße, zumal die Tradition auch noch mit einer schönen Urkunde der Industrie- und Handelskammer Frankfurt/Rhein-Main gewürdigt worden ist. Doch in fünf Wochen ist Schluss, am 31. Mai wird das Familiengeschäft zum letzten Mal die Türen aufschließen. Bereits jetzt zeugen die bunten Schilder, die auf Rabatte von 30 bis 50 Prozent hinweisen, dass hier mehr als nur ein Winterschlussverkauf passiert.
„Wir haben einfach keinen Nachfolger gefunden“, bedauert Inhaber Dieter Beyer die unausweichliche Tatsache. Er leitet das Fachgeschäft in der dritten Generation, das sein Großvater Wilhelm in Ostpreußen gründete. Am Ende des Krieges wurde die Familie aus ihrer Heimat vertrieben und fand eine neue in Königstein, wo dann Sohn Karl das Geschäft zunächst in der Hauptstraße, später in der Kirchstraße weiterführte. Vor 30 Jahren zog die Firma dann schon unter Dieter Beyer zum letzten Mal um in die Klosterstraße. „Das ist meine schönste Erinnerung, hier mit dickem Babybauch die Filiale zu eröffnen“, sagt seine frühere Frau Christiane, die im Unternehmen geblieben ist und sich vorwiegend um Einkauf, Verkauf und Abrechnung gekümmert hat. Ein echter Familienbetrieb eben: Auch Dieters Schwester Helga war immer mit von der Partie, die Kunden erinnern sich vor allem gerne an Mutter Elfriede, die jahrzehntelang die gute Seele im Verkauf war. Und die Kunden kamen nicht nur aus Königstein, sondern auch aus Kronberg, Glashütten, Schmitten und den nahgelegenen Orten im Main-Taunus-Kreis. Man schätzte den echten „Beratungsverkauf“ und den Verkauf nach Passform, den der gelernte Orthopädieschuhmacher anbieten konnte. Es gab besonders breite und besonders enge Schuhe, es wurden Einlagen angefertigt und angepasst, auch Diabetiker duften die Beyers dank einer speziellen DIN-Qualifizierung behandeln. 3000 Paar Schuhe habe er in seiner mehr als 30-jährigen Berufskarriere gebaut, sagt Beyer. Die Nähe zum Kunden war ihm immer wichtig – nach dem Motto „Wer die Patienten betreut, der die Produkte erzeugt“.
Zwischendurch sah es so aus, dass es auch in der vierte Generation weitergehen könnte, denn Jonas, der ältere Sohn von Dieter Beyer und seiner Ex-Frau Christiane, hatte ebenfalls die Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher absolviert, entschied sich dann aber für einen anderen Berufsweg. Und Meikel, der jüngere Sohn, hilft zwar bis zuletzt im Verkauf mit, aber auch er strebt nach seinem Studium in eine andere Richtung. So endet die Familiensaga Beyer beim Schuhverkauf – und Königstein wird in wenigen Wochen sein letztes reines Schuhgeschäft verloren haben. Kaum zu glauben, wer den Betrieb an einem ganz normalen Montagmorgen erlebt: Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Stammkunden alle nochmal die Expertise und den Service in Anspruch nehmen möchten.
Dieter Beyer reflektiert aber nicht nur die Situation in der eigenen Familie, sondern in der Branche allgemein. „Der Beratungsverkauf ist bei Jüngeren nicht mehr so gefragt“, sagt er. Es werde entweder Hochmodisches für viel Geld gekauft oder auf der anderen Seite eben sehr preiswerte Schuhe. Und ein weiterer Grund, warum kleine, inhabergeführte Geschäfte immer häufiger aufgeben müssen, sei, dass die „Zusammenarbeit mit den Krankenkassen immer komplizierter“ werde, bei den Zertifizierungen, Präqualifizierungen und Dokumentationen sei man gegenüber Sanitätshausketten deutlich im Nachteil. „Ich bin heute mehr am Dokumentieren als am Reparieren“, sagt Beyer. Nach dem Ausverkauf und dem Sonderverkauf für die Deko-Elemente und die Stofftiere, der am Dienstag nach dem letzten Öffnungstag folgen soll, wird die nächste Herausforderung für Dieter Beyer sein, für das 150 Quadratmeter große Ladengeschäft einen Nachmieter zu finden – „einer, der in die Königsteiner Gewerbelandschaft passt“. So wie jahrzehntelang Schuh-Beyer.