Bürgermedaille für Annette Andernacht

Von Graham Tappenden

Oberursel. Für ihre außerordentlichen Leistungen beim Aufbau der Erinnerungskultur in Oberursel hat Annette Andernacht die Bürgermedaille der Stadt erhalten. Der Jugendehrenamtspreis ging an Ajay Brar, Kreisschulsprecher und Schulsprecher der Feldbergschule, und Dennis Vogt, der vor Kurzem sein Abitur an der Feldbergschule gemacht hat.

Der Bürgerempfang fand am vergangenen Dienstag auf der Bühne im Rush-moor-Park statt. Bürgermeisterin Antje Runge begrüßte die Gäste und erklärte, dass der Empfang eine Gelegenheit sei, um „Danke“ zu sagen. „Ehrenamt verdient höchste Anerkennung“, sagte sie und fügte hinzu, dass der Abend zum ersten Mal unter ein Motto gestellt worden war – „Oberursel zeigt Haltung“. Wie im Jahr zuvor war der Kreis der geladenen Gäste klein gehalten worden. Moderiert wurde der Bürgerempfang von Tim Frühling, der aufgrund der vielen Regenschirme und Regenponchos seine Aufgabe mit seiner Arbeit beim Radio verglich, da er nicht sehen konnte, wer ihm zuhörte. Musikalisch wurde die Veranstaltung von vier Studenten von Dr. Hoch’s Konservatorium begleitet, die als Ensemble unter dem Namen „OnQ“ bekannt sind.

Vor den Ehrungen betonte Stadtverordnetenvorsteher Lothar Köhler, dass es nicht die Stadt sei, die Haltung zeige, sondern ihre Bürger. Zu den Bürgern zählen aber auch die Stadtverordneten und Mitglieder des Magistrats. Sie hätten zum Beispiel mit dem fast einstimmigen Beschluss Haltung gezeigt, in dem sie die Anschaffung der Regenbogenfahne für das Rathaus beschlossen hatten. Auf einfache Art zeigen sie Haltung, so Köhler, wenn sie sich freiwillig vor den Sitzungen auf das Coronavirus testen, auch wenn dies nicht vorgeschrieben sei. „Die Energiekrise meistern wir nur gemeinsam“, betonte der Stadtverordnetenvorsteher, und mit Blick auf den Herbst ergänzte er: „Der Haushalt wird eine Herausforderung.“

Gastredner am Ehrungsabend war der Fernsehmoderator und Spezialtrainer des Deutschen Fußball Bunds (DFB), Kelechi Onyele. „Wie viel hat man wirklich mit seinem Nachbarn zu tun?“, fragte er zu Beginn seiner Rede. „Man muss miteinander reden und nicht übereinander“, fuhr er fort. Onyele erzählte von seiner persönlichen Erfahrung als jemand, der mit dunkler Hautfarbe in Frankfurt lebt. Er kenne es, als Ausländer beschimpft zu werden. Man rede hinter seinem Rücken und sage ihm, er solle „zurückgehen, wo er herkommt“. Aber „ich bin hier geboren, hier bin ich zu Hause“, betonte er. Besonders erschreckend war es, als er erzählte, wie er manchmal in Frankfurt behandelt wird. Arbeitet er beim DFB, wird er von einer Limousine nach Hause gefahren. Nur, wenn er nicht nach Hause fahre, sondern zu seinem Vater in die Stadtmitte zum Essen, passiere es ihm nicht selten, dass er – zu Fuß unterwegs – von der Polizei angehalten werde und „den Adler machen“ solle, so Onyele. Sprich: Er wird kontrolliert. Am Ende seiner kurzen aber beeindruckenden Rede betonte er, wie wichtig Werte sind. Dann öffnete er seine Jacke, um sein T-Shirt zu zeigen mit der Beschriftung „Du bist die Lösung“.

Jemand, der zu der Lösung in Oberursel viel beigetragen hat, ist die Empfängerin der Bürgermedaille, Annette Andernacht. In ihrer Laudatio sagte Bürgermeisterin Antje Runge, dass Annette Andernacht die Medaille aufgrund ihrer außerordentlichen Leistung beim Aufbau der Erinnerungskultur in den vergangenen 35 Jahren in Oberursel erhält. Das waren 35 Jahre als Mitglied von „Nie Wieder 1933“ und 15 Jahre bei der Initiative Opferdenkmal – davon 13 als Vorsitzende.

Die Initiative Opferdenkmal hat sich damals das Ziel gesetzt, ein Denkmal für die Oberurseler Opfer der NS-Zeit zu errichten und aus der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft zu lernen. Dabei haben sie auf Sponsoren und private Spendengelder gesetzt. Annette Andernacht hat in dieser Zeit sogar selbst Fliesen gemalt und verkauft, um mit dem Erlös einen Teil des Denkmals zu finanzieren.

Ein weiterer Schwerpunkt des Vereins ist die Forschung über die Opfer selbst. Damit – und mit dem Denkmal – geben die Mitglieder den Opfern ein Gesicht und holen sie aus der Anonymität heraus. Sie halten auch regelmäßig Gedenkveranstaltungen rund um das Denkmal ab, vor allem zum Ausschwitz-Gedenktag am 27. Januar, zum Tag der Befreiung am 8. Mai und zum Gedenken an das Novemberpogrom am 9. November.

Das Denkmal war nicht ohne Kritiker. Annette Andernacht hat es durch Gespräche geschafft, einige von ihnen zu Beteiligten zu machen. Nach der Einweihung des Denkmals im Jahr 2016 hörte die Arbeit jedoch nicht auf. So ist der Verein auch an der Verlegung der Stolpersteine und der Gestaltung des Stromkastens am Marktplatz in diesem Jahr beteiligt gewesen. Preisträgerin Annette Andernacht erzählte die Geschichte, wie sie im Jahr 1985 nach Oberursel kam – wegen der Liebe. Sie kannte wenig Leute und beschloss, mit dem Bus die Stadt kennenzulernen. Die Bushaltestelle, die sie in Stierstadt benutzte, war mit SS-Runen, rechten Parolen und ausländerfeindlichen Sprüchen beschmiert. Sie holte Putzsachen, aber am nächsten Tag war alles wieder wie zuvor. Also putzte sie erneut und immer wieder und bekam sogar Drohbriefe und -anrufe deswegen. Sie gab nicht auf, und irgendwann hatte der Täter entweder keine Lust mehr oder war weggezogen. Die Schmierereien hörten auf.

In dieser Zeit kam Annette Andernacht bei einer Flugshow zum ersten Mal mit der Friedensbewegung und „Nie Wieder 1933“ in Kontakt. Aber die Folgen der NS-Zeit hatten bereits viel früher einen Eindruck bei ihr hinterlassen. Sie erzählte von ihrer Großmutter und wie sie zusammen ein bestimmtes Grab besucht haben. Das Grab gehörte einer Freundin ihrer Großmutter namens „Selma“. Selma hatte sich lieber das Leben genommen, als deportiert zu werden.

Mit Blick auf ihre eigene Arbeit in Oberursel hatte sie auch eine Warnung. „Die Arbeit in der Öffentlichkeit macht dich angreifbar“, sagte sie und fuhr fort: „Du brauchst viele Leute, die dich auffangen.“ Anlässlich der Auszeichnung mit der Bürgermedaille betonte die Geehrte, dass weitere Mitstreiter in das Projekt involviert waren. „Man kann nicht alles alleine machen“, sagte sie. Vor allem: „Das Denkmal ist fertig, aber die Arbeit gegen das Vergessen hört nicht auf“, so Andernacht.

Der Jugendehrenamtspreis wurde gemeinsam von Dr. Cornelia Andriof, Präsidentin des Rotary Clubs Oberursel, und Bürgermeisterin Antje Runge überreicht. Preisträger in diesem Jahr sind Ajay Brar, Kreisschulsprecher und Schulsprecher der Feldbergschule, und Dennis Vogt, der vor Kurzem sein Abitur an der Feldbergschule erfolgreich absolviert hat. Beide waren führend bei der Aktion „Schule mit Courage, Schule ohne Rassismus“ an der Feldbergschule. Bei der Ehrung im Rush-moor-Park haben sie erzählt, wie sie aktiv Projekte gesucht haben, damit es nicht nur beim Plakaten-Malen bleibt. Nun soll die Aktion auf andere Oberurseler Schulen ausgeweitet werden.

Den Bürgerempfang begleitete der lange erhoffte Regen, so dass die Gäste sich für den gemütlichen Teil in die Pavillons zurückzogen und die Musiker sie von der Bühne aus musikalisch begleiteten. Immerhin hatten sie es nicht nur trocken, sondern sie hatten auch den besten Blick auf den Regenbogen, der sich zum Abschluss des Abends zeigte.

Ajay Brar (1. v. l.) und Dennis Vogt werden mit dem Jugendehrenamtspreis des Rotary Clubs Oberursel von Präsidentin Dr. Cornelia Andriof (2. v. l.) und Bürgermeisterin Antje Runge ausgezeichnet. Foto: gt

Annette Andernacht (l.) erhält die Bürgermedaille aus den Händen von Bürgermeisterin Antje Runge. Foto: gt

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