Corona-Zeiten erfordern eine lokale Digitalisierung

„Hybride“ Pressekonferenz in Corona-Zeiten: Physisch präsent sind Wirtschaftsförderin Ulrike Böhme, Gastgeberin Andrea Maurer und Bürgermeister Hans-Georg Brum (v. l.) sowie im Hintergrund auf dem Großbildschirm die zugeschalteten Gesprächspartner. Fotos: js

Oberursel (js). Nicole Dassler sitzt oder steht in ihrem Concept Store LILO keinen Kilometer entfernt, ist nicht am Ort und doch anwesend. Wie der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Frankfurt, Ulrich Caspar. Und natürlich Adrian Gier, er kommt ja als Experte für Digitalisierung, Plattform-Entwicklung und Online-Marketing aus dem Metier. Da ist es nur konsequent, dass er wie Dassler und Caspar auf einem mehrfach geteilten großen Bildschirm erscheint, auch wenn sein Büro nicht weit entfernt ist. Um Mundschutz müssen sich die drei auf dem Bildschirm keine Gedanken machen, wohl aber die auf der anderen Seite, die auf ihn schauen, der Bürgermeister und seine Wirtschaftsförderin, der Citymanager und der neue Dehoga-Vorsitzende Thomas Studanski sowie ein paar Journalisten.

Muss eine Konferenz unbedingt im analogen Raum stattfinden? Schon gar, wenn die Gesprächspartner unterschiedlichen Professionen nachgehen und das auch noch an sehr unterschiedlichen Orten? Das Coronavirus und die aus dem Umgang damit resultierenden Einschränkungen im öffentlichen Leben haben die Videokonferenz in ein Licht gerückt, aus dem sie wohl kaum wieder verschwinden wird. „Hybride Konferenz“ nennt man die Mischform aus physischer und virtueller Präsenz, Gastgeber ist die Oberurseler Firma „THIIIRD Place“, in deren Räumen sonst Seminare und Meetings stattfinden. Man will darüber sprechen, was die Corona-Krise vor allem mit Wirtschaft, Handel und Gastronomie macht und wie die Akteure darin ihr positiv begegnen können.

„Die Zeiten ändern sich …“

Und denkt spontan an einen Hexameter aus dem 16. Jahrhundert, seitdem jedenfalls ist er als Sprichwort belegt: „Tempora mutantur, nos et mutamur in illis – Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.“ Nie hat er so gut gepasst. Er nimmt vorweg, was die Grundhaltung am hybriden Pressetisch vorgibt. Wer weiter mitspielen will, muss sich und seine Einstellung zur Arbeitswelt zum Teil grundlegend ändern. „Der stationäre Einzelhandel muss die Digitalisierung aufnehmen“, gibt IHK-Präsident Caspar vor. Im Klartext: Will er in Zukunft bestehen können, muss er sich mit eigenen Online-Angeboten gewissermaßen neu aufstellen. Dem bisher noch zögerlichen konservativen Kunden habe der neue gefühlte Zwang die „Berührungsängste“ mit dem Internethandel genommen, die Quoten im Einzelhandel würden sich „deutlich verändern“.

Die Arbeit hat sich binnen Wochen allerorten verändert, auch das Rathaus hat längst Zweigstellen in einer Unmenge Homeoffices. „Wir kommen nicht zurück in die alte Welt“, prognostiziert Bürgermeister Hans-Georg Brum, seit seiner freiwilligen zweiwöchigen Quarantäne nach einem Urlaub in Übersee erfahrener Arbeiter im Büro daheim mit täglichen Telefonkonferenzen mit seinen wichtigsten Mitarbeitern im Rathaus. Hilfe und Unterstützung für digitale Novizen und für kleine und mittlere Unternehmen soll die städtische Wirtschaftsförderung bieten, als beratende Institution mit Kontakten zu allen wichtigen Einrichtungen, als Vermittlerin und Bindeglied. „Bitte, bitte fühlen Sie sich eingeladen, uns in Anspruch zu nehmen“, sagt die für die Wirtschaftsförderung verantwortliche Ulrike Böhme in Richtung der leidenden lokalen Wirtschaft. Dass ein großer Teil dieses „wichtigen Faktors“ im Stadtgefüge „sehr besorgt“ sei, spüren der Bürgermeister in allen Gesprächen und der IHK-Präsident in den täglich rund 500 Anrufen und unzähligen E-Mails. Von einer Pleite hat Böhme gleichwohl mit Ausnahme der Aufgabe einer kleinen Pension noch nicht gehört, „ein Konkurs ist uns nicht bekannt“.

Jetzt digital einsteigen

Nicole Dassler – sie nennt ihren knapp 100 Quadratmeter großen „Concept Store“ in der Altstadt so etwas wie einen „Tante Emma Laden im Lifestyle“ – hat sich im beginnenden digitalen Geschäftsumfeld nach „vier Wochen der Angst“ besser zurechtgefunden. Ist dankbar für den regen Austausch mit der Wirtschaftsförderung, lobt das digitale Portal „Oberursel – wer liefert?“. Nennt es einen „Super-Startschuss“ für sich und die Kollegen, die vorher noch keinen Online-Shop hatten. Hilfe bietet Ubernet-Gründer Adrian Gier an, er will der Plattform „Oberursel – wer liefert?“ und ihren schon mehr als 100 Nutzern mehr Tiefe durch mehr Online-Shops für die Händler geben. Mehr Verkaufsfläche in den digitalen Bereich zu verlagern, müsse das Ziel sein, um Umsätze signifikant steigern zu können. Er will „den Leuten aufs Pferd helfen, denn wer jetzt dabei ist, kann es schaffen.“

Den Gastronom Thomas Studanski, der das Alt-Oberurseler Brauhaus und die „Waldtraut“ im Taunus-Informationszentrum an der Hohemark führt, treiben eher analoge Sorgen um. „Wir brauchen noch viele Antworten“, sagt er zu den Fragen, die durch die Ankündigung erster Lockerungen in seiner Branche auftauchen. Die Gaststätte „Waldtraut“ funktioniere durch die günstige Lage am Waldrand mit einem großen Parkplatz und die Selbstbedienung der Wanderer und Radfahrer „einigermaßen“, durch Soforthilfe und Kurzarbeit kann er die Brauhaus-Mitarbeiter noch halten. „Aber Service mit Mundschutz, das ist schon eine schwierige Sache.“ Auch Abstand halten sei in der Gastronomie eine „schwierige Kiste“, vor allem aber, dass der Sommer wegfällt, in dem für den Winter vorgearbeitet werde. Und „ein Schnitzel essen mit Mundschutz – na ja“.

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