Damit es die Kastanien nicht mehr dürstet

Der doppelte Zaun beherrscht mindestens die nächsten vier Wochen das Bild vom Park in der Adenauerallee, zwischen den Drahtelementen ist die gebaggerte Furche erkennbar, in die 40 Zentimeter tief das Rohrleitungssystem zur Bewässerung der Kastanien verlegt wird. Foto: ach

Von Beppo Bachfischer

Oberursel. Für ein Bewässerungssystem, das die ständig kränkelnden Kastanien in der Adenauerallee auch in trockenen, heißen Sommern am Leben erhalten soll, hatte die Stadtverordnetenversammlung in den Haushalt 2021 die Summe von 80 000 Euro eingestellt. Nun wird die Maßnahme angegangen. Vier Wochen sind für die Arbeiten angesetzt, jedoch kann sich der Zeitraum auch verlängern, falls das Wetter nicht mitspielt.

Die Aufregung war groß, als am Montag plötzlich ohne jegliche Ankündigung ein 300 Meter langer Doppelzaun zwischen dem Park in der Adenauerallee und dem Alleenweg stand. Vom Hochhaus ganz oben zieht er sich hinab bis zur Nassauer Straße. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, was das werden sollte, keiner hatte etwas in der Zeitung gelesen oder von einem Vorhaben in der Allee gehört, das einen Zaun in dieser Dimension notwendig erscheinen lassen könnte. Wilde Gerüchte machten die Runde, dass Impfgegner, die sich regelmäßig in der Allee treffen, aus- oder eingesperrt werden sollen, vermuteten Passanten, einige ältere fühlten sich durch die lückenlose Absperrung quer über Wege hinweg an den Berliner Mauerbau 1961 erinnert. „Wieso blockiert man den sicheren Schulweg der Kinder, die mit dem Rad fahren“, sinnierte eine Frau, auf eine mögliche Ausweisung des Parks als Hundewiese wollte sich schon ein schmunzelnder Gassigänger freuen. Alle lagen falsch. Als gegen Abend die ersten paar Dutzend Meter der von einem Mini-Bagger gezogenen Furche hinter den Bäumen sichtbar wurde, dämmerte es einigen, dass sie doch schon mal etwas von einer Bewässerungsanlage für die Kastanien in der Allee gehört hatten.

„Wir sind selbst etwas davon überrannt worden. Das ging ja nun plötzlich alles viel schneller als gedacht“, sagte Tanja Knoth, Leiterin der BSO-Betriebsabteilung am Dienstagmorgen auf Anfrage der Oberurseler Woche. Nachdem die Bewässerungsanlage mehrfach in den städtischen Gremien ein Thema war und die erforderlichen Mittel beschlossen worden waren, hätte sie bereits im Lauf des vergangenen Jahres gebaut werden sollen. Doch einerseits musste das Wetter passen, andererseits hatten die beauftragten Firmen – Gerhardt Bewässerungstechnik, Wiesbaden, und Immo Herbst Garten- und Landschaftsbau, Frankfurt – 2021 keine offenen Zeitfenster, in denen sie die Maßnahme durchführen konnten, so Knoth. Endlich am 17. Januar passte alles zusammen, sodass ohne Ankündigung losgelegt wurde.

Wie die Bewässerung erfolgt, erklärte BSO-Betriebsleiter Michael Maag. Sie findet unterirdisch und damit für die Passanten unsichtbar direkt an den jeweiligen Bäumen statt. Dazu wird zu beiden Seiten des Alleenwegs hinter und neben den Bäumen, teilweise nah an den Wurzeln vorbei, in 40 Zentimeter Tiefe eine Art „Wasserleitung“ verlegt, aus der die „Tröpfchenbewässerung“ erfolgt. Diese Methode bildet gegenüber einer oberirdischen Berieselung der Bäume zwei große Vorteile. Zum einen gibt es keinerlei Wasserverluste durch Verdunstung, zum anderen besteht keine Gefahr, dass Passanten auf dem hochfrequentierten Alleenweg durch Wasser in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die Entnahme des Gießwassers erfolgt über die Wasseranschlüsse am Brunnen der Adenauerallee. Um einen ausreichenden Wasserdruck zu erzeugen, wird in diesem Bereich eine Zisterne mit einem Volumen von 5000 Litern eingebaut. Das bedeutet, es muss mit Trinkwasser gegossen werden. Denn in der Allee gibt es laut BSO keine Möglichkeit, Brauchwasser aufzufangen. Dazu wäre der Bau einer weiteren Zisterne erforderlich. In der Fortsetzung der Allee unterhalb des Bahnübergangs in Richtung Alter Friedhof besteht keine Möglichkeit, die Kastanien in vergleichbarer Weise zu bewässern, da keine Möglichkeit zu einer Entnahme von Gießwasser wie am Brunnen besteht.

Ältere Oberurseler meinen, sich daran zu erinnern, dass es früher auch für die alten Kastanien, die im Zuge der Umgestaltung der Allee vor dem Hessentag gefällt wurden, bereits eine Bewässerungsanlage gegeben habe. Doch nun hatte der BSO größere Pläne und wollte versuchen, in das Bewässerungssystem auch die anderen Bäume mit einzubeziehen, insbesondere die Friedenseiche im oberen Bereich und die Atlas-Zeder gleich oberhalb des Brunnens. Da es sich bei diesen Prachtexemplaren um Naturdenkmäler handelt, die unter dem Schutz der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) beim Hochtaunuskreis stehen, hätte der Kreis sein Einverständnis geben müssen. Gewiss hätte die Stadt auch auf eine Beteiligung an den Kosten gebaut. Doch alle Versuche, zu einer großen Gemeinschaftslösung zu kommen, stießen im Landratsamt auf wenig Gegenliebe. „Der Kreis hatte kein Interesse“, so Knoth, „was wohl auch am Alter der Bäume liegt und an der Auffassung, dass Bäume dieses Alters sich den Naturgegebenheiten anpassen“.

Das hatte der von der UNB beauftragte Baumsachverständige Johannes Wolf bei einem Ortstermin mit der Oberurseler Woche bereits im vorigen Jahr bestätigt. Bei Kontrollen durch den Sachverständigen, die ein- bis zweimal im Jahr stattfinden, sei festgestellt worden, dass die Eiche trotz der vergangenen trockenen Sommer keine Wasserprobleme hat, obwohl der Riese mit einem Stammumfang von 4,85 Metern an einem heißen Tag im Sommer etwa 3000 Liter Wasser verdunsten dürfte. „Seine Wurzeln gehen in die Tiefe“, sagt Wolf. Als bei der Neugestaltung der Allee vor dem Hessentag die Gräben für die Randsteine zwischen Rasen und Schotterfläche unter der Eiche gegraben wurden – vorsichtig mit der Hand, um keine Wurzeln zu verletzen – seien keine Wurzeln zum Vorschein gekommen.

Ähnliches gelte für die Zeder, so Wolf. Er habe sich um deren Gesundheitszustand gesorgt, als er sie zum ersten Mal so relativ transparent gesehen hat, da Zedern in der Regel viel dichter seien. Doch das sei mittlerweile Jahrzehnte her, der Baum habe sich nicht verändert und sei offensichtlich noch gesund. Ein Indiz seien die kräftigen Neutriebe. Auch dass der stolze Baum, dessen Doppelstamm es auf einen Umfang von gut 5,30 Meter bringt, sogar noch mächtiger daherkommt als die Eiche, gern als Kletterbaum genutzt wird und seine ausladenden Äste als Schaukel, dürfte ihm keinen Schaden zufügen. „Holz und Rinde sind hart, da müsste man schon mit Spikes darauf herumlaufen, um ihn zu verletzen.“ Dennoch macht Wolf kein Geheimnis daraus, dass Trockenheit, Hitze und Beanspruchung den Parkbäumen zu schaffen machen. Die Gefahr, dass sich ihr Zustand verschlechtern könnte, bestehe zwar, „aber wir sprechen da nicht von Jahren, sondern von Dekaden“.

Somit kommen nun allein die von Beginn an kränkelnden und teilweise auch schon ersetzten Kastanien in den Genuss eines Bewässerungssystems, bei dessen Bau die ausführenden Firmen noch einige Herausforderungen zu meistern haben werden. So müssen etwa die Bewässerungsleitungen über den Alleenweg hinweg zu den Bäumen hin verlegt werden, die zwischen dem Fuß- und Radweg und dem Mäuerchen zur Straße hin stehen. Dazu muss der Weg aufgegraben werden. Deshalb weist Maag darauf hin: „Aus verkehrssicherungsrechtlichen Gründen ist es notwendig, während der gesamten Baumaßnahme die Fläche großräumig abzusperren.“ Schüler und andere Passanten werden noch eine Zeit lang Umwege und Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen, wofür Maag um Verständnis bittet. Doch dafür besteht die Hoffnung, dass die Kastanien überleben und sich zu ebenso prächtigen Alleebäumen entwickeln wie ihre Vorgänger.

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