Jedes einzelne Elektrogerät ist es wert, repariert zu werden

Peter Pleitgen und Florian Foerster (v. l.) machen einen Handmixer wieder fit. Foto: Streicher

ow-Jedes einzelne

Oberursel (js). Die Männer, die hier an jedem ersten Samstag im Monat drei Stunden für Gotteslohn arbeiten, sind ehrgeizig. Jeder Stabmixer und jede Kaffeemaschine, jedes noch so kleine Elektrogerät, das hier angeliefert wird, soll geheilt in den Haushalt zurückkehren. „Oberursel repariert!“, der Name ist Programm bei den ehrenamtlichen Bastlern und Tüftlern im „Netzwerk Bürgerengagement Oberursel“. Sollte eine Operation nicht gelingen und nur der Weg zur Verschrottung bleiben, müssen das die Eigentümer der Geräte selbst erledigen.

Eine Dreiviertelstunde haben sie um das Leben der alten Espressomaschine gekämpft. Die improvisierte Hebebühne aus Kaffeetassen mit dem „Oberursel repariert!“-Logo über einer ausgebreiteten Zeitung trieft, doch am Ende ist die Mühe vergebens, die Operation am offenliegenden Kaffeemaschinenherzen ist gescheitert. „Leider nicht zu retten“, lautet die finale Diagnose von Florian Foerster und Peter Pleitgen, die all ihre technische Expertise in die Waagschale geworfen haben, um Heiner Neumann mit einem funktionstüchtigen Gerät entlassen zu können.

Foerster lächelt: „Ein harter Kampf, aber man muss auch verlieren können.“ In der Nachbarschaft genießt der Informatiker seit Studienzeiten einen guten Ruf als Heiler von technischen Geräten, im Team der ehrenamtlichen Tüftler des „Netzwerks Bürgerengagement Oberursel“ ist der studierte Informatiker und Elektrotechniker noch neu. Im Brotberuf arbeitet er im IT-Bereich einer Bank, im Georg-Hieronymi-Saal des Rathauses ist er am Samstag wie alle „Kollegen“ beseelt vom Ehrgeiz, die Menschen, die mit kaputten Geräten kommen, nach erfolgreicher Reparatur mit funktionstüchtigen Haushaltshelfern zu entlassen.

Nachhaltigkeit

Mit Heizlüftern und Lampen unter dem Arm, mit Toaster, Mixer, Laptop, Dia-Projektor und Plattenspieler, bisweilen mit kompletter Stereoanlage oder wie Willi Steffek aus Oberstedten nur mit einer defekten TV-Fernbedienung rücken die Menschen an, die der Wegwerfgesellschaft ein bisschen trotzen wollen. Dazu beitragen wollen, dass der wachsende Berg an Elektromüll auf dem städtischen Bauhof nicht größer wird. Umweltschonung, Nachhaltigkeit, aber auch der Bezug zum liebgewordenen Objekt treibt sie in die Werkstatt mit den fleißigen Helfern.

Eine halbe Stunde vor der Zeit ist die Warteschlange wie vor einer gutgehenden Arztpraxis schon lang, fünf Minuten nach Öffnung muss Jürgen Scheller bereits laut „nix geht mehr“ verkünden. Mehr als 40 „Patienten“, das zeigt die Erfahrung aus drei Jahren „Oberursel repariert!“, können in drei Stunden nicht verarztet werden, selbst wenn sich ein Dutzend hochmotivierter Experten um die Geräte kümmert. Meist arbeiten sie im Zweierteam, so werden diffizile Aufgaben oft schneller gelöst. Auf der anderen Seite des Tischs dürfen die Kunden zusehen, wie es der Espressomaschine oder dem fast 30 Jahre alten Leica Dia-Projektor P 150 ans Eingemachte geht. Hilfe zur Selbsthilfe ist ein wichtiger Aspekt bei „Oberursel repariert!“

Hauptsache kein Rasenmäher

„Wahnsinn, das ist der Höhepunkt, habe ich so noch nie erlebt“, sagt Jürgen Scheller zum Andrang am Samstag. Mit Jutta Sommerer kümmert sich der 70-jährige gelernte Graveur um die Patientenaufnahme. Name des Kunden, Produkt, Reparaturgrund, Eingangs- und Ausgangszeit, Diagnose, Ersatzteil-Beschaffung, Erfolg oder Nicht-Erfolg, alles wird notiert. Wer Hilfe will, muss die Anerkennung von Hausordnung und Haftungsausschluss unterschreiben, damit die Reparaturhelfer des Netzwerks und des Deutschen Amateur-Radio-Clubs (DARC) ans Werk gehen. Eine Garantie für eine erfolgreiche Reparatur gibt es nicht, ob geheilt oder nicht, die Besitzer müssen das Angeschleppte auch wieder mitnehmen. Dann sind sie willkommen. Hauptsache, sie bringen keinen Rasenmäher oder einen Schredder mit. Da musste Jürgen Scheller tatsächlich einmal bremsen, es war der wohl skurrilste Kunde in fast drei Jahren „Oberursel repariert“.

Bei allem Ehrgeiz, mit ihrer Quote sind die Schrauber, die ihr privates Werkzeug immer mitbringen, durchaus zufrieden. Ungefähr die Hälfte der Geräte kann direkt repariert werden, ein Viertel nach Beschaffung von kleinen Ersatzteilen. Für den Rest bleibt dann schweren Herzens nur der Weg in den Elektroschrott-Container. Auch bei 45 Minuten Reparaturarbeit wird keine Rechnung geschrieben, stattdessen wird den Wartenden noch Kaffee und Kuchen angeboten. Das Feingefühl, das die Schrauber immer wieder im Detail beweisen, können die Kunden vor dem Nachhauseweg mit ihrer Wertschätzung von deren Arbeit an den Tag legen. Bei Jutta Sommerer stehen ein hungriges „Kuchenschwein“ und ein „Reparierschwein“, die gefüttert werden können. Für neuen Kuchen und für immer benötigtes neues Werkzeug etwa.

„Oberursel repariert“ immer am ersten Samstag im Monat von 10 bis 13 Uhr im Georg-Hieronymi-Saal des Rathauses, Seiteneingang in der Einfahrt zur Tiefgarage Stadthalle. Im Juli machen die Bastler Sommerferien. Kontakt zum Netzwerk Bürgerengagement Oberursel unter Telefon 06171-502180 oder per E-Mail an Zeit_spenden[at]oberursel[dot]de.

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