Gereizte Stimmung im Grenzbezirk

Immer wieder werden Pausen für Diskussionen beim Spaziergang durch die Naturlandschaft auf der Oberurseler Seite der Tannenwaldallee mit knapp 60 zum Teil erbosten Teilnehmern eingelegt. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Hochtaunus. „Angriff auf den Naherholungsraum Tannenwaldallee“, lautet eine Überschrift. Von „massiven Eingriffen“ ist die Rede, von einer „drohenden Katastrophe“ speziell aus dem Blickwinkel des Reitvereins Oberursel-Oberstedten. Im Nachbarort Bad Homburg-Dornholzhausen sehen direkte Anwohner die „Planung mit Entsetzen“, dort kursierten bereits „Horror-Visionen“, heißt es am Rand einer Ortsbegehung im Grenzbezirk zwischen Oberursel und Bad Homburg.

Es herrscht ein wenig dicke Luft dort, wo sich fast noch die Füchse gute Nacht sagen, Pferde auch mal auf der Straße „abäppeln“ dürfen und Naherholung in ruhiger Naturlage am Waldrand ein hohes Gut ist. Bisher jedenfalls, diese bedrohliche Einschränkung schreckt Bürger und Kommunalpolitiker in beiden Kommunen auf. Die Stimmung ist gereizt im Grenzbezirk, seit die Kurstadt Interesse bekundet und eine Offensive gestartet hat, die Landesgartenschau 2027 auszurichten. Rund 35 Hektar Fläche diesseits und jenseits der Tannenwaldallee, die den Schlosspark wie in alten Zeiten noch ohne Asphalt entlang mehrerer landgräflicher Gärten mit dem Gotischen Haus am Waldrand verbindet, stehen dafür nach Homburger Lesart zur Disposition. Man muss wissen, dass die Tannenwaldallee keine natürliche Stadtgrenze bildet, die Homburger Gemarkung endet erst direkt an den Stallungen des Reitvereins Oberstedten, eine Grenze verläuft mitten durch dessen Außenreitplatz. Die Flächen dazwischen werden zwar von Reitern und Naturliebhabern beider Kommunen gerne genutzt, sind aber kurstädtisches Hoheitsgebiet. Ein Drittel der vom Reitverein genutzten Flächen für Koppeln liegen auf Homburger Gemarkung, mit etwa einem Dutzend Pächtern hat es der Verein zu tun.

Gerade erst hatte man sich in Oberstedten über den „Kompromiss“ gefreut, der nach jahrelanger Diskussion und Streit um mögliche Baugebiete im Gebiet „Hasengärten“ auf Oberstedter Grund einen langfristigen Schlussstrich unter die leidige Angelegenheit ziehen sollte. Erhalt des größten Teils des Naherholungsgebietes, Bebauung nur auf kleiner Fläche an der Dornholzhäuser Straße. Und jetzt die Drohung Landesgartenschau. Kein Wunder, dass angesichts des plötzlich in Frage stehenden Status quo im Gras- und Ackerland längs der Tannenwaldallee am späten Freitagnachmittag rund 60 Menschen mit der Oberurseler SPD-Ferienfraktion auf dem Gelände am Ortsrand von Oberstedten unterwegs waren. Dass der geplante Rundgang mit Abschluss in der Reformhaus-Fachakademie gegenüber der Reitanlage, die „Akademie Gesundes Leben“ heißt, plötzlich eine neue Bedeutung und eine etwas größere Dimension bekommen hat. Und das Thema zum Schwerpunkt der Ortsbegehung wurde, bei dem sich Anwohner wie Mitglieder von Bürgerinitiativen, Nachbarn aus beiden Ortsteilen mit teilweise heftig unterstrichenen Tönen zu Wort meldeten.

Brum um Ausgleich bemüht

Bürgermeister Hans-Georg Brum (SPD), der hier eigentlich seine Parteifreundin und potenzielle Nachfolgerin Antje Runge in Stellung bringen sollte, blieb plötzlich der einzige um Ausgleich bemühte Vermittler. Führte mögliche positive Veränderungen durch eine Landesgartenschau ins Feld. Sprach vom „Wahren eigener Interessen“ und mahnte zur Dialogbereitschaft mit dem Nachbarn, er selbst habe bereits einen Gesprächstermin mit Homburgs Oberbürgermeister Alexander Hetjes (CDU) vereinbart. Wichtig sei es auf jeden Fall, „mit allen zu sprechen“. Bad Homburg hat das dem Vernehmen nach bisher noch mit niemandem außerhalb der Stadtgrenzen getan. Schon wird gemunkelt, dass man dort wohl die „inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Konzept vermeiden und Bürger, Anwohner und Nachbargemeinden vor vollendete Tatsachen stellen will“. Schreibt jedenfalls die Bürgerinitiative „ProHasengärten“ aus Oberursel, die bereits „grenzüberschreitend Kontakt aufgenommen habe“, so ihr Sprecher Volker Thier, der beim Rundgang der SPD-Ferienfraktion dabei war.

„Thema verfehlt“, urteilt die BI in Richtung Kurstadt. Denn auf dem fraglichen Gelände gehe es nicht darum, mit Fördermitteln „strukturelle Schwächen im Stadtbild anzugehen“, es gehe auch nicht um „Ausbau und Aufwertung bestehender Parklandschaften“, wie das bei Landes- und Bundesgartenschauen in der Regel üblich sei. Nach dem, was bisher aus der Homburger Planungsküche zu den Nachbarn herübergedrungen ist, scheine es, so die alarmierten Kritiker, genau um das Gegenteil zu gehen. Von einem Dirtbike-Parcours und einem Skaterpark aus Beton ist die Rede, von einer Verlegung des „Problembereichs Buschwiesen“ mit seinen Grillecken in Richtung Wohngebiete, von Freizeitflächen für die Gartenschau, die meist Hunderttausende anzieht. „Busse statt Pferde? Parkplätze statt bedrohte heimische Tierarten? Besucherströme aus dem ganzen Land statt ruhesuchende Bürger aus der Region? Dies hat mit dem Grundgedanken der Weiterentwicklung der Landgräflichen Gärten nichts mehr zu tun“, so Volker Thier in seiner Beschreibung des Angriffs auf den Naherholungsraum Tannenwaldallee.

„Horror-Vision“

Noch drastischer die Sprache von James Chamberlain aus Dornholzhausen, ohne politische Kontakte, aber mit Kontakten zu vielen Menschen in seinem Ortsteil. Dort sehe man die Homburger „Planung mit Entsetzen“, sagt der Engländer, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt. Es sei die „Horror-Vision“, die sich keiner je vorgestellt habe. Ein Projekt größer als der immer wieder gescheiterte Umbau der PPR-Kreuzung, die Zerstörung intakter Natur und historisch gewachsener Strukturen. „Keinerlei Kompromisse, wir müssen kompromisslos sein“, schleuderte er Bürgermeister Brum entgegen. Sonst habe man hier ab 2024 eine historische Baustelle und danach täglich Volksaufläufe und „nächtliche Umtriebe“, die keiner wolle.

Ruhig ist’s und beschaulich im Wiesen- und Feldgrund beidseits der Tannenwaldallee. Beim Pilgerzug der 60 Spaziergänger bleibt es ruhig, Geräusche von Pferd und Hund und anderem Getier macht eine stille Musik. Eine Frau, die als Spaziergängerin zufällig zur Gruppe stößt und noch nichts von den Homburger Umtrieben gehört hatte, schüttelt fassungslos den Kopf. „Das kann doch gar nicht sein, wie kann man denn auf so eine Idee kommen?“ Bürgermeisterkandidatin Antje Runge wirbt für Dialog, Hans-Otto Sieg vom Reitverein hat „vor allem Angst vor dem Rummel“, Reitlehrerin Julia Maaß fürchtet um das Wohl der Pferde, die ja „Fluchttiere“ seien, und um den Verlust der Flächen für das Gesamtkonstrukt Reitverein mit Unterricht vor allem für Kinder und Jugendliche und Tierpflege dort eingestellter Pferde. James Chamberlain liebt klare Worte: „Homburg braucht keine Landesgartenschau. Das ist keine Aufwertung, sondern eine Abwertung.“ Und riecht die aufziehende dicke Luft im Grenzbezirk. „Wir sind alle Grenzgänger. Das hier ist unsere Heimat.“

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