„Jeder große Baum startet als Keimling“

Sowohl Claudia von Eisenhart Rothe als auch die Klimaliste, die sie vertritt, sind neu im Stadtparlament. Foto: js

Oberursel (js). Nur drei Monate nach ihrer Gründung ist der „Klimaliste Oberursel“ der Einzug ins neue Stadtparlament gelungen. An ihrer Spitze steht die promovierte Biologin Claudia von Eisenhart Rothe, die die Wählergruppe repräsentieren wird. Mit ihr sprach Jürgen Streicher über den Status als Einzelkämpferin, über vorrangige Ziele und mögliche Koalitionen.

„Jeder große Baum startet als Keimling“. Ihr erster Kommentar zum Wahlausgang klingt demütig und bescheiden, aber auch sehr optimistisch. Weil sie mit dem Bild die Vision von einem gut gewachsenen Baum mit festem Stamm in nur wenigen Jahren verbinden, der den Klimaveränderungen trotzen kann. Als Sinnbild für die ganze Stadt. Klimaneutrales Oberursel bis 2030, ist das realistisch?

Claudia von Eisenhart Rothe: Wenn wir es schaffen, in einer sehr großen überparteilichen Anstrengung die Weichen in vielen Sektoren neu zu stellen mit der Bereitschaft, sich gemeinsam auf einen neuen Weg zu begeben, dann sehe ich gute Chancen für Oberursel, in kurzer Zeit große Mengen an CO2 einzusparen.

Ihr Optimismus ist beeindruckend. Wie kann die Stadt dieses Ziel erreichen?

Claudia von Eisenhart Rothe: Die größten Blöcke, aus denen die CO2-Emissionen in Oberursel kommen, sind die Gebäude-Energie und der Verkehr. Die Neubebauung und die Versiegelung von Flächen muss sofort gestoppt werden. Es muss doch endlich ein „Klimaruck“ durchs Parlament in Oberursel gehen. Durch die Wählerschaft ist er schon gegangen, wie das Wahlergebnis zeigt.

Knapp drei Monate nach ihrer Gründung ist die „Klimaliste Oberursel“ im Stadtparlament angekommen. Mit 3,2 Prozent der Wählerstimmen und mit Ihnen als Spitzenkandidatin, die mit 3974 Einzelstimmen ein gutes Dutzend der neuen Kollegen im Parlament hinter sich gelassen hat. Ihr Auftrag?

Claudia von Eisenhart Rothe: Ich bin erfreut, überrascht und meinen Wählern und allen Freunden in der Klimaliste sehr dankbar. Gleichzeitig spüre ich die große Verantwortung, Erwartungen nicht zu enttäuschen. Mein Auftrag ist es, gemeinsam mit Bürgern und dem immer größer werdenden Team stets wirksame Klimaschutzmaßnahmen einzufordern.

Winfried Kretschmann, der scheinbar glaubwürdigste Grüne bundesweit, hat eine schöne Antwort auf die Frage nach den drei wichtigsten Themen gegeben: 1. Klimaschutz, 2.Klimaschutz, 3. Klimaschutz. Passt das zu ihrer politischen Philosophie?

Claudia von Eisenhart Rothe: Klimaschutz ist schlicht und ergreifend die Überlebensnotwendigkeit in unseren modernen Zeiten. Ohne effektiven Klimaschutz werden wir unsere Wälder verlieren, wir werden in den Sommermonaten nie dagewesene Dürren erleben und gravierende Wasserknappheit. Der Zusammenbruch der Ökosysteme wird uns mit noch weiteren Pandemien bedrohen.

Apropos Grüne, wie sehen Sie sich im Spannungsfeld zwischen Parteipolitik und dem Anspruch einer Wählerliste?

Claudia von Eisenhart Rothe: Das Schöne an einer Wählerliste ist, dass sie parteipolitisch unabhängig agieren kann. Wir können mit allen Parteien sprechen – von den Linken bis zur CDU. Vorausgesetzt, sie pflegen eine wertschätzende und respektvolle Kommunikation mit Andersdenkenden und bewegen sich auf dem Boden des demokratischen Konsenses.

Gibt es Verbindungen oder wollen Sie losgelöst von allen Ihr eigenes Ding machen?

Claudia von Eisenhart Rothe: Es ist noch zu früh, von Verbindungen zu sprechen, aber noch fühlen wir uns sehr frei, mit allen zu sprechen, die uns anrufen. Ich hoffe, das bleibt sehr lange so. Aus unserem Wahlprogramm müsste klar hervorgehen, wo bei uns die roten Linien verlaufen. Ich bin realistisch genug zu erkennen, dass wir allein mit einem Sitz nicht viel erreichen können.

Was glauben Sie, als Einzelkämpferin da erreichen zu können?

Claudia von Eisenhart Rothe: Ich sehe mich nicht als Einzelkämpferin. Hinter mir stehen das phantasievolle Team unserer Liste und viele umweltengagierte Menschen in Oberursel. Zudem ist es mein Anliegen, die Belange der Bürger ins Parlament zu bringen, ebenso die Anliegen der Jugend, die leider in Oberursel eher stiefmütterlich behandelt wird. Und ich stelle mein über Jahrzehnte aufgebautes Fachwissen und meine tiefe Vernetzung in der Umweltexperten-Community gerne zur Verfügung.

Warum jetzt der Einstieg auf die Plattform Stadtparlament?

Claudia von Eisenhart Rothe: Der Aufruf der Klimaliste Deutschland, Ortsgruppen zu gründen und für die Stadtparlamente zu kandidieren, kam passend nach der erschütternden Rodung des Dannenröder Walds unter der Verantwortung des Verkehrsministers der Grünen. Wir sind da einfach einem Impuls gefolgt: „Jetzt müssen wir etwas ändern!“ Und die Wähler haben mich beauftragt.

Neue Wege, neue Strukturen, neues Denken, ist das möglich? Sie wissen doch, wie die Politik tickt.

Claudia von Eisenhart Rothe: Vielleicht sollte eine neue Legislaturperiode damit begonnen werden, die Art der Kommunikation nach außen und innen einer kompletten Revision zu unterziehen. Wie wäre es mit einem Kommunikations-Codex, den die Stadtverordneten für sich aufstellen? Es könnten gemeinsame überparteiliche Ziele vorab definiert werden. Dies würde politische Erfolge messbarer und objektivierbarer machen.

Man kennt Sie als beharrlich bohrend, akribisch recherchierend, als eine, die den Finger in jede sich bietende Wunde legt. Es hat auch verwundert, dass Sie einen neuen Weg suchen. Möchten Sie nicht mehr nur die Spielverderberin, die „Nervensäge“ sein?

Claudia von Eisenhart Rothe: Die wissenschaftlichen Recherchen finde ich sehr spannend und notwendig, also werde ich, immer wenn es geboten und sachlich korrekt erscheint, den Finger in die Wunde legen. Beruflich bin ich auf der anderen Seite seit mehr als fünf Jahren, als Teil des Personalrats einer katholischen Schule, sehr um Ausgleich zwischen Menschen bemüht, die ich sehr schätze. Beide Seiten können sich also durchaus in einer Person vereinen.

Ihre drei vorrangigsten Ziele sind Transparenz, Bürgerbeteiligung, über allem: Klimaschutz. Wie sind diese zu erreichen? Können Sie schon konkrete Projekte nennen, die Sie im Parlament durchbringen wollen?

Claudia von Eisenhart Rothe: Es könnte sein, dass Forderungen nach Fahrradstraßen, flächendeckender Ausstattung öffentlicher Gebäude mit Photovoltaik, Stadtbegrünung, Baumpflanzungen in der Stadt heute endlich Gehör finden, im Vergleich zu früher. Für Transparenz möchte ich durch meine geplanten Berichte aus den öffentlichen Sitzungen sorgen. In modernen Parlamenten gibt es schon heute ein „Livestreaming“ aus den Sitzungen. Die Jugend ist heute sehr politisiert, in Oberursel leider weniger. Es ist zu hoffen, dass wir sie mit neuen Formaten erreichen. Die Arbeitsgruppen der Klimaliste sind gegründet, etwa die AG 1000 Bäume, die AG Energie und AG Naturschutz in der Stadt.

Eine gewagte Vision am Ende: CDU und Grüne stehen zu ihrem Wort, den Klimaschutz in den Vordergrund zu rücken und vereinbaren eine neue Koalition. Sie werden gefragt, ob sie dabei als dritte Partnerin in Regierungsverantwortung dabei sein wollen. Würden Sie es machen?

Claudia von Eisenhart Rothe: Bislang hat aus dieser Ecke niemand angerufen. Die Hürden sind hoch, echter Klimaschutz ist für die Klimaliste nicht verhandelbar. Wer heute noch in Oberursel Flächen versiegeln will und weiter baut, der kann es aus unserer Sicht mit dem Klimaschutz nicht ernst meinen.



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