Hoffnungsvolles Durchatmen für die Gastronomie

Neustart im „vollen“ Biergarten: Wirt Thomas Studanski (Mitte) begrüßt jeden Gast persönlich an den weiträumig verteilten Tischen bei der Wiederöffnung am Freitag. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Hochtaunus. Im „Alt-Oberurseler Brauhaus“ empfängt der Chef bei der Neueröffnung persönlich jeden Gast. Der „Empfang“ ist ein Stehpult im Eingangsbereich zum Biergarten, an dem keiner vorbeikommt, der hier ein Bier zu trinken begehrt. Gast und Gastgeber tragen Schutzmaske, bei Thomas Studanski steht das Wort „Chef“ quer über Mund und Nase. Bei der Wiedereröffnung seines Brauhauses nach acht Wochen Zwangspause ist er auch Türsteher.

Studanski hat eine Desinfektionsflasche parat und notiert wie ein Hotel-Rezeptionist früherer Tage von jedem Besucher Name, Adresse und „Eingangszeit“. Gastronomie im Mai 2020. Fast alle, die vor der Schleuse stehen, haben reserviert, das Brauhaus mit Restaurant, Biergarten und Brennbar ist ausgebucht.Aber was heißt das schon. Bei 52 Gästen im Braugarten ist Schluss, mehr dürfen nicht rein. Hier sagt kein Wirt oder Kellner „Rutscht mal ein bisschen zusammen“, wenn viele zum Biertisch drängen, das Feld ist zwangsweise überschaubar, der Geräuschpegel auf einem sanften Level. Um die 270 hätten Platz, rund 20 Prozent maximale Belegung ist auch drinnen das ungefähre Maß, die Regeln sind streng. Und doch scheint die Laune bestens, beim Brauhaus-Team und bei der Kundschaft. Endlich wieder Betrieb, endlich wieder ein Hauch von Leben in der Gastronomie. Auch wenn unter diesen Bedingungen kaum ein wirklicher Gewinn erwirtschaftet werden kann. Neun Leute hat Thomas Studanski am Mittag im Einsatz, Küche, Service, Theke, Empfang, einer extra für die Hygiene, Tische und Stühle müssen bei jedem Gastwechsel desinfiziert werden. „Aber wir sind wieder da, kommen wieder rein ins Leben, das ist das Entscheidende“, sagt Optimist Studanski. Einer von vielen Wirten, die jetzt vorangehen wollen.

Nur die Hälfte öffnet

Es ist kein wirkliches Aufatmen, eher ein Durchatmen mit Hoffnung auf bessere Luftzufuhr. Der Hotel- und Gastronomieverband Dehoga Hessen, dem auch Studanski als Vorsitzender der Vereinigung im Hochtaunus angehört, schätzte am Wochenende, dass nur etwa die Hälfte der Betriebe am ersten Tag der Corona-Lockerungen ihre Lokale öffneten. Das dürfte auch auf Oberursel passen, Optimisten mit Drang in die Zukunft nach herkömmlicher Weise und Zweifler waren im weiten Feld der Gastronomie etwa gleich stark vertreten. Ein ähnliches Bild bietet die Nachbarstadt Bad Homburg, zumindest im Innenstadtbereich mit viel Durchgangsverkehr scheint der Hunger auf Normalität größer als die Scheu vor Virusgefahr und erschwerten Bedingungen. Rappelvoll die Eisdiele in der oberen Louisenstraße am gesamten sonnigen Wochenende, immer mehr Tische und Stühle fressen sich in die Einkaufsstraße, andernorts geschlossene Türen.

Vor allem Betriebe mit Außengastronomie stehen hoch in Kurs, sie haben einen Joker im Ärmel. Die gleichnamige Kultkneipe in der unteren Louisenstraße hat diesen Joker nicht, nur zwei Stehtische für Raucher stehen vor der Tür. Mit den erlaubten „18 Gästen im Gastraum“ sei es angesichts der Auflagen „bedauerlicherweise nicht möglich, wirtschaftlich zu arbeiten“, schreibt das „Joker-Team“ um Yanna und Christopher Lischke auf einem Aushang im Fenster. Die Hoffnung richtet sich auf weitere Lockerungen Anfang Juni. So sehen es viele in der Branche, beschränken sich auf „To Go“-Angebote und Lieferdienste.

Im Außenbereich des „Wasserweibchens“ im unteren Schlosspark freut sich unterdessen Kellner Kay Toss über die ersten Gäste, die am Sonntag zur Wiederauferstehung des Traditionsbetriebs am Mühlberg schon vor dem Öffnen um 17.30 Uhr die Tische im luftigen Grün belegen. Dezent steht auf einem kleinen Tisch eine Sprühflasche mit Desinfektionsmittel, ein Putzlappen für Tisch und Stühle liegt bereit, Kay Toss arbeitet mit Plexiglas-Schutzmaske und ergänzender Stoffmaske unter dem geschlossenen Visier und ist guter Dinge, dass der Neustart gelingt. Ein Stück weiter oben im Schlosspark hat Julia Gadenz-Vornholt um diese Zeit ein erstes intensives Gastro-Wochenende hinter sich. Die meisten Tische unter der uralten Zeder im Schlosshof sind noch besetzt, die Chefin im Schloss-Café hegt zwiegespaltene Gefühle bei der Wiedereröffnung, auch weil sich nicht alle Gäste an die Regeln halten, auf die freundlich auf mehreren Tafeln verwiesen wird. Die spartanischen Tische, die sonst liebevoll und individuell geschmückt sind, in weitem Abstand, ein bei Selbstbedienung vorgeschriebener trister Sammelpunkt für das Schmutzgeschirr unter einem Seitenast, Maskenpflicht im Innern, all das ist nicht unbedingt ihre Idee von einem schönen Café. „Mal sehen, wie es wird, man muss gucken.“ Julia Gadenz-Vornholt ist nach dem Wiederbeginn eher verhalten optimistisch.

Noch weit entfernt vom Normalbetrieb an schönen Frühlingstagen sind der Marktplatz und die Altstadtgassen in Oberursel. „Stadtschänke“ und „Greisslerei“, die „S-Bar“ und vor allem die Eisdielen streuen Lebenszeichen ins Bild, andere wie das Gasthaus „Zum Schwanen“ mit Biergarten halten sich „schweren Herzens“ zurück und wollen morgen erst mal mit „To Go“ einsteigen. Eingeschränkte Platzzahl, fehlende gastliche Atmosphäre, die Mängelliste ist lang, wenn man sich umhört in den Betrieben. „Das sind keine Verweigerer, das sind Realisten“, nimmt der Dehoga-Vorsitzende Thomas Studanski die Kollegen in Schutz.

Schwierige Gastfreundschaft

„Wir sind da“, signalisieren Anita Mennie und Lidija Tvarog, die beiden Chefinnen im „Marktweib“ gegenüber der Stadtbücherei, gut gelaunt am offenen Fenster. Sind so da, wie sie es seit Wochen sind. Mit freundlichem Service, leckeren To Go-Angeboten, die gut angenommen werden, das Geschäft geht andere Wege in diesen Zeiten. Vor dem Eingang auf der Terrasse vier Tische, alles hübsch aufgemacht, einladend. Dort kann mit Selbstbedienung auch wieder gespeist werden. „Ihr Lieben alle“ haben Lidija Tvarog und Anita Mennie eine kurze Notiz an ihre Gäste auf der Marktweib-Homepage überschrieben. Bedauern, dass eine Öffnung des Innenraums unter den „vorgeschriebenen Bedingungen nicht möglich ist“. Zu wenige Gäste dürften nur empfangen werden, mit zu vielen Vorschriften. „Das ist nicht die gelebte Gastfreundschaft und die Herzlichkeit, die wir sonst gewohnt sind.“

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