Manfred Kopp und die fünf bildungshungrigen Oberurseler

Manfred Kopp referiert nicht nur mit persönlicher Note über die Anfänge der Volksbildung, sondern überreicht an Manfred Gönsch (v. l.) auch ein wertvolles Geschenk. Foto: VHS

Oberursel (ow). Manfred Kopp liegt nicht nur die Stadtgeschichte Oberursels am Herzen, er ist auch Zeitzeuge der Anfänge des Bundes für Volksbildung (heute Pro Volkshochschule Bildung und Kultur Hochtaunus). Prädestiniert, um im Jubiläumsvortrag der Volkshochschule (VHS) Hochtaunus einen Rückblick auf die Historie des Trägervereins zu werfen. Seine lokalgeschichtliche Retrospektive führt in diesem Fall auch in die eigene Vergangenheit. So fließen persönliche Erinnerungen in die hochinteressanten Ausführungen zu den Gründerjahren des heutigen Trägervereins der Volkshochschule ein. „Steno war damals ein echter Hit“, verrät Kopp, der wie so viele in seiner Jugend einen Stenokurs des Bundes für Volksbildung (BfV) besucht hat. Verschmitzt lächelnd verrät er, seine Schulnotizen hätte er dadurch jedoch nicht schneller mitschreiben können.

Bildung und Kultur in der Pandemie anzubieten sieht Manfred Kopp als große Herausforderung für die VHS, der anfänglichen Situation des Trägervereins nicht unähnlich. Eine sehr passende Einleitung in seinen Vortrag „Ein Meilenstein für Bildung und Kultur“ zum 75-jährigen Bestehen des VHS-Trägervereins am 23. November. In eineinhalb Stunden präzisierte er die denkbar schlechten Rahmenbedingungen bei der Vereinsgründung 1945/46 und die Herausforderungen der Anfänge des Bundes für Volksbildung.

Bildung und Kultur waren durch die Kriegsjahre auch in Oberursel nahezu verkümmert. Sie zu beleben, war weder einfach noch schnell umsetzbar. Die eigene Stadtverwaltung war zum Erliegen gekommen, und die herrschende Militärregierung setzte zunächst andere Prioritäten. Die Oberurseler selbst plagten zudem schwerwiegende Sorgen. Umso mehr lässt sich das Engagement von fünf Oberurseler Bürgern in dieser Situation als echter Meilenstein für Bildung und Kultur bewerten.

1945/46 bestand das Hauptziel der Alliierten im Ausschalten von Nazismus und Militarismus, wie „political activities“-Berichte der amerikanischen Besatzungsmächte aus dem Jahr 1946 belegen. Erreichen wollte man dies durch den Aufbau demokratischer Strukturen, die Hitlers Regime ausgemerzt hatte.

Doch das Vertrauen der Bevölkerung in jegliche Politik, sei sie totalitär oder demokratisch, fehlte. Das Misstrauen gegenüber den Besatzungsmächten war enorm. „Der durchschnittliche verbitterte Deutsche,“ so konstatierten diese in ihren Berichten, „will Brot und Benzin, keine Worte.“ Die Gründung politischer Parteien, der Aufbau einer neuen Stadtverwaltung, all das konnte nur langsam vorangebracht werden. Im Oktober 1945 wurde Werner Jaspert formell zum Bürgermeister bestellt. Im Winter 45/46 nahm die Oberrealschule in Oberursel ihren Betrieb wieder auf, Geschäftsinhaber stellten Anträge zur Wiederaufnahme ihrer Geschäfte. Mit der Gründung der KPD, CDU, SPD und der Liberaldemokraten wurde ein politisches Vier-Parteien-System geschaffen, im Januar 1946 fanden die ersten Nachkriegswahlen zum Stadtparlament in Oberursel statt.

„Was die Menschen in Oberursel aber am dringendsten beschäftigte,“ so der Lokalhistoriker, „war die extreme Wohnungsnot“. Zählte Oberursel vor dem Krieg 11 000 Einwohner, so waren es nach dem Krieg 15 000. Viele Evakuierte aus dem zerstörten Frankfurt, Flüchtlinge und nicht zuletzt Angehörige militärischer Einheiten machten diese Zunahme aus. Zehn Prozent aller verfügbaren Räume wurden allein durch die Militärbehörden beschlagnahmt. Über 200 Familien lebten in Oberursel ohne eigene Wohnung.

Trotz – oder besser wegen – all dieser Sorgen und Nöte herrschte bei manchen auch ein starker Wille, sich sein zerstörtes Leben wiederaufzubauen, voranzukommen. Fünf Oberurseler fanden sich ohne viele Worte zusammen und machten ihr persönliches Streben zum sozialen Engagement, schafften Perspektiven für alle in Oberursel: Werner Jaspert, Walter Rausch, Wilhelm Wollenberg, Otto Weißpfennig und Marcel Schulte. „Rausch, wenn vielen auch nicht im Gedächtnis geblieben,“ weiß Manfred Kopp aus seinen Recherchen, „könne man durchaus als treibende Kraft bezeichnen.“ Er formuliert die Grundsätze ihrer weiteren Arbeit: das Angebot von Informationsvorträgen, Lehrgängen von allgemeinem Interesse, Kulturveranstaltungen und Volkskunstabenden. Die Lizenz der Militärregierung hierfür erbat Jaspert bereits Ende 1945, erteilt wurde sie allerdings erst sechs Monate später. Wilhelm Wollenberg wurde mit dem Vorsitz des neugeründeten Bundes für Volksbildung betraut. Am 1. Juni 1946 fand die Eröffnungsfeier mit Erich Kogon als Festredner statt. Der Verein bezog seine erste Geschäftsstelle in der Körnerstraße 11, wo auch Bibliothek und Einwohnermeldeamt untergebracht waren. Das erste Programm des BfV im Juni/Juli 1946 bot Deutsch-, Englisch- und Stenokurse, Vorträge, Konzerte, Theater- und Volkskunstabende und begeisterte bereits 330 Teilnehmer. Ein Meilenstein für Bildung und Kultur.

Beeindruckt zeigte sich Kopp von der weiteren Entwicklung des BfV, der in den 70er-Jahren die Trägerschaft der Volkhochschule übernahm und eine zunehmende Professionalisierung vorantrieb. Als größte Weiterbildungseinrichtung im Hochtaunuskreis stehe die VHS Hochtaunus auch heute noch mit dem gleichen Engagement für Bildung und Kultur. „Genau das, was wir in der heutigen Gesellschaft brauchen,“ schloss Manfred Kopp, der selbst lange in der Lehrerfortbildung tätig war. „Die Dynamisierung der Gesellschaft und ihr Tempo machen fortlaufende Weiterbildung erforderlich. Wir müssen lernen, mit Unwägbarkeiten umzugehen.“ Flexibilität, sich auf neue Situationen einstellen, das seien heutzutage die geforderten Qualifikationen, beruflich wie privat. Es gelte also, neugierig zu bleiben und sich gemeinsam mit Weggefährten mutig auf den Weg zu machen.

Mit großer Freude nahmen Manfred Gönsch als Vorsitzender des Trägervereins und VHS-Leiter Carsten Koehnen ein ganz persönliches Jubiläumsgeschenk von Manfred Kopp entgegen: seine recherchierten Materialen zu den Vereinsanfängen. „Ein sehr wertvolles Geschenk“, wie Gönsch betonte, denn Vereins- und VHS-Archiv wiesen bisher hierzu eine große Lücke auf.



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