Margarethe Portefaix: „Ich war stets für alle da“

Die Grande Dame der Städtepartnerschaft erscheint: Gretel Portefaix beim Neujahrsempfang des VFOS am 25. Januar im Rathaus. Foto: bg

Oberursel (ow). Wenn man die Verdienste von Gretel Portefaix nur annähernd würdigen will, muss man eine Zeitreise in das Jahr 1963 antreten. Da wurde der Elysee-Vertrag unterschrieben, der die Aussöhnung zwischen den Erzfeinden Deutschland und Frankreich zum Ziel hatte. Mit Partnerschaften zwischen Städten sollte diese Idee den Menschen auf der lokalen Ebene nähergebracht werden. 1964, kaum 20 Jahre nach Kriegsende, war das ein mit viel Skepsis auf beiden Seiten betrachtetes Vorhaben. Wie aus Feinden Freunde wurden, darüber kann Margarethe Portefaix aus erster Hand berichten.

Sie war der Glücksfall beim Unternehmen „Wir schließen eine Städtepartnerschaft zwischen Oberursel und Epinay-sur-Seine“. Das wurde zu ihrer Lebensaufgabe und Herzensangelegenheit. Die gebürtige Kölnerin hatte die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erleben müssen und engagierte sich, wie damals viele junge Leute, die von einem geeinten Europa träumten, in der International Friendship League (IFL). Dort lernte sie ihren Mann Pierre kennen, er war Leiter der französischen Sektion. Nach der Heirat lebte sie mit ihm in der Nähe von Epinay in Saint Gratien. Gleich zu Beginn der Jumelage war sie als Dolmetscherin im Einsatz, als am 16. Mai 1964 die Bürgermeister Heinrich Beil und Jean Charles Privet in Epinay-sur-Seine den Vertrag feierlich unterzeichneten. Von Anfang an blieb Parteipolitik dabei außen vor. So konnte es in den ersten Jahrzehnten gelingen, dass auf französischer Seite kommunistische oder sozialistische Bürgermeister wie Gilbert Bonnemasion, der von 1967 bis 1995 Rathaus-Chef in Epinay war, mit den meist christdemokratischen Oberurseler Amtskollegen Heinrich Beil, Karlheinz Pfaff (SPD), Rudolf Harders und Thomas Schadow gute Beziehungen pflegten.

Gretel Portefaixs Hilfe war besonders gefragt nicht nur beim Übersetzen, sondern erst recht als Mittlerin zwischen den zwei Kulturen, die da aufeinandertrafen. Denn sie kannte die französische Lebensart und die deutschen Mentalitäten bestens. Unvergesslich ist ihr der erste Besuch des „Frohsinn“, als der Spielmann- und Fanfarenzug des Vereins durch die Straßen von Epinay zog und spielte. Die Franzosen staunten, so etwas kannten sie nicht. Musik ist bekanntlich international, und hier wurde sie zum „Türöffner“ für das gegenseitige Kennenlernen. Auf der anderen Seite stand sie ihren deutschen Landsleuten hilfreich zur Seite beim Thema „Tafeln wie Gott in Frankreich“, mehrgängige Menus, die sich über Stunden hinwegzogen, mit Champagner und Wein, das war Neuland für viele Gäste aus Oberursel, die deutsche Hausmannskost gewohnt waren. Mit viel Fingerspitzengefühl sorgte sie stets dafür, dass sich alle ins rechte Licht setzen und eine gute Figur machen konnten, nicht nur auf sprachlicher Ebene, sondern ebenso bei Fragen der Etikette und den Umgangsformen. Auch ihre diplomatischen Übersetzungen waren bewundernswert. Kleine sprachliche Nuancen wurden eher positiv verändert, langweilige und langatmige Statements schon mal griffig abgekürzt. An der klugen, einfühlsamen Frau kam keiner vorbei. Im Laufe ihrer über 40-jährigen Tätigkeit, immer auf ehrenamtlicher Basis, wechselten die Bürgermeister, Stadträte, Amtsleiter hüben wie drüben. Sie blieb und kannte alle. Gerne arbeitete sie mit André Lesenne zusammen, der sich sehr für die Beziehungen der beiden Städte einsetzte. Ein großes Loblied singt sie auf den ehemaligen Kulturamtsleiter Heinz Wilhelmi: „Ach, der hat sich ja mit seinem Arbeitseinsatz eine Krone verdient“, erklärte sie fröhlich. Monika Seidenather-Gröbler führte seine erfolgreiche Arbeit mit viel Engagement weiter. Ebenso wie Martin Krebs, der jetzige Kulturamtsleiter. Beide halten den freundschaftlichen Kontakt mit der Grande Dame der Städtepartnerschaft hoch.

Das Interesse an der neuen Partnerstadt war von Anfang an groß. In ihrer Erinnerung machten sich Heerscharen von Sportlern, darunter Fußballer, Leichtathleten, Schwimmer, Turner und Volleyballer, Berufsgruppen wie Postler und Polizisten, Feuerwehrleute, Schulklassen, Musikgruppen und Chöre, Geflügel- und Taubenzüchter, Imker, Kunstschaffende und Mitglieder des Reitvereins Bommersheim auf den Weg nach Frankreich. Zahlreiche Kontakte wurden schnell auf privater Ebene weitergeführt. Regelmäßig fuhren Mitglieder von Sportvereinen wie der Eintracht, der TSGO, des Turnverein Bommersheim und des Schwimmclubs (SCO) in die französische Partnerstadt zu Sportfesten und Turnieren. Epinay hatte 1971 ein neues Hallenbad gebaut. Der Austausch der Schwimmer gestaltete sich fast zehn Jahre lang sehr eng. Durch das Engagement des SCO gelang es, auch in Epinay einen Schwimmverein zu gründen. Es wurde gemeinsam trainiert und als Highlight wurden Schwimmfeste mit Vorführungen durch die Turmspringer des SCO organisiert.

Alle lernten ihr diplomatisches Geschick kennen und waren oft auf ihre Kenntnisse und Unterstützung angewiesen. Der Austausch war keine Einbahnstraße, stets folgten die Gegenbesuche aus der Partnerstadt. Alles hat Gretel Portefaix noch in ihrem Kopf, die vielen Begegnungen, die lustigen Episoden ebenso wie manch schwierige Angelegenheit oder auch kleinere Katastrophen. Die Maler und Fotografen pflegen noch heute enge, freundschaftliche Beziehungen zur jeweiligen Partnerstadt, weiß sie zu berichten. Sie nimmt selbst noch gerne Anteil an Veranstaltungen des Städtepartnerschaftsvereins, wenn Gäste aus Epinay in Oberursel sind. Etwa beim traditionellen Weihnachtsmarkt, der erst durch die Oberurseler nach Epinay kam. So etwas gab es da nicht. Andererseits entstand durch das gemeinsame Boule-Spielen mit den französischen Freunden ein Petanque Club in Oberursel. In den Anfängen wollten die Gruppen aus Oberursel natürlich alle auch nach Paris. Da hat sie außer den Übersetzungen noch vieles arrangiert und ermöglicht. Die meisten Gäste kamen mit dem Bus an, einige fuhren aber auch mit dem Nachtzug von Frankfurt bis zum Pariser Ostbahnhof, wie eine gemischte Delegation von Jugendring und Jugendcafe Anfang der 1970er-Jahre, Einheits-Outfit damals Parka und lange Haare. Ihr gehörten auch Hans-Georg Brum und Christoph Müllerleile an. Angeregt durch den damaligen Besuch auf Montmartre organisierte der Jugendring danach viele Jahre in eigener Regie den heute noch existierenden Flohmarkt in Oberursel. Ihr Kontakt zu den beiden ist nie abgebrochen. Christoph Müllerleile hatte sich als angehender Journalist bereits 1996 mit seinem klapprigen VW auf den Weg nach Epinay gemacht, tauchte bei allen Gelegenheit auf, fotografierte und schrieb Artikel für den „Taunus-Anzeiger“ sowie Broschüren über Epinay. Margarethe Portefaix hat sie heute noch.

Im Laufe von 60 Jahren gab es immer ein Auf und Ab in den Beziehungen. In beiden Städten wechselten nach vielen Jahren die Zuständigkeiten von der städtischen Regie hin zu Vereinen. In Epinay gründete sich ein Komitee, auch in Oberursel wurde 1991 ein Partnerschaftskomitee aus der Taufe gehoben. Mit Christoph Müllerleile an der Spitze wurde daraus im Jahr 1999 der Verein zur Förderung der Oberurseler städtepartnerschaften (VFOS). Vorbildlich trieb er die Idee der Städtepartnerschaft mit frischem Elan weiter voran und stand bis 2009 an der Spitze des Vereins.

Im Jahr 2014 – zum Jubiläum des 50-jährigen Bestehens der deutsch-französischen Städtepartnerschaft – legte der Verein eine Chronik über die Entstehungsgeschichte vor mit Erinnerungen von vielen Zeitzeugen. Keine Frage, dass Margarethe Portefaix da vertreten ist mit dem Beitrag: „Ich war stets für alle da“. Der bedeutende Publizist und Professor Dr. Alfred Grosser stellte in seinem Vortrag anlässlich des Jubiläums fest, dass die Städtepartnerschaft zwischen Oberursel und Epinay wirklich etwas ganz Besonderes sei. Nicht nur durch die frühe Gründung, sondern wegen der Lebendigkeit der Beziehungen und der so unterschiedlichen politischen Akteure auf beiden Seiten. Schöner kann man die Verdienste der Vermittlerin zwischen den beiden Welten nicht auf den Punkt bringen. Wenn sich viele Oberurseler an ihre Erlebnisse in Epinay erinnern, denken sie sofort an Margarethe Portefaix. Sie wurde zum Gesicht der deutschen-französischen Partnerschaft. Durch ihre engen, freundschaftlichen Kontakte zog es sie – auch durch den frühen Tod ihres Mannes – nach Oberursel. Bereits seit Mitte der 1980er-Jahre besaß sie eine Wohnung in Stierstadt, und seit 2006 lebt sie in Oberursel. Die flexible Übersetzerin und aufmerksame Hüterin der Etikette besitzt die deutsche und die französische Staatsbürgerschaft. Für ihre Verdienste wurde sie mehrfach geehrt und ausgezeichnet. Von Frankreich erhielt sie eine der höchsten Auszeichnungen. Sie ist „Chevalier dans le Ordre des Palmes Académiques“. Von der Stadt Oberursel erhielt sie im Jahr 2003 die Bürgermedaille Oberursel und 2013 wurde zur Ehrenbürgerin ernannt.



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