„Nacht der langen Messer“ ohne Stadtverordnetenversammlung

Auf dem schmalen Geländestreifen zwischen den S-Bahn-Schienen im Vordergrung und der U-Bahn-Trasse im Hintergrund sollen hinter dem alten Bahnwärterhäuschen sechs Gebäude mit insgesamt 67 Wohnungen entstehen. Foto: js

Oberursel (js). Im Oktober, beim Einbringen des Haushalts für 2021, war Bürgermeister Hans-Georg Brum noch von Einnahmen in Höhe von 117,2 Millionen Euro für die Stadt ausgegangen. Nun weist der verabschiedete Etat auf dieser Position einen Wert von 113,3 Millionen Euro aus. Geblieben ist bei gleichzeitig runtergerechneten Werten im Block Ausgaben im sogenannten „ordentlichen Ergebnis“ ein Defizit von 8,6 Millionen Euro, die Rücklagen sollen dies ausgleichen. CDU, SPD und Grüne stimmten für Brums letzten Haushalt in seiner nun 18-jährigen Amtszeit und sorgten damit für eine satte Mehrheit, FDP, OBG und Linke lehnten ihn ab. Das Besondere am Etat 2021: Der Haushaltsbeschluss wurde im kleinen Kreis noch vor Weihnachten beschlossen, das Stadtparlament soll ihn in seiner nächsten Sitzung in großer Runde lediglich noch einmal bestätigen.

Es war nicht die Zeit für legendäre Wortschlachten, die später noch in der „dritten Halbzeit“ in der Kellerbar des Rathauses in kleinen Kreisen fortgesetzt werden. Nicht die Zeit für eine „Nacht der langen Messer“, wie die Haushaltsdebatte im Stadtparlament zum Jahresende gerne kämpferisch genannt wird. Vor allem aus der Sicht derer, die von der „Stunde der Opposition“ sprechen, wenn „abgerechnet“ wird über das, was die jeweilige Rathaus-Koalition in Zusammenarbeit mit dem Magistrat im ablaufenden Jahr geleistet hat und willens ist, im neuen Jahr zu leisten. Keineswegs war der Zeitpunkt für die Haushaltsdebatte ein „Höhepunkt“ des Parlamentsjahres. Am gewohnten Ort zwar fand sie statt, im Sitzungssaal des Rathauses, aber nicht mit dem versammelten „hohen Haus“, sondern nur mit den Mitgliedern des Haupt- und Finanzausschusses (HFA).

Die geplante Sitzung des Stadtparlaments eine Woche vor Heiligabend im Saal der Stadthalle hatte Stadtverordnetenvorsteher Gerd Krämer aufgrund der aktuellen Infektionslage kurzfristig abgesagt und sich im Ältestenrat mit den Vertretern der Fraktionen auf einen Entscheid der 15 Parlamentarier geeinigt, die die Vorarbeit im HFA geleistet hatten. Nicht alle waren damit einverstanden, OBG und Linke, die das Zahlenwerk später ablehnten, sahen ihre parlamentarischen Rechte beeinträchtigt. Parlamentschef Krämer jedoch setzte das hohe Gut Gesundheit an erste Stelle und wollte es dem 45-köpfigen Parlament und dem gesammelten Magistrat nicht zumuten, mit Masken unter ungünstigen klimatischen Bedingungen in der Stadthalle stundenlang zu debattieren. Die AfD verweigerte die kleine Runde, zuletzt war es ihr Mitglied Peter Lutz, der mehrfach durch die Verweigerung, eine Maske zu tragen, andere Sitzungen fast gesprengt hatte.

Alles anders also, die Haushaltsdebatte in Zeiten der Corona-Pandemie ging andere Wege. Lediglich die härtesten Kritiker von OBG und Linke gingen für längere Beiträge „in die Bütt“, wie das Rednerpult scherzhaft ironisch gerne genannt wird, die anderen „Haushaltssprecher“ hielten sich dezent zurück, Wolfgang Schmitt (Grüne) legte seine geplante Rede als Haushaltsschreiber schriftlich vor. Die leidigen Themen Kita-Gebühren und „Heimatumlage“, fehlende Steuereinnahmen und höhere Ausgaben für die Kinderbetreuung und vor allem die Finanzierung von anstehenden Großprojekten wie Gefahrenabwehrzentrum und Rathaus-Sanierung, Wertstoffhof und Aufwertung der Kläranlage müssen im neuen Jahr intensiv weiter diskutiert werden.

„Gleisdreieck“ im Fluss

Einziges Sachthema in der jahresfinalen HFA-Sitzung: Der Beschluss zum „Gleisdreieck“, um das Verfahren zur Bebauung des Geländes zwischen U-Bahn- und S-Bahn-Schienen westlich des Bahnhofs zu forcieren. Wie berichtet, soll dort auf einem knapp 6000 Quadratmeter großen Gelände, das lange nicht als tauglich für Wohnbebauung galt, eine Wohnanlage mit sechs Gebäuden und insgesamt 67 Wohneinheiten auf knapper Fläche entstehen. Im Vertrag zwischen Investor und Stadt, die das Gelände über die Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft (SEWO) verkauft hat, wird festgeschrieben, dass mindestens 15 Wohnungen „preisgünstig“ auf den Markt kommen sollen. Heißt in diesem Fall: die Kaltmiete muss für mindestens 15 Jahre auf 9,40 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche begrenzt werden. Ein Kritikpunkt der Opposition, die das Projekt nicht nur aus diesem Grund ablehnte. Gefordert waren 30 Prozent preiswerter Wohnraum, einst selbstgestecktes Ziel der CDU/SPD-Koalition. In Verknüpfung mit dem von der SEWO selbst geplanten Projekt unweit des Gleisdreiecks an der Lenau-straße könne dieses Ziel erreicht werden, sagte indes der Bürgermeister. Dort sollen 18 preisgünstige Wohnungen entstehen. Mit den Stimmen von SPD und CDU wurde das Wohnquartier „Gleisdreieck“ auf den Weg gebracht, kontrovers wird es bleiben.

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