Orpheus in der Stedter Unterwelt

Die „Can-Can-Einlage“ in der Hölle gehört zu den Höhepunkten der Aufführung und sorgt für großen Applaus.Fotos: bg

Oberursel (bg). Was für ein Höllenspaß. Der Orpheus in derStedter Unterwelt – sprich Taunushalle – begeisterte das gesamte Publikum. Die Musikschule Oberursel hat sich nach dem tollen Erfolg von „Frau Luna“ wieder an ein großartiges Werk herangewagt, den „Orpheus in der Unterwelt“. Das Stück aus der Feder von Jacques Offenbach wurde 1858 in Paris uraufgeführt.

Es war damals eine freche Persiflage auf die griechisch-römische Mythologie. Das Erfolgsrezept von Offenbach: Er benutzt die griechische Sage vom berühmten Sänger Orpheus und seiner Frau Eurydice, dreht es vom Kopf auf die Füße, wirbelt historische Herrscher und aktuelle Gesellschaftszustände durcheinander. Bei diesem Spaß bekommen alle ihr Fett ab. Der feinen Gesellschaft und Napoleon III. wird gnadenlos der Spiegel vorgehalten und sie wurde kräftig auf die Schippe genommen. Die rasante Musik und die fetzigen Dialoge haben an Frische nichts verloren, die Thematik erst recht nicht.

Einige erinnern sich: Schon in früheren Zeiten wurde in der Oberstedter Mehrzweckhalle Theater gespielt. Organisiert von der Volkshochschule unter dem Slogan „Theater auf dem Felde“. Die abendfüllende Operette auf die Beine zu stellen, war auf den schmalen Brettern der Taunushalle ein ambitioniertes Unterfangen.

Gesangsdozent Frank Günther hatte die künstlerische Leitung und Regie übernommen, die Projektleitung lag in den Händen von Peter Steffan. Es wirkten die Gesangsschüler der Musikschule mit, als Solisten oder im vielstimmigen Chor. Während der Proben wurden sie begleitet von Korrepetitor Hanno Lotz am Klavier. Die Einstudierung des Chors übernahm Christos Pelekanos. Bereits Anfang des Jahres wurden vom Regisseur die Proben aufgenommen und die Rollen verteilt. Über die Monate war das Ensemble zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, an vielen Fronten im Einsatz und „Orpheus“ ihr ständiger Begleiter.

Die Handlung beginnt in Theben. Zu sehen sind eine Landschaft mit Zypressen, ein Ährenfeld und die mit Bienen und Lämmern bemalte Schäferhütte des Aristeus, der Eurydice (Christina Maul) umgarnt. Höllenfürst Pluto selbst ist in die Rolle des Schäfers und Imkers geschlüpft, er möchte die Schöne in den Hades entführen. Sie liebt ihn und möchte ihren Mann Orpheus (Martin Engel) loswerden, sie hat ihn gründlich satt. Der wiederum liebt die Nymphe Cloe. Er tritt als Paganini-Verschnitt mit Geige auf und ist dank großartiger Schminkkunst ein hässlicher Vogel. Das streitende Ehepaar wird von der Öffentlichen Meinung (Isabell Schäfer-Fricke) observiert.

Neben Theben mussten Kulissen für die Handlung im Olymp und in der Hölle geschaffen werden. Alle vier Bühnenbilder waren durchweg echte Hingucker. Für den Kulissenbau hatte Projektleiter Peter Steffan im Ferdinand-Balzer-Haus die Bühnenwerkstatt eingerichtet. Über Monate wurde da gehämmert, geschraubt und gemalt. Er überzeugte als filigraner, detailbesessener Handwerker ebenso wie als Solist in seiner Doppelrolle als Aristeus/Pluto. Viele Ensemblemitglieder halfen beim Malen und Schrauben mit. Für das Projekt hatte die gelernte Grafikerin Frauke Gerlach nicht nur das Plakat entworfen, sondern kam oft zum Arbeitseinsatz und schwang den Pinsel. Alle Ensemble-Mitglieder absolvierten nicht nur ihre Proben, sondern kümmerten sich mit viel Einfallsreichtum selbst um Kostüme, Maske oder packten beim Kulissenbau mit an.

Frank Günther hat mit sicherem Gespür für seine Protagonisten die tragenden Rollen, 13 an der Zahl, klug besetzt. Peter Steffan ist ein eleganter Teufel mit Lackschuhen, die unter seinem Schäferkostüm hervorblitzen. Nach dem Tod der Eurydice durch den Biss der Schlange, hat die öffentliche Meinung endlich ihren Großauftritt. Raffiniert kostümiert im wieder modernen Marlene-Dietrich-Look, zerrte sie den sich widerstrebenden Orpheus, der doch froh ist, seine Frau los zu sein, in den Olymp. Vorherrschende Farben im Götterhimmel logischerweise Blau/Weiß.

Unter den Göttern herrscht gähnende Langeweile. Auf dem Thron sitzt Jupiter (Marcus Papp) im Kostüm von Napoleon III., neben ihm seine Gattin Juno (Nora Bewer). An einer Tafel eine illustre Gesellschaft, bestehend aus der schönen Venus (Claudia Himberg), ganz in Gold, dem frechen Cupido (Sabrina Kuhne), der Jagdgöttin Diana (Irene Kuhne) im grünen Kleid, dem angeschlagenen Kriegsgott Mars (Carsten Höfer) und der klugen Minerva (Daniela Weiß) mit Doktorhut. Die feine Gesellschaft beklagt sich, immer nur Ambrosia essen zu müssen, und probt den Aufstand, natürlich in den Farben der Französischen Revolution. Als die öffentliche Meinung mit Orpheus im Olymp erscheint und Pluto abstreitet, eine Frau von der Erde entführt zu haben, obwohl zuvor schon Merkur (Udo Rücker) darüber berichtet hatte, beschließt Jupiter, in der Unterwelt selbst nach dem Rechten zu sehen. Voller Freude über diese Abwechslung machen sich alle Bewohner des Olymps mit auf die Reise.

Feuerrot ist das Boudoir, in dem Pluto Eurydice versteckt hält. Sie langweilt sich und ist genervt von ihrem Wächter Hans Styx (Michael Meiners), einst Prinz von Arkadien, jetzt ein Schatten. Bis sie Jupiter aufgespürt hat und als Fliege umsummt. „Liebe mit einer Fliege“ bei dem Anblick der Eurydice, die sich auf dem roten Sofa im schwarzen Dessous mit Straps lustvoll rekelt, ging ein Raunen durchs Publikum.

Beim abschließenden Höllenfest glänzt der Chor mit einem phänomenalen Auftritt, ebenso wie die Ballettänzerinnen der Ballettschule Sander-Wilke. Eurydice mischt sich als Bacchantin verkleidet in das Getümmel und huldigt Gott Bacchus, der sich kaum auf den Beinen halten kann. Eigentlich wollte Jupiter sie mit in den Olymp nehmen, aber Pluto erkennt seine Gefangene. Unter Aufsicht der öffentlichen Meinung und seiner misstrauischen Gattin hat der Herrscher des Olymps keine Wahl. Er erlaubt Orpheus, seine Frau wieder zurück zur Erde mitzunehmen. Einzige Bedingung: Er darf sich nicht nach ihr umdrehen. Aber der listenreiche Gottvater schleudert einen Blitz, Orpheus dreht sich um und kehrt ohne seine Frau nach Hause zurück. Die schöne Eurydice wird zur Bacchantin ernannt und bleibt bei Bacchus.

Bei der Aufführung in Oberstedten musste das zehnköpfige Kammerorchester unter der Leitung von Hanno Lotz vor der Bühne Platz nehmen. Es begleitete das Geschehen auf der Bühne virtuos und sorgte für mächtig viel Dampf beim berühmten „Can-Can“ oder den bacchantischen Ausbrüchen des Chors. Das Publikum war völlig aus dem Häuschen. Denn es hatte ein ganz besonderes Gesamtkunstwerk erlebt. Der „Orpheus made in Orschel“ war ein Feuerwerk an sprudelnden Ideen, getragen vom einem Ensemble, das wie aus einem Guss sang und spielte. Der Jubel war groß, der Beifall wollte kein Ende nehmen.

!Weitere Vorstellungen sind noch am Samstag, 4. November, um 19 Uhr und am Sonntag, 5. November, um 17 Uhr in der Taunushalle Oberstedten zu sehen. Die Tickets kosten 19 oder 15 Euro und sind bei den Buchhandlungen Libra, Rathausplatz und Bollinger sowie im Büro der Musikschule am Hollerberg erhältlich.

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