Schtonk! – die Welt will belogen sein

Weltsensation: Feierliche Übergabe der falschen Hitler-Tagebücher vor Altnazis und Experten, der begeisterten Presse und dem Kunstmaler (und Fälscher) mit Frau und Muse. Foto: sura

Oberursel (aks). Zwei Millionen Besucher lockte der Film „Schtonk!“ von Helmut Dietl 1992 in die Kinos. Die wahre Geschichte um den Kunstfälscher Kujau, seine „Hitlertagebücher“ und die Gutgläubigkeit der Stern-Journalisten, die dieses „Fälschungsgesamtmachwerk“ veröffentlichten, wurde zur „Weltsensation“ und ein Paradebeispiel dafür, wie schnell auch falsche Fakten geglaubt werden, die geglaubt werden wollen und sollen. Sie verhelfen auch immer einigen wenigen zu Macht, Ruhm und Geld.

Aktueller denn je deshalb auch die Bühnenfassung von Marcus Grube, die in den 80er-Jahren spielt (40 Jahre nach den Verbrechen Adolf Hitlers und der Nazis) und in der sich nicht nur Altnazis, sondern auch die Presse und wissenschaftliche Experten völlig schamfrei für das banale Geschreibsel, alles im wahrsten Sinne erstunken und erlogen, bis zum Freudentaumel begeistern. Sie nehmen von Anfang an lüstern und kritiklos Witterung auf und berauschen sich posthum an den geistig beschränkten schriftlichen Auswürfen des ehemaligen Führers. Nur eine Frau, die Nichte von Reichsmarschall Goebbels, arrogant und überheblich und irgendwie aus der Zeit gefallen, gespielt von Julia Weden, klärt die ignoranten Männer auf. Bei ihr zu Hause (im Hause Goebbels) galt bereits das Bonmot: „Mein Kampf bringt Hitler einen Krampf“ – wieso sollte Hitler also Tagebücher schreiben. Und dann noch so viele? Doch die männlichen Gegenspieler sind für Tatsachen schon nicht mehr zugänglich.

Die Produktion von Euro-Studio Landgraf unter der Regie von Harald Weiler bot am Montagabend in der Stadthalle die witzige Umsetzung eines grausigen Kapitels deutscher Geschichte auf hohem Niveau, mit einer Truppe, die Akteure darstellten, vor denen einem angst und bang werden konnte. Der Kunstmaler und Fälscher, Professor Knobel (Carsten Klemm), ist ein „Multitalent“ und Mann voller Sinneslust (er träumt nach der Malerei und „Literatur“ von einer eigenen Oper), der mit seinem Alter Ego Adolf Hitler immer mehr verschmilzt (ich weiß nicht mehr, wer ich bin). Sein Charme und später auch seine maximale „Gage“ für den Betrug („Ich kann alles besorgen“) reicht für zwei Frauen, seine eigene (Iris Boss) und seine Muse (Annika Krüger). Die drei Frauen in diesem Stück scheinen realitätsnäher, weniger verführbar und sorgen mit ihrem Ordnungsfimmel für Klarheit und Sauberkeit.

Wie so oft werden die Ratschläge und Warnungen der Damen ignoriert, und so nimmt das Schicksal seinen Lauf: Der Fälscher kontaktiert den „schmierigen“ Skandalreporter Willié, herrlich lächerlich mit vollem Körpereinsatz gespielt von Luc Feit. Dieser steckt mit seinem Ehrgeiz und Größenwahn auch seine Vorgesetzten (Matthias Hörnke und Ulrich Westermann) an, die anfangs noch skeptisch sind und sich auf guten Journalismus berufen. Restlos überzeugt sie der Kunstexperte Prof. Strasser (Alexander Klages), Autor von „Ich und der Führer, pardon, der Führer und ich“, der entzückt und ehrfürchtig von den menschlichen Zügen des Nazi-Führers in den Tagebüchern schwärmt: „Ein Menschenherz in der Brust des Führers – und was für eins“ – dabei scheint er auf beiden Augen blind zu sein für die offensichtliche Fälschung auf DDR-Papier.

Auch wenn die „Welt belogen werden will“, gilt doch (in unserem Land) der Pressekodex, der die Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde und auch Sorgfalt in der Recherche garantiert. So besteht der eigentliche Skandal in der schlampigen Arbeit der „Stern“-Mitarbeiter, die gierig nach einem „Knüller“, nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterschieden, die zentrale Aufgabe des Journalismus.



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