Seit 100 Jahren singt die „Germania“ in Weißkirchen

Von der noch selbstständigen Gemeinde Oberstedten geplant, von der Stadt Oberursel eingeweiht: der Waldfriedhof in Oberstedten. Foto: js

Oberursel (js). Geht das alte Jahr zu Ende und das neue Jahr wirft seine Schatten voraus, geht das Stadtarchiv gerne auf Spurensuche. Gefahndet wird etwa nach den Jubiläen, die 2023 gefeiert werden können. Und wenn einmal nicht gerade viele Vereine, Institutionen, Parteien oder andere wichtige Einrichtungen in der Stadt „runde Geburtstage“ nachweisen können, dann tut es auch mal ein Blick 100 Jahre zurück. Zum Beispiel auf das Jahr 1923, als Deutschland in eine so genannte Hyperinflation „geschlittert ist“, wie es Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer nennt. Darum sorgt sich die Welt auch heute, ein Blick zurück kann bei der Bewältigung vielleicht hilfreich sein.

Große Jubiläumsfeste bei Vereinen stehen in der Tat nicht an, da hat der Gesangverein Germania 1873 Weißkirchen nach aktueller Erkenntnis ein Alleinstellungsmerkmal und mit bereits 150 Jahren seit der Gründung auch einen Grund, ein ordentliches Fest zu feiern. Das wird er wohl tun, wir feiern ihn hier schon mal vorab. Denn 150 Jahre Singen, das muss man erst mal schaffen. Wie so oft in früheren Zeiten, wurde auch der Gesangverein Germania aus Weißkirchen in einer Gaststätte ins Leben gerufen, im berühmten Gasthaus „Zur Linde“ im alten Ortskern, dessen Namensgeberin immer noch fröhlich vor sich hin gedeiht und im Sommer ein schönes Dach über dem Wirtshaus-Garten bietet. Bei der Vereinsgründung war die Linde ohne Dach, sie wurde am 1. Januar 1873 zelebriert. Erster Dirigent der Germania war der Lehrer Josef Schorr, sein Urenkel Thorsten, selbst seit vielen Jahren leidenschaftlicher Germania-Sänger, war von 1995 bis 2004 Vorsitzender des Vereins und ist stets bei Liedertagen, Gesangswettstreiten und anderen musikalischen Veranstaltungen dabei, wenn seine Ämter als Oberurseler Stadtkämmerer und heute Kreisbeigeordneter des Hochtaunuskreises das zulassen. Im Jahr 2023 gibt es acht aktive Chöre im Verein, zu seinem 150. Geburtstag ist er stilistisch breit aufgestellt, wie man heute sagt.

Vor 50 Jahren wurden in Oberursel zwei wichtige Gebäude eingeweiht, das eine tatsächlich auch mit kirchlichem Segen: die neue Heimat des Kindergartens von St. Ursula. Beim Umzug in die neuen Pavillons unterhalb des alten Pfarrheims in der Altkönigstraße stand er noch unter der Leitung der „Schwestern von der göttlichen Vorsehung“. Begründet wurde der Kindergarten schon 1888, damals als Kleinkinder-Bewahrschule bezeichnet, mit 135 Jahren ist er daher ältester Kindergarten Oberursels. Das im gleichen Jahr wie der neue Kindergarten nach zwei Jahren Bauzeit eröffnete erste Hallenbad nur ein paar hundert Meter weiter oben an der Altkönigstraße wurde damals ob seiner fünf 25-Meter-Schwimmbahnen plus Nichtschwimmer- und Sprungbecken mit Drei-Meter-Federbrett gefeiert. Am 1. Dezember 1973 war Einschwimmen mit Landrat Werner Herr und Gästen aus den Partnerstädten Epinay und Ursem-Westerkoggenland. Die Partnerschaften haben überlebt, das Hallenbad nicht, es wurde nach nur 40 Jahren Bestand am 4. Juni 2013 gesprengt. Die erste Sprengung eines wichtigen Gebäudes in Oberursel, die viele Kiebitze anzog. Das Nachfolge-Bad darf nächstes Jahr erstmals feiern, da wird es trotz aller Mängel schon zehn Jahre alt.

Als der heutige Ortsteil Oberstedten noch selbstständig war, wurde 1967 der Waldfriedhof am Ortsausgang Richtung Hardertsmühle geplant. Bei der „Einweihung“ mit Bürgermeister Karlheinz Pfaff und Vertretern des Ortsbeirats und der Kirchengemeinden am 17. Dezember 1973 war es bereits vorbei mit der Selbständigkeit der „Stedter“. So kann der Friedhof jetzt als Oberurseler Jubiläum gefeiert werden. Die erste Beerdigung fand bereits im November 1972 statt. „Der Tod wartet nicht auf die Fertigstellung eines Friedhofs“, so kommentieren die Spurensucher im Stadtarchiv das Ereignis. Und haben noch zwei 100. Geburtstage im Jahr 2023 in der Hinterhand, von Menschen, die es verdient haben, dass Ihrer gedacht wird.

Der Maler, Grafiker und Anthroposoph Archibald Bajorat lebte die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens bis zu seinem Tod 2009 in Oberursel, mit seiner Frau Ruhta gründete er das nach Rudolf Steiner anthroposophisch orientiert Raphael-Therapeutikum, außerdem hinterließ er ein umfangreiches künstlerisches Werk. Viele Bilder und Grafiken erinnerten an seine Heimatstadt Memel und ihr Umfeld. Auch für den ebenfalls 1923 geborenen Bankier und Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, wurde Oberursel zur Heimat. Seit er 1977 bei einem Attentat in seinem Haus starb, ist der Name Oberursel auf immer mit der damaligen RAF verbunden. Ermordet wurde er am 30. Juli 1977, zu seinem Andenken stiftete 1983 die Dresdner Bank anlässlich des 60. Geburtstags Pontos einen Brunnen. Der Jürgen-Ponto-Brunnen auf dem Rathausplatz nach einem Entwurf des Künstlers Claus Bury wurde im Jahr 1984 errichtet und in jenem Jahr am 22. November eingeweiht.

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