Starke Frauen in Politik, Kunst und Lebensmanagement

Marion Unger zeigt im Deschauer Park das Hochzeitsfoto einer Tochter der Anna-Maria Deschauer, das Ende des 19. Jahrhunderts im Park entstanden ist. Im Hintergrund ist darauf der Erker an einer der beiden Villen der Familie zu sehen, die noch heute dort steht. Foto: js

Oberursel (js). Der Zauber der ersten Frauen in der Stadtpolitik war nur von kurzer Dauer. Möglicherweise war Margarete Hager auch nur die erste Quotenfrau in der Kommunalpolitik. 100 Jahre vor juristischen Auseinandersetzungen, ob die Quote sogar gesetzlich verankert werden soll. Margarete Hager, 34 Jahre alt, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, war nach der Kommunalwahl vom 2. März 1919 die erste Frau, die in die Oberurseler Stadtverordnetenversammlung einzog, kurz nachdem Frauen bei der Wahl zur Nationalversammlung zum ersten Mal überhaupt die Politik in Deutschland aktiv mitbestimmen durften. Auf der Liste der Unabhängigen Sozialdemokraten (USDP) schaffte die Hausfrau den Sprung, in der Wohlfahrts- und der Gesundheitskommission wurde sie von der Männer-Mehrheit ihrer Fraktion untergebracht. Als sie 1924 erneut kandidierte, reichte Listenplatz 8 nicht für die Wiederwahl, vorbei war es mit der Frauenpolitik im Rathaus. Und doch Anlass genug für Stadtführerin Marion Unger, ihre neue Tour durch die Stadt auf den Spuren „Starker Frauen“ mit diesem Wimpernschlag der Geschichte zu beginnen.

Abstecher in die Politik, ins Künstlerleben und sogar einen Hauch von „Unterwelt oder Milieu“ hatte Marion Unger der flotten Damengruppe und einem Herrn versprochen, die mit ihr zum Sommersonntagspaziergang aufbrachen. Und damit ein erstes aufhorchendes „Was? Bei uns?“ provoziert. Und den Spannungsbogen bis zur Erinnerung an die einst legendäre „Traute Anna“ hochgehalten. Jener Frau, über die zu ihren Lebzeiten vor allem viele Gerüchte die Runde machten. Wie sie mit Taschen voller Bargeld in der Straßenbahn auf dem Rückweg aus dezent zwielichtigen Bars in Frankfurt in die Kleinstadt am Taunusrand zurückkommen sei. Auf jeden Fall auch eine starke Frau, die ihr Leben, wie auch immer, in die Hand genommen hat, und der es egal war, wenn es hieß, bei ihr würden „die Hühner über den Tisch laufen“. Am Rande der „Seufzerallee“, wie die heutige Neutorallee am Urselbach einst im Volksmund genannt wurde, sorgten Auszüge aus der Lebensgeschichte der Anna Traut für Überraschung und Neugierde, auch unter Alteingesessenen.

Glück und Unglück

Anna-Maria hieß ein Oberurseler Mädchen, das sein späteres starkes Leben einem Glücks-engel zu verdanken hatte. Als es noch lange keine Frauen in der Politik gab, aber eine Lotterie, in der 1880 ein Haufen Geld zu gewinnen war. 100 000 Goldmark bescherten Anton Deschauer und seiner Frau Anna-Maria den Wechsel vom Händlerleben in Frankfurt zum Wohnen in einer Villa mit 6000 Quadratmeter Parkgelände in Oberursel an der heutigen Füllerstraße. Genau, die Rede ist vom „Deschauer Park“ zwischen Christuskirche und Grundschule Mitte. In der Villa residiert seit Jahren die Volkshochschule, die Stadt hatte das Gelände in den späten 60er Jahren gekauft, mit der Verpflichtung auf Erhaltung des Parks.

Nur mit dem Lotteriegeld und ohne eigene Stärke hätte Anna-Maria Deschauer das Leben Ende des 19. Jahrhunderts nicht gemeistert. Mit fünf Kindern ohne Mann, der kaum ein Jahr nach Beginn des neuen Lebens bei einem Jagdunfall ums Leben kam. Vier Söhnen ermöglichte sie ein damals schon teures Studium, die Tochter bekam eine „gute Partie“. Marion Unger kann Fotos von deren Hochzeit zeigen, genau zu erkennen darauf die Villa im Hintergrund, das Eckhaus in der Körnerstraße mit dem angrenzenden Deschauer Park. Um kurz vor 11.30 Uhr läuten die Sonntagsglocken von der Christuskirche, wir ziehen weiter zu den Frauen Oberursels, die sich in der Kunstwelt verewigt haben.

Als „die Frau vom 50-Pfennig-Stück“ ist Gerda Jo Werner in die Geschichte eingegangen. Die Frau, die den Eichensetzling pflanzt, ein Symbol der neuen Kraft, ein paar Jahre nach Kriegsende in den ersten Tagen der neuen Bundesrepublik Deutschland. 1949 wurden die ersten der neuen Münzen herausgegeben. Marion Unger versucht, den Blick von den beiden Marienbrunnen an der Königsteiner Straße Richtung Stierstädter Heide zu lenken, wo Gerda Jo Werner als Malerin und Kunstlehrerin lebte und arbeitete. Sie war das Modell, ihr Mann, der Künstler Richard Martin Werner, hatte mit seinem Entwurf einen Wettbewerb der „Bank Deutscher Länder“ gewonnen, die Herausgabe der Münze hat er nicht mehr erlebt. Und von wegen Modell, „mein Mann kannte mich in- und auswendig, da musste ich nicht Modell stehen, das hat der so gemacht“, bekannte sie später. Oh, das haben einige Damen nicht gewusst, die sofort aufgeregt melden, dass Gerda Jo Werner mal ihre Kunstlehrerin war, und nette kleine Anekdoten beisteuern können. Die Ehrenmedaille der Stadt hat die Künstlerin 1996 bekommen, ihre Werke wurden auch bei einer Ausstellung in Paris gezeigt.

Cellas Blumenbilder

Aus der Position Modell hat sich auch Cella Berteneder herausgearbeitet. Für Viktor Müller in München saß sie als 19-Jährige Modell, dann bei Hans Thoma, wurde Malschülerin und dessen Ehefrau in dieser Reihenfolge. Hans Thoma, der „Altmeister der deutschen Malerei“, steht auf der Gedenktafel am Haus in der Altkönigstraße, wo Herr Thoma zwischen 1896 und 1898 die Sommerfrische zu verbringen pflegte. Cella war da längst als Malerin renommiert, ihre Blumenbilder haben gute Preise erzielt, und es gibt noch immer das Gerücht, dass einige der Blumenbilder des bekannteren Hans Thoma von ihr gemalt wurden.

Nicht weit entfernt lebte direkt an der alten Stadtmauer „An der Burg“ bis 2009 in einem kleinen Haus Inga Dilcher-Hassenstein fast fünf Jahrzehnte ein erfülltes Künstlerinnenleben, ehe sie, 101 Jahre alt, in ihrem Atelier starb. Sie war lernbegierig schon in jungen Jahren, weiß Marion Unger zu berichten, durfte aber als Mädchen kein Latein und Griechisch lernen. Ihr Vater brachte sie schließlich an einem humanistischen Knabengymnasium unter, zusammen mit einer jüdischen Freundin. Der Kunst verschrieb sie nach Studium bei Professor Burmester ihr weiteres Leben, im Stadtbild von Oberursel ist noch eines ihrer 112 verzeichneten Werke, die Figur des „Altkönig“ im Camp King unterhalb der Taunus Mountain Lodge erhalten.

Aufgrund der großen Nachfrage bietet Marion Unger am Sonntag, 30. August, um 11 Uhr die Tour „Starke Frauen“ erneut in ihrem Sommerprogramm an. Außer den hier genannten Damen kommen dabei auch starke Frauen vor, die niemals in Oberursel gewohnt haben. Etwa eine kämpferische Ursula, die mit elf Jungfrauen zum Papst reiste und die im Stadtnamen verewigt ist, und eine gewisse Else Kröner, Gründerin der Else Kröner-Fresenius-Stiftung, die medizinisch-wissenschaftliche Projekte fördert und medizinisch-humanitäre Projekte unterstützt und über ein milliardenschweres Stiftungsvermögen verfügt. Anmeldung unter Telefon 0178-1895599 oder per E-Mail an marionoberursel[at]icloud[dot]com.

Weitere Artikelbilder



X