Wenn der Wein aus dem Rheingau nach Orschel kommt

Abendstimmung auf dem Marktplatz, gechillte Atmosphäre bei Schoppen, Gesprächen und Live-Musik im Hintergrund im gleichen Modus. Foto: js

Oberursel (js). „Der Rosé ist im Abgang ein bisschen hart.“ Klare Ansage des Schankmeisters hinter dem Tresen, als die Sonne noch längst nicht untergegangen ist. Also doch erst mal einen „Riesling Basic“, da weiß man, was man hat. Muss ja nicht gleich ein Glas „Johannisberger Hölle“ sein oder ein „Winkeler Dachsberg“. Die Basisvariante des Rieslings aus den Trauben tiefwurzelnder Rebstöcke, die so schöne Weine mit mineralischer Säure hervorbringen, ist genau der richtige Start in einen langen Weinabend. So hält man es in den Weindörfern im Rheingau, wo der Riesling etwa 80 Prozent Marktanteil auf sich vereint. So geht es auch, wenn „Oberursel genießt …“ bei der inzwischen 20. Auflage des Rheingauer Weinfests im Taunus. Der Riesling Kabinett kommt dann später, aber noch vor der „Alten Rebe“. Am Ende, wenn die letzten Rieslinge und Weißburgunder ausgeschenkt werden, ist auf jeden Fall mehr Mond am Himmel über dem historischen Marktplatz als Sonne.

Der Rheingau steht für Riesling, das ist auch in Johannisberg so, wo Michael Trenz in neunter Generation das Weingut Trenz betreibt und die nächste Generation mit dem 17-jährigen Sohn schon im Starthaus steht. An den drei Tagen Rheingauer Weinfest arbeitet er im Verkaufsstand am unteren Marktplatz mit, in guten Jahren können da schon mal bis zu 1000 Flaschen über den Tresen gehen. Tendenz: Je später der Abend, desto eher steigen die Weinseligen vom Kauf eines Glases auf die Flasche um. Die Winzer wissen den Riesling als Geschenk der Erde zu schätzen, es hat ihnen Kundschaft bis in ferne Länder und Königshäuser gebracht. Auch die Oberurseler wissen diese Geschenke zu schätzen, die sie natürlich ordentlich bezahlen. Für die Weingüter sind solche Feste wichtige Werbeveranstaltungen, Michael Trenz sieht schon am frühen Freitagabend mindestens ein Dutzend Leute, die nach dem Genuss in Orschel als Käufer größerer Mengen zum Gut gekommen und inzwischen Stammgäste geworden sind.

Wen man um diese Zeit schon nicht mehr sieht, das sind die Rheingauer Weinkönigin Annika und die Oberurseler Brunnenkönigin Verena, die mit der Bürgermeisterin, wie sich das gehört, offiziell das Fest eröffnet haben. Da waren die ersten Flaschen längst geleert, wenn man so rumfragt, gehen sehr, sehr viele Stammgäste zielstrebig zuerst zu ihrem Stammwinzer, so sind die Weintrinker nämlich. Zum Trenz eben aus Johannisberg, zum Weingut Faust aus Martinsthal ein Stück weiter oben am Marktplatz, zum Weingut „Meine Freiheit“, die sind auch nicht das erste Mal dabei. Um halb neun ist noch Platz im Weingarten frei, da geht noch mehr, am Samstag sieht das schon früher anders aus. Die Live-Musik in der Akustik-Version von Tobias Wessel und Daniela Lemmer mit Musik aus sieben Jahrzehnten kommt gut, weil niemand zugedröhnt wird, es dominieren Gebrabbel, Lachen und Stimmengewirr in entspannter Atmosphäre. Lockeres Eintrinken eben auf ein dreitägiges Fest, auch der Ex-Bürgermeister Hans-Georg Brum, der so manches Weinfest eröffnet hat, tut es mit Freunden und Bekannten aus den Partnerstädten Rushmoor und Epinay, die gerne die Gelegenheit zum Besuch nutzen. Nur die Russen aus Lomonossow sind diesmal nicht dabei beim Freundschaftstreffen.

„Und, wie ist die Lage im Weinberg, Herr Trenz?“ Die Frage hört Michael Trenz oft, die Angst geht um, dass der trockene Sommer auch die Winzer zum Stöhnen bringt. Mal ist der späte Frost im Frühling ein Killer, wie etwa vor fünf Jahren. Da wurde schon drüber geredet, dass man im Weinbau neue Strategien für die Zukunft entwickeln müsse. Trenz bleibt gelassen. „Es sieht noch gut aus“, auch wenn das kostbare Gut „Trockenstress“ hat und die Trauben an einigen Stellen am „Sonnenbrand“ leiden, was zu Ertragsverlusten führt. „Die Entscheidung über die Ernte fällt in den kommenden vier bis fünf Wochen bis zur Lese“, sagt der Geschäftsführer des Weinguts. Es sei die entscheidende „Reifeperiode“, da kann ein Gewitter mit heftigem Hagelschlag viel vernichten und ein schöner ausdauernder Landregen viel Freude bereiten.

Ab dem 10. September etwa geht’s zur Ernte zwischen die Rebreihen, 80 Prozent Riesling, der Rest Burgunder, auf knapp 30 Hektar Fläche, das ist schon ganz ordentlich. Vor zwei Jahren haben sie in Johannisberg 350-jähriges Bestehen des Weinguts gefeiert, es wird auch dieses Jahr wieder gutgehen. Davon muss der Winzer überzeugt sein. „Thank God for Riesling“, ist bei einem Jungwinzer aus Hochheim vor ein paar Jahren zur Devise geworden, der als Shooting-Star der Szene gilt. „We love Riesling“ steht bei Michael Trenz und seiner Lebensgefährtin Susanne auf der Brust. Das Lied vom „Summerwine“, mit sanfter Frauenstimme gesungen, weht von der kleinen Bühne herüber, der letzte „ehrliche Brutalo-Riesling“, so eine Oberurseler Weinkennerin, ist da noch längst nicht getrunken.

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