Der Höhepunkt folgt am Kerbe-Montag

Von Bernd Ehmler

Oberursel. Wenn Kerb in Stierstadt gefeiert wird, dann herrscht vier Tage Ausnahmezustand. Wie es aussieht, befindet sich ein Großteil der Bewohner des Oberurseler Stadtteils im Festzelt. Nicht nur, weil es dort an allen Kerbetagen Livemusik und ein buntes Programm gibt, sondern in diesem Jahr auch deshalb, weil die Zeltkerb zum 50. Mal gefeiert wurde.

Los ging’s am Freitagabend im Festzelt mit der Sechs-Mann-Band „CNO“, die genau das richtige Gefühl dafür bewies, mit welchen Songs das Publikum angesprochen wird. So heizte „CNO“ den Massen zum Auftakt mit den angesagtesten Pop- und Rock-Songs der vergangenen Jahre ein.

Am Samstag war mit dem Festumzug die Taunussraße hinunter zum Festplatz und mit dem Fassanstich die offzielle Eröffnung. Ausgelassen war die Stimmung, als die Kerbeburschen mit der „Wutzefahne“ ins Festzelt einzogen. Stierstadts Ortsvorsteher Ludwig Reuscher schlug das Bierfass an, Brunnenmeister Ma- thias das Apfelweinfass. Mit dabei waren Bürgermeister Hans Georg Brum, Brunnenkönigin Pia I. und Ex-Graf Mirko. Das Blasorchester des TV Stierstadt heizte die Stimmung an, während die Fässer geleert wurden.

„Let the Butterfly“ machte abends die Stierstädter im Festzelt „atemlos“. Mit Chartkrachern von Helene Fischer, Pink und Bruno Mars gaben sie auch Klassiker von Tina Turner, Bon Jovi oder AC/DC zum Besten.

Der Kerbesonntag ist der Tag für Familien mit Kindern. Mit dem Kinderparadies und der Kinderdisco im Festzelt wurde vom diesjährigen Veranstalter der Kerb, dem Turnverein 1891 Stierstadt, den kleinen Besuchern ein Lächeln geschenkt. Abends haben die „Polka Rocker“ im Festzelt Lebensfreude versprüht. Die Band kam im Auftrag der guten Stimmung ins Festzelt, und ihre Liedtexte sind ein bunter Mundart- und Sprachen-Mix.

Tarzan und Wolle auf der Bühne

Am Montags herrscht im Festzelt traditionell die absolute Ausnahmestimmung. Dann findet der traditionelle und über die Ortsgrenzen hinaus bekannte Frühschoppen statt. Auf dem „Bembel Broadway“ – der Bühne – wurde ein buntes Programm geboten, das ganz im Zeichen des Jubiläums des Turnvereins Stierstadt stand. So boten unter anderem Kinder einen Auftritt unter dem Titel „König der Löwen“ an, „Tarzan und Jane“ schwangen sich über die Bühne, „fünf Jahre später“ saß Tarzan jedoch im Sessel, trank eine Flasche Bier und knabberte Chips, während Jane ihn zu anderen Aktivitäten aufmunterte. Auch „Wolfgang ‚Wolle‘ Petry“ trat auf, und das ganze Festzelt sang „Hölle, Hölle, Hölle“ mit. Auch in 1001 Nacht wurden die Kerbebesucher entführt, als orientalisch gekleidete Tänzerinnen über die Bühne schwebten.

Höhepunkt ist dann, wenn die Kerbeburschen mit dem Einmarsch des „Grafen von Luxemburg“ die Tradition in lebhafte Erinnerung rufen. Denn zu einer Zeit, als die Kaufleute und Händler noch mit Pferden und Kutschen in die großen Städte reisten, um ihre Handelsgeschäfte zu erledigen, machte sich der reiche Kaufmann Graf von Luxemburg auf, um Geld im fernen Frankfurt zu verdienen. Er nutzte die mittelalterliche Handelsstraße von Köln in den Süden. Es war Sommer, das Wetter schön und er der anstehenden Geschäfte wegen guter Dinge. So zog er durch das Land in Richtung Frankfurt. Unterwegs geriet er jedoch in ein heftiges Unwetter, das ihn kurz vor dem Ziel vom richtigen Weg abkommen ließ. So kam er von der Handelsstraße ab, der er eigentlich folgen wollte, und landete in einem kleinen, verträumten Ort namens Stierstadt.

Hängen geblieben in Stierstadt

Die Bürger begrüßten ihn, wie auch heute noch üblich, gastfreundlich, und da ihm der Ort gefiel, beschloss der edle Herr aus dem fernen Luxemburg, dort zu übernachten, um am nächsten Tag bei besserem Wetter weiterzureisen. In Stierstadt liefen indessen die letzten Vorbereitungen für ein großes Fest, und als die Leute sich nach getaner Arbeit zusammensetzten, gesellte er sich dazu, trank und sang mit ihnen. Zu später Stunde – es war Donnerstag – machte er mit den Männern das eine oder andere Spielchen, bei dem das Glück ihm nicht immer hold war, doch wurde kräftig getrunken, gegessen und gesungen.

Dieser Abend gefiel dem Grafen so gut, dass er noch drei weitere Tage in Stierstadt blieb und mit den Einheimischen ihr Fest feierte, wobei er sein ganzes Hab und Gut, mit dem er in Frankfurt Geschäfte machen wollte verjubelte. Und als er kein Geld mehr hatte, versetzte er auch noch, um weiter mitfeiern zu können seine edlen Grafengewänder, und zwar alles, bis auf seine Unterhose.

Diese Begebenheit wird noch heute von den Stierstädter Kerbeburschen am Kerbemontag im Festzelt in Form des „Graf von Luxemburg“ in lebhafte Erinnerung gerufen und bildet einen wichtigen Teil in der Stiertädter Kerbetradition.

Apropos Tradition: Auch einige Kerbeburchen von 1969 – damals war die letzte Saalkerb – zogen mit der Original-Fahne ein und wurden auf der Bühne lautstark begrüßt. 1970 konnte die Kerb nicht mehr im Saal Krämer gefeiert werden. Diese Absage nahm der Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr Stierstadtzum Anlass, die Kerb 1970 mit einem kleinen Zelt auf dem ehemaligen Schul- beziehungsweise Rathaushof zu versuchen. Nachdem das gut gelaufen war, wurde die Kerb bis 1972 vom Musikzug der Feuerwehr veranstaltet.

Bis 2001 wurde traten vier Vereine im jährlichen Wechsel als Veranstalter der Kerb auf. Der Kleintierzuchtverein ist nach 2001 als Veranstalter ausgestiegen. Somit ging es mit drei Vereinen im Wechsel weiter. Zur Unterstützung Vereine und zum Erhalt der Stierstädter Kerb hat sich 2017 der Kerbe- und Brauchtumsverein gegründet und auch gleich die Kerb erfolgreich organisiert. 2018 war die Stierstädter Feuerwehr wieder an der Reihe und in diesem Jahr der Turnverein Stierstadt.

Offizielle Kerbeburschen mit einem Kerbepaar gab es wieder ab 1980. Somit in diesem Jahr zum 30. Mal. Den „Graf von Luxemburg“ gibt es seit Anfang der 1970er-Jahre.

Immer neue Höhepunkte

Im Kerbemontagsprogramm, das vom jeweiligen Ausrichter mit großem Aufwand zur Unterhaltung der Gäste aufgeboten wird, wurde unter anderem auch schon Hantel- und Gickelkastenstemmen aufgeführt. Das erste Hantelstemmen gewann 1973 im Zelt auf dem Schulhof Paul Heinrich aus der Schulzengasse und 1974 der Heizungsbauer Norbert Brötz jeweils gegen oberarmstarke Konkurrenz. 1984 sind auch die Hochradartisten des RV Stierstadt auf der Bühne aufgetreten. Ab 1985 hat über einige Jahre der Lauftreff des Turnvereins am Sonntagmorgen im Zelt seine Siegerehrung vorgenommen. 1996 durfte der damalige Ortsvorsteher Paul Gerecht auf einem Brauereipferd der Binding-Brauerei ins Zelt einreiten.

Zu jeder Kerb gehört ein Weinstand, in dem auch mal ein Originaltrabbi aus der ehemaligen DDR hing. Jedes Jahr haben sich die Veranstalter etwas Neues einfallen lassen um den Weinstand, der heute eine Cocktailbar ist, besonders zu gestalten.

Großartig ist die Stimmung, als die Kerbeburschen mit der „Wutzefahne“ ins Festzelt einziehen. Stadtverordnetenvorsteher Gerd Krämer schaut sich die Fahne genau an, während Bürgermeister Hans-Georg Brum (vorne l.) die Kerbeburschen herbeiklatscht. Foto: Ehmler

Die „Aladdin“-Tänzerinnen kommen durch alle Zugänge ins Festzelt, um mit ihren Tänzen auf der Bühne die Kerbebesucher zu begeistern. Foto: Ehmler

Ex-Graf Mirko, Brunnenkönigin Pia I., Brunnenmeister Mathias, Bürgermeister Hans-Georg Brum und Ortsvorsteher Ludwig Reuscher (v. l.) freuen sich auf den ersten Schluck. Foto: eh

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