75 Jahre Europa im Kopf: Europa Union feiert Geburtstag

Manfred Kopp hat das Beweisstück zu seinem Vortrag mitgebracht. Foto: bg

Hochtaunus (bg). Ein geeintes Europa, das war die Vision und der Traum der jungen Generation, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs miterlebt und überlebt hatte. Sie dachte nach vorn, wollte mit aller Macht ein solches Inferno auf dem europäischen Kontinent nie mehr erleben. Sie träumte von einem geeinten Europa ohne Grenzen, um zukünftige Kriege zu verhindern. Im ehemaligen Obertaunus-Kreis hatte sich bereits im Juli 1947 eine Arbeitsgruppe der „Europa Union Obertaunus“ gebildet. Als Teil eines bis heute aktiven pro-europäischen Verbands, dem bundesweit über 17 000 Mitglieder angehören. Der Kreisverband Hochtaunus der Europa Union Deutschland konnte nun sein 75-jähriges Bestehen feiern. Aus diesem Anlass hatte die engagierte Vorsitzende Hildegard Klär eine Feier auf die Beine gestellt, die auf große Resonanz stieß.

Der Sitzungssaal im Oberurseler Rathaus war prall gefüllt. Aus dem gesamten Hochtaunuskreis waren Gäste gekommen, alles bekennende Europäer, von denen sich viele im Kreistag oder in den Stadt- und Gemeindeparlamenten für die europäische Idee einsetzen, quer durch alle Parteien. Wie schon die Gründer, zu denen damals bekannte Persönlichkeiten aus vielen Städten des Kreises, darunter aus Bad Homburg Dr. Georg Eberlein und Wilhelm Wollenberg aus Oberursel, gehörten. Hier lebte damals auch Eugen Kogon, der Verfasser des wichtigen Standardwerks „Der SS-Staat“. Er wurde zum Vorsitzenden der im Dezember 1946 in Syke bei Bremen gegründeten Europa Union gewählt.

„Die Anfänge der Europa Union waren nicht einfach“, betonte Hildegard Klär. Aber Oberursel habe immer ein gewichtiges Wort mitgeredet. Sie freute sich über zahlreiche Ehrengäste, darunter Oberursel Bürgermeisterin Antje Runge, Kreistagsvorsitzender Renzo Sechi und der hessische Landesvorsitzende der Europa Union, Thomas Mann. Alle unterstrichen die Bedeutung der Europa Union. Nach den schrecklichen Kriegserfahrungen auf Völkerverständigung zu setzen, sei ein Grundpfeiler für die lange Friedensdekade in Europa, betonte Runge. Sechi überbrachte die Grüße von Landrat Ulrich Krebs, Erstem Kreisbeigeordnetem Thorsten Schorr und Kreisbeigeordneter Katrin Hechler. Der überzeugte Europäer Sechi verwies auf seine italienischen Wurzeln als Beispiel für eine gelebte europäische Integration. „Europa war für viele Menschen immer weit weg. Durch den Aggressor Putin haben jetzt viele kapiert, wie wichtig Europa ist, es geht nur gemeinsam“, stellte Thomas Mann in seinem engagierten Statement fest.

Bereits 1945 wurde die Vision von Europa in Oberursel mit Herzblut gelebt. Der Lokalhistoriker Manfred Kopp blätterte mit seinem fesselnden Vortrag ein fast vergessenes Kapital in der Oberurseler Nachkriegsgeschichte auf. Er begann mit einem Hinweis auf die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“, die ihren Sitz in Berlin hat. Ihre Anfänge liegen im Jahr 1945. Da gründet Wilhelm Cornides – er war gerade 25 Jahre alt – eine Zeitschrift, das „Europa-Archiv“, in Oberursel. Nicht weit vom Tagungsraum im Rathaus entfernt in der Gartenstraße 12, der heutigen Korfstraße. Gedruckt wurde die Zeitschrift gleich gegenüber in der Druckerei Berlebach. In einem Lagerraum über einer Schreinerwerkstatt nahmen die ersten Mitarbeiter die Arbeit auf. Die Anfänge waren mühselig, es mangelte an Papier, an Strom und Glühbirnen. Das Anliegen von Wilhelm Cornides, des Chefredakteurs Hermann Volle und der 37 Angestellten war es, „eine weltweit führende Quelle für unabhängige Analyse, Informationsaustausch und einflussreiche Ideen zu der Frage zu sein, wie eine blühende und sichere Welt aufzubauen sei“. Der Ehrenbürger der Stadt Oberursel hatte den Sammelband des ersten Jahrgangs, 860 Seiten in Folio, Auflage zuletzt 12 000 Exemplare, als Anschauungsmaterial mitgebracht.

Von Visionären der ersten Stunde, die noch zu Kriegszeiten von einem geeinten Europa ohne Grenzen nicht nur träumten, sondern Pläne entwarfen, berichtete Christoph Kopper in seinem Vortrag. Der Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Bielefeld spann einen breiten Bogen über die historische Entstehung der Europäischen Union als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg. Ursprünglich als Bewegung von jungen Leuten ins Leben gerufen, die für ihre Ideen auch Schlagbäume aus den Angeln hoben, erfolgte die Einigung von Europa durch Staatsverträge. Er erinnerte an den überzeugten Europäer Robert Schumann und seine Mitstreiter. Zum geeinten Europa, der EU, dem einzigartigen wirtschaftlichen und politischen Zusammenschluss von heute 27 Mitgliedstaaten, war es ein weiter Weg. Kenntnisreich referierte er von den ersten Anfängen der Montan-Union 1950 über die Gründung der EWG mit den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und Deutschland bis zum Vertrag von Maastricht 1992. Er stellte den größten Schritt der europäischen Integration seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft EG dar. Beim anschließenden Umtrunk wurden viele Gespräche geführt und Kontakte geknüpft.

!Über die Gründung des Europa-Archivs hat Manfred Kopp unter dem Titel „Europa in der Oberurseler Gartenstraße“ 2013 im Jahrbuch des Hochtaunuskreises, 21. Jahrgang, einen ausführlichen Artikel veröffentlicht.



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