Ambulante Ethikberatung nimmt ihre Arbeit auf

Ethikberater aus dem Team stellen sich den Fragen der Interessierten (v. l.): Pfarrer Dr. Jürgen Büchsel, Dr. Robert Gaertner, die Pflegefachkräfte Erika Stolze und Beate Mink und die Ärzte Dr. Peter Oldorf und Dr. Sabine Gerlach-Lüdeke. Foto: a.ber

Hochtaunus (a.ber). Tod und Sterben, aber auch die Gestaltung von schwierigen Lebenssituationen im Alter sind in vielen Familien immer noch ein Tabu-Thema. Dass Ärzte, Pflegepersonal und Angehörige oft vor komplexen Problemen stehen, wurde bei der Feierstunde zur Einführung der „Ambulanten Ethikberatung im Hochtaunuskreis“ im Landratsamt deutlich. Mit 13 ehrenamtlichen Ethikberatern, die jetzt ihre Ausbildung zur Beratung abschließen, hat der Hochtaunuskreis nun ein Team, das bei Bedarf Angehörige, Pflegepersonal, Ärzte und auch die betroffenen Menschen selbst an einen Tisch bringt, um anstehende Probleme im Sinne einer positiven und menschlichen Art zu lösen.

„Die Ethikberatung ist ein Puzzlestück, das uns für kranke und alte Menschen und ihre Angehörigen noch gefehlt hat“, lobte Kreis-Sozialdezernentin Katrin Hechler die Gründung der Ambulanten Ethikberatung. Wie Privatdozentin Dr. Carola Seifart von der Uniklinik Marburg in einem Vortrag deutlich machte, gibt es den Gedanken der ethischen Beratung im Alters- und Krankheitsfall und beim Sterbeprozess schon seit Langem. Die konfessionellen Krankenhäuser haben bereits seit Jahrzehnten entsprechende Teams geschult, die beratend zur Seite stehen.

2012 schrieb das Hessische Krankenhausgesetz schließlich vor, dass jedes Krankenhaus eine Ethikberatung etablieren solle, die mit Standards und mit Zertifizierung versehen sein muss. So könnten Konflikte innerhalb der Familien und zwischen Ärzten, Betroffenen und Angehörigen aufgearbeitet und gelöst werden, sagte Carola Seifart. Am Beispiel eines 89-jährigen alleinlebenden Mannes, der auf Drängen der Angehörigen in ein Pflegeheim überwiesen wurde, weil er vermutlich suizidgefährdet sei, erläuterte die Medizinerin die vielen Konfliktpunkte, die für Familie, Pflegepersonal und betreuende Ärzte auftreten können.

Gespräch mit allen Beteiligten

Die Ethikberatung im Hochtaunuskreis kann in Zukunft innerhalb von 48 Stunden nach Eingang einer Anfrage eine ethische Fallbesprechung anberaumen. Das Team, das aus Ehrenamtlichen besteht und der Schweigepflicht unterliegt, kommt für die Beratung an einen Ort, den die Angehörigen wünschen: Sei es, um das weitere Vorgehen im Konfliktfall mit einem Schwerkranken oder Sterbenden zu erörtern oder beratend zur Seite zu stehen, wenn die Lebenssituation eines alten Menschen erörtert werden muss. Ein Gespräch mit allen Beteiligten – auch dem Betroffenen selbst – dauert etwa 30 bis 60 Minuten. Dabei werden, so Seifart, Fakten zusammengetragen, ethische Probleme des Falls erörtert, und es ist Raum gegeben für jeden, zu Wort zu kommen. Schließlich soll ein Konsens unter allen Beteiligten angestrebt werden. Sechs der jetzt ausgebildeten Ethikberater erläuterten anschließend ihre Motivation und stellten sich Fragen der zahlreich erschienenen Interessierten. „Es gab bisher in Kliniken viele einsame Entscheidungen von Ärzten – wir Mediziner haben oft das Problem, dass wir das Sterben nicht zulassen wollen und immer noch nach einer medizinischen Behandlung suchen“, sagte der ehemalige Chirurg Peter Oldorf, der die Ethikberatung im Hochtaunuskreis mitbegründet hat. „Der Arzt hat oft nicht die sozialen, familiären oder religiösen Aspekte um das Sterben eines Menschen im Auge“, so Oldorf.

Hilflosigkeit der Angehörigen

Dass eine alle Beteiligten zusammenführende Beratung auch für den Arzt erleichternd sei, stellte die Ärztin Dr. Sabine Gerlach-Lüdeke dar. Dabei wurde deutlich, wie wichtig eine vorhandene Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind. Auch das pflegende Personal von Seniorenheimen und in Krankenhäusern werde durch die Ethikberatung entlastet, sagten die beiden Pflegefachkräfte Beate Mink und Erika Stolze, die im stationären Pflegeheim und in der ambulanten Pflege tätig sind. „Pflegekräfte erleben oft die Hilflosigkeit von Angehörigen am Sterbebett.“ Bevor man jedoch den Rettungswagen ruft und den Sterbenskranken ins Krankenhaus bringen lässt, sollte es „um der Menschenwürde willen“ eine ambulante Fallbesprechung mit Hilfe des Ethikteams geben, so Mink.

Dass eine „gute und behutsame Beratung“ im Konfliktfall viel bewirken könne, darin stimmten Dr. Robert Gaertner vom Palliativteam Hochtaunus und Pfarrer Dr. Jürgen Büchsel überein, die beide ebenfalls zum neuen Ethikteam gehören. „Wir helfen, die medizinischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Alten, Kranken und Sterbenden wahrzunehmen“, erläuterte Pfarrer Büchsel. Tiefergehende Fragen an das Ethikteam zu Biografiearbeit, Fragen von Schuld und Angst, zu Suizid-Gedanken, über die Möglichkeiten einer Hospiz-Betreuung im Sterbefall und die Verantwortung der Angehörigen sowie den Willen der betroffenen alten und kranken Menschen führten in ein intensives Gespräch.

!Wer die kostenlose Ethikberatung im Hochtaunuskreis in Anspruch nehmen möchte, die von speziell fortgebildeten Ärzten, Pflegekräften, Seelsorgern und Sozialarbeitern angeboten wird, kann eine Anfrage per E-Mail an ethikberatung[at]hochtaunuskreis[dot]de senden oder unter Telefon 06172-9995171 (oder -5172 sowie -5100) Kontakt aufnehmen. Die Anschrift lautet: Ambulante Ethikberatung c/o Pflegestützpunkt, Ludwig-Erhard-Anlage 1-5, 61352 Bad Homburg.



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