Hedayatullah Mohammadis langer Weg in die Normalität

Schuhmachermeister Hedayatullah Mohammadi hat sich 2017 in Sachsenhausen mit seinem Geschäft „Hedy Schuhmacherei“ selbstständig gemacht. Foto: fch

Hochtaunus (fch). Am 20. Juni wird jedes Jahr seit 2001 der Weltflüchtlingstag begangen. In rund 100 Ländern finden Veranstaltungen statt, bei denen die Teilnehmer ihre Solidarität mit Flüchtlingen zum Ausdruck bringen. Und sich für die Ziele „bessere Lebensbedingungen für die Betroffenen und ein bestmögliches Zusammenleben von Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung“ des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) einsetzen.

Seit Jahren steigen weltweit die Zahlen flüchtender Menschen an. Jede Minute lassen 20 Menschen auf der Welt alles zurück, um vor Krieg, Verfolgung und Terror zu fliehen. Sie suchen einen sicheren Zufluchtsort für sich und ihre Kinder, beantragen häufig in anderen Ländern Asyl. Die Hälfte aller Flüchtlinge kommt derzeit aus fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Süd Sudan, Myanmar und Somalia. Zu den Millionen von Menschen, die gezwungen sind und waren, ihre Heimat zu verlassen, gehört Hedayatullah Mohammadi aus Afghanistan. Seine Geschichte zeigt zum Weltflüchtlingstag einen der Menschen, die hinter diesen Zahlen stecken.

Hedayatullah Mohammadi, der sich Hedy nennt, ist 2008 aus der Stadt Herat im Westen Afghanistans geflohen. In seiner Heimat tobt seit mehr als 40 Jahren Krieg. Ein Frieden ist nicht in Sicht, dafür sind Warlords und selbsternannte Gotteskrieger auf dem Vormarsch. Vor seiner Flucht war der damals 17-Jährige von Unbekannten gekidnappt worden. Während seiner Gefangenschaft wurde er misshandelt. Davon zeugen bis heute Narben an Kopf und Körper, die von Glasscherben stammen. „Ich habe nur überlebt, weil mein Vater viel Lösegeld, insgesamt 10 000 Dollar, an die Entführer zahlte“, berichtet der heute 28-Jährige. Wieder in Freiheit, entschied er sich zur Flucht. Zuerst zu Fuß machte sich der Teenager über die Berge auf den Weg und dann mit dem Schiff über das Meer. Sein Weg führte ihn von der Türkei nach Griechenland und dann weiter nach Deutschland.

Nach einem Jahr allein auf der Flucht kam Hedayatullah Mohammadi 2009 im Hochtaunuskreis an. Hier fand er im Asylheim in Oberursel eine Unterkunft und Hilfe. „Ich sprach bei meiner Ankunft kein Wort Deutsch, konnte nur Englisch“, berichtet er. Trotz vieler Schwierigkeiten lernte er zielstrebig die deutsche Sprache. „Anfangs war es für mich in Deutschland schwer, weil ich die Sprache nicht konnte und die Kultur nicht kannte. Schnell habe ich erkannt, dass ich Deutsch lernen muss, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Je besser ich Deutsch gesprochen habe, desto einfacher wurde alles.“ Er suchte und fand Kontakt mit Deutschen. „Ich habe viele deutsche Freunde. Durch sie habe ich oft Deutsch gesprochen, um die Sprache besser zu lernen und zu verstehen. Sprache ist wichtig für Kommunikation, Ausbildung, Beruf und Integration.“

Der Jugendliche besuchte die Hochtaunusschule in Oberursel und machte dort seinen Hauptschulabschluss. Im Februar 2009 lernte Hedayatullah Mohammadi im Asylheim Michael Dillmann vom AK Asyl Bad Homburg kennen, der im Rahmen seiner Flüchtlingsarbeit den damals 17-jährigen Geflüchteten betreute. Er begleitete ihn auf allen Etappen seines mühsamen, mit vielen Problemen beschwerten Wegs. Und machte ihn mit Sozialberater Thomas Sochor vom Jugendmigrationsdienst (JMD) Hochtaunuskreis/Bad Homburg in Friedrichsdorf bekannt. Dieser berät im Auftrag des Internationalen Bundes (IB) junge Migranten über ihre Möglichkeiten in Deutschland. Er hilft Hedy bei der Suche nach einer Lehrstelle als Schuhmacher. In seiner Heimat hatte Hedy davon geträumt, Architektur zu studieren. Jetzt interessierte er sich für eine Ausbildung im soliden Handwerksberuf.

Mit Hilfe von Thomas Sochor findet der junge Mann eine Lehrstelle in einem alteingesessenen Frankfurter Betrieb. Nach drei Jahren hält Hedy seinen Gesellenbrief in den Händen. Der junge Mann ist stolz und ehrgeizig zugleich. „Ich wollte mehr, ich wollte meinen Meister machen.“ Gesagt, getan. Er arbeitete als Geselle und sparte eisern Geld, um zwei Jahre lang nebenberuflich die Meisterschule besuchen zu können. 2017 erfüllte sich der junge Meister seinen Traum. Er eröffnete mitten im Kneipenviertel von Sachsenhausen, in der Wallstraße, sein Geschäft für fachmännische Schuhreparatur, Maßanfertigung und Maßkonfektion. In „Hedy Schuhmacherei“ können Kunden auch Ledertaschen und -gürtel für Damen und Herren erwerben. Um ein Paar Maßschuhe anzufertigen, benötigt der Meister zwischen 40 und 80 Stunden. Inzwischen bildet er einen seiner jüngeren Brüder im zweiten Jahr aus, und 2021 beginnt eine junge Deutsche beim ihm ihre Ausbildung. Der Meister will die beiden auch nach ihrer Lehrer weiterbeschäftigen und plant deshalb, seine Firma um eine Filiale zu vergrößern.

Die ganze Familie in Sicherheit

„Wer will, fleißig und aktiv ist und ein Ziel hat, kann hier etwas erreichen, man wird unterstützt“, sagt Hedy. Er hat es trotz seiner teilweise traumatischen Erlebnisse geschafft, sich ein Stück Normalität und einen geregelten Alltag aufzubauen. Zwei seiner Brüder sind seit 2016 in Deutschland. Der eine macht in Kürze seine Zwischenprüfung als Schumacher, der andere studiert in Frankfurt. Ein weiterer Bruder und seine drei Schwestern haben in anderen europäischen Ländern Zuflucht gefunden. Seine Eltern sind vor Terror und Gewalt aus Afghanistan in den Iran geflohen. Alle genießen in ihren Zufluchtsländern Freiheit und Sicherheit.

Hedy hat sein Geschäft zwar in Frankfurt, wohnt aber weiter in Oberursel. „Es ist für mich die beste Stadt.“ Inzwischen hat er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Er hofft, sie im September zu bekommen, um dann endgültig in der neuen Heimat angekommen zu sein.



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