Kanonenstraße versuchsweise für Motorradfahrer gesperrt

Rick Anderson ist in voller Kluft mit seiner Maschine aus Fulda angereist, um für die Seite der „Guten“ zu werben. Foto: Streicher

Hochtaunus (how). Im Mai und im September müssen Motorradfahrer vorübergehend draußen bleiben. Eine Zufahrt zum Feldberggebiet von Oberursel aus über die „Kanonenstraße“ und von Schmitten sowie von Oberreifenberg aus wird dann nicht möglich sein. Gesperrt sind Teilstücke der Landesstraßen, die auf den höchsten Gipfel des Taunus führen, für jeweils neun Tage und je zwei Wochenenden hinweg. Höchststrafe für die Biker, die in diesen Wochen zu Tausenden möglichst schnell nach oben streben und meist ebenso schnell nach unten, Labsal möglicherweise für die Anwohner der betreffenden Straßen. Der Hochtaunuskreis als Straßenverkehrsbehörde erhofft sich wichtige Erkenntnisse durch die genaue Beobachtung des Verkehrs während der Verbotszeiten für Motorradfahrer.

Rick Anderson gehört zu den Bikern, die dafür bestraft werden, dass sich eine deutliche Minderheit unter den Motorradfahrern nicht benehmen kann und sich nicht an die Regeln hält. Ein Biker von der kernigen Sorte, mit einer entsprechenden Kluft und einer imposanten 1800er Intruder von Suzuki unter dem Hintern, mit der man auch ordentlich Gas geben kann. Rick Anderson aus Fulda hat auf seiner Flicken-Kutte mit Aufnähern von legendären Biker-Treffen und den Todesdaten von auf der Piste gestorbenen Kumpels aber auch den Spruch „Echte Männer rasen nicht“ stehen. Jedenfalls nicht so, wie diejenigen, die mit „274 Kilometern pro Stunde über die Kanonenstraße brettern“, wie es Peter Riegel von der Straßenverkehrsbehörde des Kreises bei der Erläuterung der nun beschlossenen „Versuchssperrungen im Feldberggebiet“ ausdrückt. Rick Anderson ist auch kein „Knieschleifer“, der Funken sprühend nahezu waagrecht liegend durch die „Applauskurve“ zwischen Hohemark und Sandplacken zieht. Biker wie er fühlen sich kollektiv bestraft für den Unfug einer Minderheit, vergleichbar etwa mit den Pyromanen im Stadion der Eintracht, die dafür sorgen, dass Tausende beim nächsten Spiel ausgesperrt werden.

Die Bekanntgabe der zeitlich begrenzten Sperrungen der unter Motorradfahrern beliebten Strecken bei einer Pressekonferenz am Dienstag hat für die erwartete Resonanz gesorgt. Funk und Fernsehen, zahlreiche Medien, Vertreter von Motorradverbänden und der Biker-Union, Landrat, Polizeisprecher, Bürgermeister der betroffenen Kommunen, Hessen Mobil, das Verkehrsministerium und Männer wie Rick Anderson wollten Einzelheiten über die Begründung und die erhoffte Sinnhaftigkeit des Fahrverbots für die schnellen Zweiräder erfahren.

„Die Versuchssperrung ist ergebnisoffen“, sagte Landrat Ulrich Krebs gleich zu Beginn, der Satz wurde zum Mantra von allen, deren Fachkompetenz in der Sache gefragt war. Im Winter wollen sie gemeinsam mit Umweltverbänden wie der Feldberginitiative die zusammengetragenen Daten auswerten und analysieren und eventuelle weitere verkehrsrechtliche Maßnahmen diskutieren.

Das Pilotprojekt im Hessenland beginnt am Samstag, 11. Mai, um Mitternacht und endet in der ersten Phase am Sonntag, 19. Mai, um 24 Uhr. Wiederholt wird das Experiment über den gleichen Zeitraum von neun Tagen zwischen dem 7. und 15. September. Ferien und Feiertage sollten bewusst außen vor bleiben, über die ausgewählten Zeiträume erwartet man ein vernünftiges statistisches Mittel von Fahrzeugen aller Art im Untersuchungsgebiet. Die Erfassung der Verkehrsdaten mit und ohne Sperrung wird jeweils über vier Wochen laufen mit Tagen vor und nach der Sperrzeit. Hessen Mobil wird die Daten an voraussichtlich zehn Stellen mit in Leitpfosten integrierten Messeinheiten auf Basis von Radartechnik erfassen. „Es wird nur eine Zählung sein, keine Überwachung“, versichert Alexander Pilz von Hessen Mobil. Dazu komme eine begleitende Lärmmessung, Daten sollen auch an den Ausweichstrecken erfasst werden.

Allzuoft hatte die so genannte „Kanonenstraße“ von der Hohemark in Oberursel Nord über den Berg rüber nach Schmitten (L 3004) in den vergangenen Jahren ihrem Namen zu viel Ehre verschafft. Zum „Hot-Spot“ bei den Unfallzahlen sei das Feldberggebiet geworden, so Peter Riegel, „massiert auf der Kanonenstraße“.

Von der „Rennstrecke“ ist immer wieder die Rede, die Motorradfahrer weit über die Grenzen der Region hinaus anziehe. Die A661 von der A5 aus kommend bietet die perfekte Anbindung, auch da kann man auf Teilstücken schon mal richtig beschleunigen. Auch die „Applauskurve“ hat ihren Namen nicht einfach so bekommen, hier misst sich die Biker-Szene der besonderen Art bei abenteuerlichen Kurvenfahrten. In Pressemitteilungen der Polizei zu Unfällen im Hochtaunuskreis steigt die Zahl der Meldungen in den warmen Monaten sprunghaft an. Die notierten Unfallfahrten sprechen für sich und oft gegen die auf dem flotten Gerät.

In den vergangenen vier Jahren wurden 154 Zweiradunfälle registriert, fünf Biker verloren ihr Leben, 137 Schwer- und Leichtverletzte wurden in Kliniken gebracht, in harten Fällen mit dem Hubschrauber geflogen. Vom „hohen Konfliktpotenzial“ bei der Begegnung mit anderen Verkehrsteilnehmern oder mit Fußgängern, die einfach nur Ruhe und Natur im Naturpark Taunus genießen wollen, ist beim Pressegespräch immer wieder die Rede.

Der nun angekündigten Versuchssperrung gingen viele Versuche voraus, mit straßenbaulichen Veränderungen wie Rüttelstreifen, Geschwindigkeitsbegrenzungen und zuletzt 2016 der Sperrung von bei Kradfahrern beliebten Parkplätzen wie etwa an der „Applauskurve“ die „unbefriedigende verkehrliche Situation am Feldberg“, so die offizielle Lesart, zu entschärfen.

Das Problem ließ sich nicht lösen, hinzu kamen zuletzt massive Proteste von Anliegern, die ob der steigenden Lärmbelastung mit dem Kadi drohten. „Wir müssen eine Balance finden zwischen dem Freizeitbedürfnis der Motorradfahrer auf der einen Seite und dem Bedürfnis nach Ruhe und Natur vieler anderer, die den Feldberg besuchen“, sagt Landrat Krebs.

!Die Sperrungen betreffen die L3004 ab Ortsschild Oberursel an der Hohemark bis Ortsschild Schmitten, die L3024 ab Sandplacken bis kurz vor der Feldberg-Zufahrt und die L3276 zwischen Sandplacken und Oberreifenberg. Das Feldberg-Plateau, der absolute Biker-Treffpunkt, ist aber nicht komplett gesperrt. Er ist über beschilderte Umleitungsstrecken von der Hohemark über Königstein (B455), weiter zum Eselsheck (B8) und das Rote Kreuz L3025 zu erreichen. Eine weitere Umleitungsstrecke führt von Schmitten über das Rote Kreuz zum Höhepunkt der Gipfelfahrt.



X