Tanzen in Rom oder rund um Bibis Blocksberg

Die Tanzlehrerinnen Lisa Wurm (l.) und Sanja Budimir vor dem Greenscreen der Tanzschule Pritzer. Für den Betrachter stehen sie vor einem Frühlingsbild. Foto: Pritzer

Hochtaunus (pit). Karabey, Pritzer und Taktgefühl – drei unterschiedliche Namen, die in der Region für ein und den selben Sport stehen: das Tanzen. Und auch wenn sie den gleichen Beruf ausüben, so begegnen sie den Auswirkungen des Lockdowns auf ganz unterschiedliche Weise. „Es ist schwierig“, sagt Rüstem Karabey, dessen Schule seit 1988 in Bad Homburg ansässig ist. Gesellschaftstanz und Tanzsport wird hier groß geschrieben, aber die Geselligkeit ist, wie bei Gastronomen, Hoteliers und vielen anderen Betrieben, komplett auf Eis gelegt. „Wir haben unsere Kunden gefragt, ob für sie ein Online-Angebot in Frage kommt, doch sie möchten lieber warten“, berichtet Karabey. Trotzdem haben die Tanzlehrer ihnen kostenfrei Videos zur Verfügung gestellt, damit sie weiter üben können.

Ihm und seinem Sohn Sascha sind die von der Regierung pauschal ergriffenen Maßnahmen jedoch nicht ganz schlüssig, denn ihre Schule sei technisch auf dem neuesten Stand. Die Räumlichkeiten lassen es zu, dass Besucher per Rundgang von der Eingangstür in alle Säle und dann wieder zu einer anderen Tür hinausgehen können. Außerdem wurden überall Desinfektionsmittel installiert, alle Säle haben darüber hinaus viele Fenster und Türen, so dass großzügiges Stoßlüften überhaupt kein Problem ist, die Lüftungsanlage kann obendrein einen 16-fachen Austausch pro Stunde leisten, aber ihre Turbinen stehen still. Zwar können einzelne Paare trainieren, sofern erlaubt finden auch Einzelstunden statt, Kosten können damit allerdings kaum gedeckt werden. „Wir haben zwar den Vorteil, dass das Haus uns gehört, trotzdem fallen Gebühren an wie zum Beispiel für Strom und Wasser“, so Rüstem Karabey. Das Personal wiederum sei in Kurzarbeit. Da seien Reserven gefragt.

Das meiste Kopfzerbrechen bereite allerdings die Frage, wie es irgendwann weitergehe, denn diese Schule nimmt keine Monatsbeiträge, wie andere Tanzschulen, sondern Kursgebühren. Das bedeutet, dass sie ihren Kunden gegenüber noch eine Bringschuld zu erfüllen haben. Es ist unklar, wie viele von ihnen zurückkommen werden. Neue Kurse sind schwer planbar, und das ganze, über viele Jahre aufgebaute System ist gründlich durcheinandergewirbelt. Spürbar sei jedoch auch das Problem auf der menschlichen Ebene: „Tanzen ist ein Stück Geselligkeit, aber auch Kommunikation und Pflege des sozialen Miteinanders. Das vermissen unsere Kunden jetzt ganz besonders“, so Rüstem Karabey.

Holger Pritzer, der seit 35 Jahren in dieser Branche tätig ist, hat in Oberursel tüchtig in Technik investiert und bietet sowohl Videos als auch Online-Kurse an: „Wir haben einen Saal quasi zu einem Video-Studio mit fünf Kameras gemacht.“ So könnte zum Beispiel die eine komplett auf die Füße ausgerichtet sein, die andere wiederum auf das gesamte Paar, die dritte auf den Lehrer und so fort. Außerdem gibt es einen Greenscreen. „Auf diese Weise können wir unseren Tanzlehrer über den Petersplatz in Rom oder – für die Kinderkurse – um Bibis Blocksberg wirbeln lassen“, berichtet Pritzer. Dank all dieser Technik sei sogar die digitale Party „Dis-Tanz in den Mai“ möglich geworden. Um die Kunden zu halten, hat die Tanzschule Pritzer die monatlichen Gebühren halbiert. Darüber hinaus gibt es kostenfreie Angebote. Zum Beispiel wird der Saal mitsamt Licht und Musik stundenweise an angemeldete Tanzpaare zum Üben verschenkt.

Doch selbst, wenn viele Kunden die digitalen Angebote annehmen, manche sie sogar zu schätzen lernen und sie auf jeden Fall auch künftig ein Bestandteil der Tanzschule Pritzer sein werden: „Wir haben die komplette Jugendschiene verloren. Denn die wollen sich persönlich treffen, flirten und Menschen kennenlernen.“ Immerhin sei die Hälfte der Kinder und der Hip-Hopper geblieben: „Bei denen sind wir ganz besonders gespannt, wenn sie wieder miteinander agieren können.“ Denn aktuell studieren sie alle ihre Choreografien für einen gemeinsamen Tanz einzeln ein. Übrigens geht der Kursbetrieb per Video bei Holger Pritzer und seinem Team weiter: „Alle vier Wochen gibt es einen Startwoche, und da kann man auch eine Probestunde machen.“ Trotz aller Ideen und Investitionen: „Es ist kein Vergleich zu früher, denn es kommen nicht einmal zehn Prozent der Neukunden wie vor Corona.“

Gerade mal knappe sechs Jahre ist es her, dass Lars Weingarten die Tanzschule „Taktgefühl“ in Friedrichsdorf ins Leben gerufen hat. Er hat die ruhige Zeit dazu genutzt, „das Beste daraus zu machen“. Es wurde renoviert, modernisiert, Hygienemaßnahmen und Lüftungsanlage installiert und vor allem digitalisiert: „Wir haben innerhalb von drei Wochen 600 Videos gefilmt.“ Das Online-Tutorial umfasse somit jede Unterrichtsstunde, jeden Kurs: „Es wird gut angenommen, wir haben rund 500 Zugriffe pro Woche, allerdings wissen wir nicht, wie viele unterschiedliche Menschen dahinterstecken.“

Darüber hinaus gibt es Live-Unterricht, wobei Lars Weingarten das Glück hat, dass sein Bruder Sören im gleichen Gebäude die Firma Fokus-Medien hat und somit bei der Technik hilft: „Allerdings werden die Videos wesentlich besser angenommen als die Livestreams, weil sie zeitflexibel sind.“ Der junge Unternehmer blickt positiv auf die „spannende Zeit“, zeigt sich optimistisch und flexibel: „Als im März mal Lockerungen kamen, haben wir sofort wieder aufgemacht.“ In Absprache mit dem Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband und dem Ordnungsamt hätten sogar wieder kleine Kurse mit acht Paaren oer einer mit acht einzeln tanzenden Hip-Hoppern stattfinden können: „Das war möglich, weil wir genügend Platz haben. Unser großer Saal ist allein 500 Quadratmeter groß.“

Ebenso wie Holger Pritzer wird Lars Weingarten von Corona unabhängig das Videoangebot weiter betreiben – und nimmt hierfür derzeit lediglich neun Euro pro Person und Monat.

Weitere Artikelbilder



X