Würde, Wille, Machbarkeit – Ambulante Ethikberatung bei schwer Erkrankten

Vordere Reihe: Dr. Jürgen Büchsel, Beate Mink, Renate Garnhartner, Dr. Barbara Alpmann, Andrea Sandmann, Sabine Gerlach-Lüdeke, Beate Lempp. Zweite Reihe: Walter Miot, Peter Oldorf, Bettina Krellner, Sabine Nagel, Rainer Tautorat, Erika Stolze, Dr. Robert Gaertner. Es fehlt Dr. Sabine Mieseler Foto: Hochtaunuskreis

Hochtaunus (kb) – Während einer Auftaktveranstaltung im Landratsamt haben sich sechs der 13 neuen Ethikberater in einer Podiumsdiskussion vorgestellt, die künftig unter der Organisation des Hochtaunuskreises eine ambulante Ethikberatung kostenlos anbieten. Die Themen Krankheit und Tod sind für alle Menschen eine Herausforderung. Oft fühlen sich nicht nur die Angehörigen und Betroffenen selbst, sondern auch die beteiligten Fachleute aus Medizin und Pflege in schwierigen Entscheidungen zwischen Leben und Tod überfordert und allein gelassen. Was will der Betroffene – oder was hätte er sich mutmaßlich gewünscht?

„Ich wusste genau, das war nicht das, was meine Patientin für sich gewollt hätte“, berichtete Sabine Gerlach-Lüdeke, Hausärztin und Mitglied der Arbeitsgruppe ambulante Ethikberatung. In der Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Medizin, Pflege und Theologie beschrieb sie den Spagat zwischen dem Willen des Patienten, einer „mitunter erzwungen-lebenserhaltenden“ Medizin, sowie der Unsicherheit von Angehörigen, die in ihrer Überforderung Angst haben, eine falsche Entscheidung zu treffen.

Patientenverfügung wichtig

„Eine Patientenverfügung ist ungemein wichtig, damit man über den Willen des Patienten informiert ist und diesen im Ernstfall auch befolgen kann“, erklärte der ehemalige chirurgische Chefarzt Peter Oldorf als Vorsitzender der ambulanten Ethikberatung Hochtaunuskreis. Aber selbst dann seien es häufig die besorgten Angehörigen und Bevollmächtigten, denen es unter lebensbedrohlichen Umständen verständlicherweise schwerfalle, die vorher niedergeschriebenen Wünsche, wie beispielsweise ein Ablehnen künstlicher Ernährung oder Flüssigkeitszufuhr, einzufordern, berichtete Beraterin Erika Stolze aus ihrer Erfahrung als Pflegedienstleitung. Auch Behandlungsteams oder Angehörige untereinander seien sich oft uneins darüber, was der Betroffene für sich gewünscht hätte.

Der Theologe und stellvertretende Vorsitzende der Regionalgruppe im Hochtaunuskreis, Dr. Jürgen Büchsel, kennt die Schwierigkeiten von Angehörigen, über das Sterben und die Wünsche am Lebensende zu sprechen. Angehörige wollen häufig ältere Menschen schützen und übersähen dabei manchmal das Recht ihres Familienmitglieds auf autonome Entscheidungen, nicht nur am Lebensende.

Wie schwierig der Weg zwischen Fürsorge und Rücksicht auf die Autonomie des Betroffenen sein kann, machte die Gastreferentin, Dr. Carola Seifart von der Philipps-Universität Marburg, an einem konkreten Fall deutlich, in dem Angehörige vom Pflegepersonal eine Überwachung und Zimmerkontrolle eines Bewohners forderten. Seifart erklärte an dem Beispiel, wie ambulante Ethikberatung in der Praxis funktioniert.

Jemand aus dem Kreis der Angehörigen, der Vorsorgebevollmächtigen oder des Behandlungsteams wendet sich an die Ethikberatung. Innerhalb von 48 Stunden wird (im Hochtaunuskreis) ein Gespräch mit allen Beteiligten anberaumt.

Zunächst werden medizinische, pflegerische, juristische und soziale Fakten zusammengetragen. Danach wird das ethische Problem besprochen, alle Beteiligten kommen gleichberechtigt zu Wort. Medizinethische Kriterien leiten das Gespräch. Was nutzt dem Betroffenen am meisten, was schadet ihm nicht? Gemeinsam wird nach einem Konsens gesucht. Ist dieser in dem ersten Gespräch nicht zu finden, wird ein neues Gespräch vereinbart. Alle Beteiligten unterliegen der Schweigepflicht. Die ambulante Ethikberatung erhöht die Interdisziplinarität der Betreuung und der externe Blick erweitert die Wahrnehmung der Situation. Alle Beteiligten erleben die Beratung in der Regel als entlastend und hilfreich.

Die ethische Fallbesprechung hebt den Behandlungsauftrag zwischen Arzt und Patient oder Pflegekraft nicht auf, sondern leistet einen Beitrag zur Entscheidungsfindung. Die letzte Entscheidung bleibt immer bei den Verantwortlichen.

„Ich freue mich, dass sich im Hochtaunuskreis ein neues wichtiges Angebot in der ambulanten Versorgung schwer erkrankter Menschen etabliert. Ich danke allen ehrenamtlich tätigen Ethikberatern für die Übernahme dieser wichtigen Aufgabe“, sagte die Sozialdezernentin des Hochtaunuskreises, Katrin Hechler.

Anfragen nach einer ethischen Fallberatung können per E-Mail an ethikberatung[at]hochtaunuskreis[dot]de oder telefonisch unter 06172-9995171 oder 9995172 oder 9995100 oder postalisch an Ambulante Ethikberatung c/o Pflegestützpunkt Hochtaunuskreis, Ludwig-Erhard-Anlage 1-5, 61352 Bad Homburg gestellt werden.



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