Zusammenbruch auf der Bühne

ORT:

Schwalbach (cl). Es war die letzte Theateraufführung der aktuellen Spielzeit im Schwalbacher Bürgerhaus. Doch als Anke Kracke, die Geschäftsführerin der Kulturkreis GmbH, darauf in ihrer Eingangsrede hinwies, konnte noch niemand im gut besuchten großen Saal ahnen, dass es auch die dramatischste Vorstellung werden würde – und damit ist nicht der Inhalt des Zwei-Personen-Stücks „Gut gegen Nordwind“ gemeint. Wegen gesundheitlicher Probleme der Hauptdarstellerin musste die Aufführung lange unterbrochen werden.

In der Komödie sowie der Romanvorlage von Daniel Glattauer geht es um eine zunächst zufällige Online-Bekanntschaft, aus der sich – E-Mail für E-Mail – ein spannender Flirt entwickelt. Beide Protagonisten erweisen sich als sehr gebildet und wortgewandt, sympathisch und interessant sowie ausgesprochen schlagfertig. Ihre Dialoge sind entsprechend originell, pointiert aber auch gefühlvoll und mitunter überraschend – sonst würde das Ganze ja auch nicht funktionieren – weder über knapp 300 Buchseiten noch über 100 Minuten Theatervorstellung.

In der Inszenierung am Samstagabend standen die TV-Schauspielerin Alexandra Kamp in der Rolle der Emmi Rothner sowie der österreichische Regisseur und Schauspieler Dietmar Horcicka als deren Chat-Partner Leo Leike auf der Bürgerhaus-Bühne. Und dort nahm die Aufführung nach einer knappen halben Stunde eine dramatische Wendung. Alexandra Kamp ging in die Knie und kippte plötzlich mitten im Text um. Dietmar Horcicka reagierte schnell, eilte zu ihr und kümmerte sich um sie. Erst dann merkte das Publikum langsam, dass etwas nicht stimmte, konnte es doch inhaltlich zu solch einer Szene innerhalb eines Online-Chats gar nicht kommen…

Aus dem Publikum eilten Helferinnen sowie der Lebensgefährte von Alexandra Kamp auf die Bühne. Ein Rettungswagen wurde angefordert und das ratlose und zum Teil erschrockene Publikum vom professionell moderierenden Dietmar Horcicka für eine längere Pause ins Foyer geschickt. Danach kam die Ansage, dass Alexandra Kamp – ganz der erfahrene Profi, den so leicht nichts endgültig umhaut und für den die Bretter eben doch die Welt bedeuten – unbedingt weiterspielen möchte. Und das hat sie dann auch getan.

Mit begeistertem Applaus wurde sie vom dankbaren Publikum wieder zurück auf der Bühne empfangen und spielte die Aufführung zunächst bis zur planmäßigen Pause weiter und danach souverän bis zum Ende des Stückes, als ob nichts gewesen wäre. Die Präsenz beider Schauspieler war locker aber auch intensiv, spannend und glaubwürdig und so unterhaltsam, dass der Schreckensmoment der ersten halben Stunde darüber fast in Vergessenheit geriet.

Am Ende bekamen beide, aber ganz besonders natürlich die tapfere Alexandra Kamp, einen donnernden Applaus. Große Teile des Publikums erhoben sich von den Plätzen. Alexandra Kamp wandte sich noch einmal persönlich an die Menschen und bedankte sich für Anteilnahme, Verständnis und Geduld.

Nach ungefähr einer Stunde mehr als geplant gingen die Menschen nach Hause und haben einmal live erlebt, was der Unterschied zwischen einem Theater- und einem Kinobesuch ist.

Bleibt noch zu bemerken, dass die Schwalbacher Theaterfreundinnen und -zuschauer sehr froh sind, dass auch die kommende Spielzeit finanziell so weit in trockenen Tüchern ist und man sich auf einen neuen Spielplan freuen kann. Und da steht dann bestimmt auch der zweite Teil von „Gut gegen Nordwind“ auf dem Programm. „Alle sieben Wellen“ heißt die Fortsetzung und erzählt, wie es mit der Digital-Romanze von Emmi und Leo in der realen Welt weitergeht. Alexandra Kamp ist auch mit der Fortsetzung bereits auf Tournee.

Etwas mitgenommen bedankte sich Schauspielerin Alexandra Kamps beim Publikum, nachdem sie das Stück trotz eines Kreislaufzusammenbruchs zu Ende gespielt hatte.Foto: Ludwig

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