Ein hartnäckiger „David“ namens Walter Herbst

Geschichte ist spannend. Das konnte Kai Hilbig,Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Heimatkunde, bei seinem Vortrag über die Stadtwerdung Steinbachs eindrucksvoll unter Beweis stellen. Foto: csc

Steinbach (stw). Rappelvoll war der Raum Pijnacker im Obergeschoss des Bürgerhauses am Dienstagabend. So voll, dass Hausmeister Lahsen Maach kommen musste, um den Vorhang, mit dem man den kleinen Saal abtrennen kann, zu öffnen, so dass noch mehr Besucher einen Platz fanden. Der Verein für Geschichte und Heimatkunde hatte eingeladen, um anlässlich der 50 Jahrfeier der Stadtrechtsverleihung daran zu erinnern, wie aus dem Dorf Steinbach eine Stadt geworden war.

Mit Referent Kai Hilbig ging es dann auch in rasanter Schussfahrt durch die Geschichte von der Ersterwähnung 789 im Lorscher Codex weiter durchs Mittelalter, in dem diverse Adelsgeschlechter von den Grafen von Nüring angefangen bis hin zu den von Stollberg-Königstein das Sagen in Steinbach hatten. Die Zuhörer erfuhren auch von der Verpfändung ihrer Heimatstadt für 16 000 Gulden durch Christoph zu Stollberg 1578, der das Taunusstädtchen nicht wieder auszulösen vermochte, so dass es schließlich für 50 000 Gulden an Philip den II. von Hanau-Münzenberg fiel. Auch diversen Verwaltungen wurde Steinbach im Laufe der Zeit unterstellt, darunter Bad Vilbel, Butzbach, Friedberg und „ja, auch Offenbach war dabei“, wie Hilbig amüsiert preisgab. Die „Stunde Null“ schlug Steinbach am 29. März 1945, als die amerikanichen Besetzer kamen. Wer glaubte, das sei alles an Spannung nicht zu übertreffen, der hatte weit gefehlt.

„So, jetzt beginnt der eigentliche Krimi“, kündigte Hilbig an. „Im Kino würde es Popcorn geben, das habe ich leider nicht, aber Gummibärchen habe ich dabei.“ Sprachs und verteilte die leckere Nervennahrung. Zu viel versprochen hatte er nicht, denn aus dem Stoff hätte so mancher Regisseur einen spannenden Hollywoodfilm gedreht. Titel des Streifens: Die Gebietsreform – ein Dorf will Stadt werden“. Erste Ideen dazu, dass Zwerggemeinden unter 300 Einwohnern aufgelöst werden sollten, gab es bereits 1947. Konkreter wurde das Ansinnen dann 1970, als Frankfurts OB Walter Möller mit einem Brief an die Gemeindevertretung in Steinbach Interesse an der Eingemeindung bekundet, dem sogenannten „Möllerplan“. Doch er stirbt unerwartet und damit tritt „Dynamit-Rudi“ auf den Plan. Den Spitznamen hatte sich Möllers Nachfolger, Rudi Arndt, eingehandelt, weil er angeblich die im Zweiten Weltkrieg zerbombte Alte Oper mit Dynamit dem Erdboden gleich machen wollte. „Kaum vier Tage im Amt beantragt Arndt die Eingliederung Steinbachs an Frankfurt“, berichtet Hilbig. Die Steinbacher hingegen nennen das Vorhaben den „Frankurter Landraub“. „So, das müssen wir jetzt erst mal sacken lassen“, findet Hilbig. Die Geschichte erinnert ein bisschen an den biblischen Kampf zwischen David und Goliath. Der David unserer Geschichte heißt allerdings Walter. Walter Herbst, damals Bürgermeister von Steinbach. Auch die Nachbarstadt Oberursel streckt die Fühler nach Steinbach aus und versucht den Bürgern eine Zusammenlegung schmackhaft zu machen. Mit aller Kraft widersetzt Herbst sich den Plänen zur Eingemeindung. Unterstützung bekommt er dabei vom damaligen Landrat des Obertaunuskreises, Werner Herr. „Dass die Steinbach nicht kriegen, daran werden wir fleißig arbeiten“, soll er gesagt haben. Auch die Steinbacher selbst wollen die Eingemeindung nicht.

Tatsache ist, weder Steinbach noch Frankfurt hatten die Entscheidungsgewalt darüber, ob die taunusstadt selbstständig bleibt oder eingemeindet wird. Sie wurde in einem Ausschuss des Landtags getroffen, der dem Innenminister eine Empfehlung auszusprechen hatte und fiel sehr knapp aus. „Ich bin fünf tage vor der Stadtwerdung im „Auftrag“ von Walter Herbst nach Wiesbaden gefahren, um die Stadtwerdung in trockene Tücher zu bringen“, erinnert sich Ernst Welteke an das Ereignis.

Doch dann ist es geschafft. Mit einem fest auf dem Rathausplatz feiert ganz Steinbach am 22. September 1972 die Stadtwerdung. Am Ortseingang drehen sich große Herzen im Wind, als Anspielung auf das Motto „Die junge Stadt der offenen Herzen“.



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