„Die Menschen machen den Ort“

Die bequemen Ohrensessel im Eingangsbereich des Gemeindezentrums St. Bonifatius sind für Pastoralreferent Christof Reusch ein Wohlfühl-Ort. Hier führt er gern gute Gespräche. Foto: csc

Von Christine Sarac

Steinbach. Es war ein schönes Fest, das Pastoralreferent Christof Reusch bereitet wurde. Mit alten Weggefährten, die er, wie er selbst sagt, schon lange aus den Augen verloren hatte. Gemeinsam wurde in Erinnerungen und alten Fotos geschwelgt, denn 30 Jahre sind vergangen, seitdem er sein Amt in der St.-Bonifatius-Gemeinde übernommen hat.

Liebe auf den ersten Blick war es mit Steinbach nicht, das gibt Christof Reusch unumwunden zu. „Ich wurde hierher geschickt, um den damaligen Pfarrer Joachim Schäfer zu unterstützen. Bis dahin hatte ich noch nie etwas von Steinbach gehört“, erzählt er in den gemütlichen grauen Ohrensessel gelehnt, der im Eingangsbereich des Gemeindezentrums St. Bonifatius steht. Es ist Reuschs zweiter Lieblingsarbeitsplatz. Der erste ist natürlich im Kirchenraum, in dem die Gottesdienste gefeiert werden. Hier, in den heimeligen Vorraum, zieht er sich gern mit den Menschen zurück, die das Gespräch mit ihm suchen. „Das ist mir lieber als in meinem Büro, wenngleich auch die Arbeit am Schreibtisch nötig ist“, gibt er zu. Der erste Eindruck seiner neuen Gemeinde, in die er mit seiner Frau und dem damals einjährigen Sohn Florian kam, war sehr nüchtern. „Innenstadt gibt es nicht, Einkaufen eher schwierig, ein Café war auch keins da“, berichtet er. „Ich dachte mir damals, hier bleibe ich maximal fünf Jahre.“ Es sind drei Jahrzehnte daraus geworden. Aus der sozusagen „arrangierten Ehe“ wurde doch Liebe.

„Die Menschen machen den Ort, das habe ich gelernt“, so der 59-Jährige. Es war nicht die einzige Lektion und auch nicht die letzte Prüfung, die es für Reusch, der in Dietz geboren und seit dem zehnten Lebensjahr in Limburg „im Schatten des Doms“ aufgewachsen ist, ab da zu meistern gab. Für seine Gemeinde seien es drei große Meilensteine gewesen, die prägend waren, so Reusch. Der erste war 2010 die Umwandlung in die Großpfarrei St. Ursula. Dann kam der Abschied vom alten Pfarrheim mit 550 Plätzen und der damit verbundene Verlust des großen Geländes, auf dem heute das Seniorenheim „Avendi“ steht. „Es gab große Proteste gegen den Neubau“, erinnert sich Christof Reusch. „Darauf waren wir eineinhalb Jahre obdachlos, bis das neue Gemeindezentrum 2014 fertiggestellt war. Damals hatten wir bei der evangelischen Gemeinde Unterschlupf gefunden, und das hat die Ökumene sehr vorangetrieben“, freut er sich. Die Zusammenarbeit mit Pfarrer Herbert Lüdtke von der evangelischen St.-Georg-Gemeinde sei gut, auch wenn sie nicht immer derselben Meinung seien, so Reusch.

Der dritte große Einschnitt kam mit der Coronapandemie. „Ich habe versucht, die Menschen nicht im Regen stehen zu lassen. Das war nicht einfach, denn wie soll man die Menschen erreichen, wenn man sich nicht treffen darf?“, erinnert sich Reusch. Mit Hilfe von Zoom-Konferenzen sei es gelungen, aber auch aus der Gemeinde heraus habe es viele neue und gute Ideen gegeben. „Das war mir immer wichtig“, betont Christof Reusch, „dass die Menschen selbst stark sind, sich entwickeln, und ich bin sehr stolz auf meine eigenständige, aktive Gemeinde“, sagt er zufrieden.

Und ihn, der selbst oft ein Fels in der Brandung für andere sein konnte und wollte, erlebte die Gemeinde vor sechs Jahren auch mal schwach. „Damals starb meine Frau, und ich hatte keinen Bock mehr auf Kirche“, gesteht er offen. Doch in der Krise wird er getragen. „Ich dachte ans Aufhören, wollte sogar wegziehen“, erinnert er sich an die schwere Zeit zurück. „Doch meine Gemeinde war da, hat mich beschützt und mir viel abgenommen. Ich bekam sehr viel zurück“, sagt er dankbar.

Dass er diesen beruflichen Weg einmal einschlagen würde, hätte er als Jugendlicher nicht gedacht. „Ich wollte unbedingt Fußball-Profi werden, und habe es auch bis in die vierte Liga geschafft. Das war gut so, denn dadurch konnte ich mir mein Studium finanzieren“, erzählt Christof Reusch. Sein Lieblingsverein ist der HSV. „Die spielen in der zweiten Liga, da kann ich mir natürlich so manchen Spruch anhören“, sagt er und grinst wie ein Schuljunge. Natürlich habe ihn sein Elternhaus auch geprägt. Der Vater war Abteilungsleiter in einer Schule, die für die Ausbildung von Religionspädagogen zuständig war. „Als Jugendlicher war ich in einem offenen Jugendclub der örtlichen Pfarrei, und da gab es einen Pastoralreferenten, der mich beeindruckt hat“, erzählt er. Er schlägt den gleichen Weg ein und studiert in Frankfurt und in Insbruck. „Na ja, in Insbruck weniger, da war ich sehr viel Ski fahren und wandern“, gesteht er. In der Natur ist Christof Reusch in seiner Freizeit gern unterwegs. Früher oft mit seinem Hund, einem Terrier-Mix, der inzwischen verstorben ist.

In den vergangenen 30 Jahren habe sich auch die Relevanz der Kirche im Leben der Menschen stark verändert, berichtet Christof Reusch. Das Pfarrfest, früher eine gut besuchte Veranstaltung, habe man vor etwa sechs Jahren einstellen müssen. „Stattdessen haben wir uns bei der Sozialen Stadt eingeklinkt. Ich arbeite sehr gern mit Bärbel Andresen, der Leiterin des Stadtteilbüros, zusammen“, betont Reusch. So steht das Gemeindehaus für Aktionen wie „Weihnachten mal anders“ oder der „AG Mittagstisch“ offen.

In etwa fünf bis sechs Jahren wird Christof Reusch in den Ruhestand gehen und auch, wenn Steinbach schon längst Heimat geworden ist, will er dieser dann den Rücken kehren. „Mein Nachfolger soll sich frei entwickeln können. Der Schatten von Reusch soll nicht über ihm schweben.“

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